Fast zwei Meter gross ist Jérôme Kym aus Möhlin, schon als Junior hämmerte er die Aufschläge regelmässig mit 220 Kilometern in der Stunde ins gegnerische Feld. So imposant die Erscheinung, so kometenhaft ist auch der Aufstieg des jungen Aargauers. Mit der U14 wurde er Teamweltmeister und im Alter von nur 15 Jahren löste er Heinz Günthardt als jüngsten Schweizer Spieler in der Davis-Cup-Geschichte ab.
Die Meinungen waren gemacht: Jérôme Kym war auserkoren, in die Fussstapfen von Roger Federer und Stan Wawrinka zu treten, wenn die beiden erfolgreichsten Schweizer Tennisspieler in einer nicht mehr allzu fernen Zukunft zurücktreten.
Doch mit den Erfolgen stieg auch die Erwartungshaltung. Von März bis August 2019 schaffte es Kym im Einzel nur einmal über die Viertelfinals hinaus. «Diese Phase war wirklich sehr schwierig für mich. Ich musste mich im Sommer ein paar Monate zurückziehen, damit ich mich wieder aufs Training und aufs Tennisspielen konzentrieren konnte», sagte er Anfang Jahr.
Dann bremste ihn erst die Coronakrise aus, nun kämpft Kym mit einer Formbaisse, gewann nur vier seiner acht Spiele seit Mitte Juni. Beim Swiss Tennis Pro Cup verlor er in der Qualifikation gegen Dominic Stricker, wie eine Woche zuvor bei den U18-Schweizer-Meisterschaften.
Inzwischen steht der 1,95 Meter grosse Jérôme Kym im Schatten anderer Schweizer Junioren: Der Berner Stricker führt das Quartett als Nummer zehn der Junioren-Weltrangliste an, vor den beiden Zürchern Leandro Riedi (Nr. 11) und Jeffrey von der Schulenburg (Nr. 14).
Kym belegt Rang 24, ist aber ein Jahr jünger. Dennoch spricht der Schweizer Davis-Cup-Captain Severin Lüthi Klartext. «Im Moment, und das ist schon seit längerer Zeit so, ist er in diesem Quartett am Schluss der Gruppe.» Die Weltrangliste lügt nicht. «Jérôme hat Potenzial, aber viele Baustellen in seinem Spiel. Er muss zeigen, dass er die Leidenschaft hat, diesen Weg weiterzugehen.»
Es gelte, nicht nur Schwachstellen auszumerzen, sondern auch darum, an den Stärken zu arbeiten. Vorderhand sei das der Aufschlag, sagt Lüthi. «Und es sollte auch die Vorhand sein, was aber bisher nicht der Fall ist.» Zudem dürfe Kym auch die Basis nicht vernachlässigen.
«Das bedeutet, dass er physisch stärker werden muss», sagt Lüthi unmissverständlich. Dazu kommt, dass Kym noch auf der Suche ist, wie er sein persönliches und sportliches Umfeld gestalten möchte. Anders als Riedi, der mit dem ehemaligen Doppel-Spezialisten Yves Allegro zusammenarbeitet, und Stricker, der von Sven Swinnen betreut wird, sucht Kym noch nach einer Lösung.
Seit vier Wochen trainiert er mehrheitlich unter Urs Walter in Winterthur, der von 2016 bis 2018 die Schweizer Nachwuchshoffnungen bei Swiss Tennis trainierte.
Auf Anfrage unterschreibt Urs Walter die Worte von Federer-Coach Lüthi. Er sagt: «Das ist die Realität.» Walter will dennoch nicht von einer Stagnation reden, «aber es ist zweifellos so, dass Jérôme zuletzt nicht mehr die Fortschritte erzielt hat, die er gerne hätte». Das habe an Kyms Selbstvertrauen genagt, worauf viele Unsicherheiten entstanden seien.
Weshalb es dazu kam, könne Walter nicht beurteilen. «Es wäre falsch, Schuldige zu suchen. Es geht nun darum, das Setup zu finden, damit Jérôme wieder sein Potenzial ausschöpfen kann.» Der Weg zum Spitzensportler sei in vielerlei Hinsichten steinig, gibt Walter zu bedenken. «Ich bin aber zuversichtlich, dass Jérôme wieder in die Erfolgsspur findet.»
Jüngst sagte Kym, die Beziehung zu Stricker, Riedi und Von der Schulenburg habe sich verändert. Jeder schaue mehr auf sich, es sei ein gewisser Egoismus aufgekommen. Davis-Cup-Captain Lüthi sagt, er habe sich auch schon gefragt, ob er Kym mit der Nomination vor einem Jahr einen Gefallen getan habe.
«Aber damals hat er gut gespielt und ich hatte das Gefühl, dass Jérôme der Mannschaft helfen kann. Ich wollte ihn sicher nicht verheizen. Ich weiss auch nicht, wie die Welt heute aussehen würde, wenn ich ihn damals nicht aufgeboten hätte», sagt Lüthi.
Er sei der Meinung, dass es Kyms Entwicklung nicht zuträglich wäre, würde er in eine Akademie im Ausland wechseln, wie zum Teil kolportiert wird.
Sicher ist, dass Jérôme Kym seine Karriere ohne finanzielle Sorgen vorantreiben kann. Der Zentralvorstand von Swiss Tennis entsprach dem Antrag der Abteilung Spitzensport, die vier Talente während der nächsten fünf Jahre grosszügig zu alimentieren.
Eine Abnabelung, die vom Schweizer Verband gewollt ist, aber früher kam als geplant. Die Talente hätten den gleichen Traum, doch ihre Bedürfnisse seien verschieden. Diesen kann der Verband nicht mehr nachkommen. Und die durch die Coronapandemie bedingte Pause im letzten Juniorenjahr habe den Prozess zusätzlich beschleunigt.