Mit 13 Jahren wurde Jimmy Butler von seiner Mutter aus dem Haus geworfen. «Dein Anblick gefällt mir nicht», sagte sie zu ihrem Sohn, «du musst gehen». Es waren für eine lange Zeit die letzten Worte, die Butler von seiner Mutter hören sollte.
Plötzlich stand er also ohne Zuhause da, sein Vater hatte die Familie zu dem Zeitpunkt schon lange verlassen. Der Jugendliche schlug sich durch, indem er bei Freunden übernachtete. Doch nach einigen Wochen musste er sich stets einen neuen Schlafplatz suchen, schliesslich konnten sich die Familien seiner Freunde in Tomball, einem Vorort von Houston, kein zusätzliches Kind leisten.
Auch in der NBA sollte Butler dieses Gefühl des Unerwünschtseins immer wieder erleben. Die Chicago Bulls, die ihn 2011 an 30. Stelle im Draft auswählten, sahen in ihm nicht den Anführer, den sie brauchten, um einen Titel zu gewinnen. Minnesota glaubte stärker an seine Jungstars als an den schon damals vierfachen All-Star. Und Philadelphia entschied sich dafür, Butlers Vertrag nicht zu verlängern und das verfügbare Geld anderweitig zu verwenden. So musste er sich ein neues Zuhause suchen – wie 16 Jahre zuvor als Jugendlicher.
Und in beiden Fällen wurde er fündig. Basketball war längst die grosse Leidenschaft Butlers geworden, als er auf dem Court einen Jungen kennenlernte, der sein Leben verändern sollte. Die beiden freundeten sich schnell an und bald einmal lud dieser Butler zum Übernachten ein.
Dessen Mutter Michelle Lambert und ihr zweiter Ehemann, die gemeinsam sieben Kinder aus ihren ersten Ehen grosszogen, zögerten zunächst, einen weiteren Jungen aufzunehmen. Nach einigen Monaten, in denen Butler immer von einem anderen der sieben Kinder zum Übernachten eingeladen wurde, sagten die Lamberts Jimmy Butler dann aber, dass er so lange bleiben könne, wie er wolle. Im letzten Jahr an der Highschool – nach über drei Jahren ohne festen Schlafplatz – hatte Butler endlich ein neues Zuhause gefunden.
Die Geschichte erzählte Butler «ESPN» kurz vor dem NBA-Draft 2011. Da hatte er bereits seit über vier Jahren bei den Lamberts gewohnt. «Sie ist meine Mutter», sagte er über Michelle Lambert und fügte an: «Sie hat mir geholfen, der zu werden, der ich bin.» Trotz aller Widrigkeiten war Butler dankbar für seinen aussergewöhnlichen Weg und die vielen Herausforderungen: «Ich liebe, was mir passiert ist. Deshalb bin ich heute so, wie ich bin.» Mitleid wollte er schon damals von niemandem. «Ich hasse das», sagte er dem Redakteur, den er bat, seine Geschichte nicht so zu schreiben, «dass ich den Leuten leid tue».
Happy Mother's Day to all #Moms!
— Dr. Marion Thorpe 🇺🇸 (@MarionThorpe) May 14, 2023
Seen pictured is the lady who provided shelter and a place for #JimmyButler to call home during his young teen years.#MothersDay #Miami #MiamiHeat #HealAmerica #USA 🇺🇲 pic.twitter.com/jo8SfHrQuN
Anders als die meisten der aktuell besten Spieler der NBA ging Butler die vollen vier Jahre ans College und machte dort auch seinen Abschluss. Er war keines der Toptalente in seinem Jahrgang, machte erst mit 22 Jahren den Schritt zu den Profis. Seine Spielzeit musste er sich mühsam erkämpfen. Erst gegen Ende seiner zweiten Saison in der besten Basketballliga der Welt war er ein fester Bestandteil der Startaufstellung. Doch die immer wiederkehrenden Zweifel an seinen Qualitäten hatte er dadurch noch lange nicht beseitigt.
Dies gelang ihm erst mit dem Wechsel zu den Miami Heat und den Leistungen, die er dort Jahr für Jahr ablieferte. Das Team aus Florida bot ihm 2019 den auf jährlich rund 35 Millionen Dollar dotierten Vertrag, der Philadelphia zu teuer war. Mit 30 Jahren war Butler endlich angekommen, wo er perfekt hinpasste. Mit seinem Einsatz. Seinem Kampfeswillen. Und vor allem seiner Underdog-Mentalität.
«In seinem Leben gab es so viele Situationen, in denen er zum Scheitern verurteilt war. Jedes Mal bewältigte er diese dennoch erfolgreich», sagte ein General Manager zu ESPN. Genau das gehört zur Kultur der Miami Heat, seit LeBron James 2014 nach vier Jahren und zwei Meisterschaften nach Cleveland zurückgekehrt war. Aus geringen Chancen das Maximum herausholen – wie Butler. «Mein Leben lang wurde ich angezweifelt», erzählte dieser, «doch die Leute kannten meine Geschichte nicht. Denn sonst wüssten sie, dass alles möglich ist.»
In Miami fühlte sich der Forward von Beginn an wohl. Hier ziehen alle an einem Strang, haben die gleiche Einstellung wie Butler. In Minnesota hatte es deswegen noch gekracht. Während einer Trainingseinheit schnappte sich Butler die dritte Garde der Timberwolves und forderte die restlichen Starter um die Jungstars Karl-Anthony Towns und Andrew Wiggins heraus. Für Butlers Geschmack nahmen diese den Sport zu wenig ernst, was er sie dann lautstark wissen liess, wie der damalige Mitspieler Jeff Teague zuletzt erzählte. Butler setzte sich trotz des deutlich schwächeren Teams durch und erzählte der Welt davon direkt danach in einem Interview mit ESPN. Der Riss zwischen Team und Spieler, der wegen eines Vertragsstreits entstanden war, war nicht mehr zu kitten.
Butler wurde nach Philadelphia getradet, wo er erneut mit einem Mitspieler aneinandergeriet. Der Grund für die Auseinandersetzung mit Ben Simmons war derselbe wie in Minnesota. Wer sich nicht dem Erfolg des Teams unterordnet, wird früher oder später Probleme mit Jimmy Butler bekommen. Die Gefahr besteht in Miami bei MItspielern wie Bam Adebayo oder Kyle Lowry kaum. Im Nachhinein werden sowohl Chicago als auch Minnesota und Philadelphia bereuen, an dem 2,01-Meter-Mann gezweifelt zu haben. Denn in seinem vierten Jahr in Miami steht Butler zum vierten Mal im Halbfinal, 2020 stiessen die Heat gar in die Finals vor, wo sie den Los Angeles Lakers unterlagen. Die Ex-Teams Butlers warten hingegen seit bis zu 22 Jahren auf eine Halbfinalteilnahme.
Ein Warten, das mit Butler womöglich schon längst ein Ende gehabt hätte. Denn der mittlerweile 33-Jährige ist einer von wenigen NBA-Stars, die offensiv wie defensiv brillieren. Je fünfmal wurde er unter die 15 besten Spieler sowie unter die zehn besten Verteidiger der nordamerikanischen Liga gewählt. Was ihn jedoch fast einzigartig macht, ist die Tatsache, dass er in den Playoffs Jahr für Jahr eine Schippe drauflegt.
Zuletzt bewies er dies gegen Titelfavorit Milwaukee, als Butler Miami in den Spielen vier und fünf der Best-of-7-Serie mit 56 und 42 Punkten zu den entscheidenden Siegen führte. Nur zwölf Spieler haben in der Geschichte der NBA öfter 40 Punkte in einem Playoffspiel erzielt als Butler, dem dies achtmal gelang. Und obwohl er sich gegen den Spitznamen «Playoff-Jimmy» wehrt, hat sich dieser bei Fans und Konkurrenten längst etabliert. Mitspieler Adebayo weiss genau, woran das liegt: «Er ist einfach einer dieser Spieler, der in den Playoffs einen zusätzlichen Gang hat.»
Dazu tragen auch Auftritte wie in Spiel 7 der letztjährigen Halbfinalserie gegen die Boston Celtics bei. Da verpasste er keine Sekunde – eine absolute Seltenheit. In Butlers Karriere finden sich aber gleich mehrere solcher Spiele, einmal stand er zusätzlich zu den regulären 48 Minuten auch noch jede Sekunde der fünfminütigen Verlängerung auf dem Feld.
Dass Butler als Star des Teams vorangeht, kommt nicht von irgendwo her. Bevor Michelle Lambert ihn als Jugendlichen in ihre Familie aufnahm, sagte sie ihm, dass er als Vorbild für ihre Kinder dienen müsse. «Er musste sich aus Schwierigkeiten heraushalten, in der Schule hart arbeiten, als gutes Beispiel vorangehen. Und er hat es getan.»
Das wird Miami-Coach Erik Spoelstra auch gegen Boston von ihm erwarten. Zum dritten Mal in vier Jahren treffen die beiden Teams in den Eastern Conference Finals aufeinander. Sowohl die Heat als auch die Celtics gewannen je einmal, unterlagen dann aber im Final. Im ersten Spiel setzte sich Aussenseiter Miami auswärts durch – vor allem, weil Butler mit 35 Punkten und 6 Steals offensiv wie defensiv dominierte. Macht er so weiter, wäre ein zweiter Finaleinzug innert vier Saisons nicht überraschend. Und vielleicht reicht es dann ja sogar zum Titel. Butler weiss ja schliesslich, wie man trotz geringer Chancen das Maximum herausholt.
Dabei kann Butler auf die Unterstützung zweier Mütter zählen. Obwohl sie ihn als Kind im Stich gelassen hatten, baute er die Beziehung zu seinen leiblichen Eltern vor einigen Jahren von sich aus wieder auf, wie er dem «Chicago Magazine» erzählte. Es habe einige Zeit gebraucht, doch er konnte ihnen verzeihen. Und so hat Butler, der als 13-Jähriger sein Zuhause verlassen musste und mit Nichts dastand, nun gar zwei Familien.
Wie dem auch sei, er und die Heat passen wie die Faust aufs Auge!
Allerdings gibt es so viele davon, weil es leider so viele "Tellerwäscher" gibt.