Die 87. Ausgabe der Tour de Suisse wird ihrem Namen gerecht. Der Parcours führt mit Etappen im Grossraum Zürich, einem Abstecher ins Tessin und dem Schlussfeuerwerk in der Romandie durch alle drei grossen Sprachregionen der Schweiz,
Zum zweiten Mal beginnt die Landesrundfahrt im Ausland. Nach dem Auftakt im Jahr 2001 im badischen Städtchen Rust fällt der Startschuss in Vaduz – und wie fast immer in diesem Jahrtausend mit einem Einzelzeitfahren.
Nach dem Aufgalopp im Fürstentum Liechtenstein folgen mit den Etappenankünften in Regensdorf und Rüschlikon zwei Chancen für die Sprinter oder Classique-Jäger, bevor am vierten Tag auf dem Gotthardpass die erste von vier aufeinanderfolgenden Bergankünften ansteht. Das abschliessende Bergzeitfahren über 15,7 Kilometer von Aigle nach Villars-sur-Ollon wird letzte Klarheit im Kampf um den Gesamtsieg liefern.
Als Gesamtsieger kommen angesichts des bergigen Parcours selbstredend starke Kletterer in Frage. Knapp 19'000 Höhenmeter gilt es auf den 950 Kilometern zu bewältigen. Anwärter auf die Nachfolge von Vorjahressieger Mathias Skjelmose (Lidl-Trek) sind der dänische Meister selber, der Kolumbianer Egan Bernal (Ineos-Grenadiers), 2019 Gewinner der Tour de Suisse und anschliessend auch der Tour de France, der Portugiese João Almeida (UAE Emirates) oder die Spanier Pello Bilbao (Bahrain-Victorious) und Enric Mas (Movistar).
Sie alle wollen sich für die Tour de France in Form bringen. Das gilt auch für Richard Carapaz und Tom Pidcock, den Strassen- respektive Mountainbike-Olympiasieger von Tokio.
Die Hoffnungen der Organisatoren, von den ganz grossen Rundfahrten-Spezialisten könnte einer den Weg in die Schweiz finden, erfüllten sich nicht. Während Jonas Vingegaard nach einer längeren Verletzungspause und Tadej Pogacar nach seinem Giro-Sieg weitere Trainingstage in der Höhe bevorzugen, entschieden sich Remco Evenepoel und Primoz Roglic für die Teilnahme an der am Sonntag zu Ende gehenden Dauphiné-Rundfahrt.
Mit voraussichtlich 24 Fahrern stellt die Schweiz die grösste Fraktion. Die Aussichten sind allerdings nicht allzu rosig, dass einer von ihnen im Gesamtklassement ganz vorne mitmischen kann. Die Voraussetzung, an einzelnen Tagen zu glänzen, bringen hingegen gleich mehrere Fahrer mit. So wird Marc Hirschi oder Mauro Schmid zu Beginn der Rundfahrt, wenn es noch nicht so bergig ist, durchaus ein Etappensieg zugetraut.
Mit Stefan Küng oder Stefan Bissegger könnte sogar einer der einheimischen Garde das erste Leadertrikot erobern. Die beiden Thurgauer zählen im Auftaktzeitfahren über knapp fünf Kilometer zum engsten Kreis der Favoriten. Für Küng wäre es nach 2021 in Frauenfeld und im letzten Jahr in Einsiedeln das dritte Mal, dass er sich mit einem Sieg im Zeitfahren in Gelb einkleiden lassen könnte. Im Fürstentum Liechtenstein, wo seine Wurzeln mütterlicherseits hinführen, darf er ausserdem auf speziellen Support hoffen.
Ein Schweizer Auftaktsieg wäre für die Tour de Suisse ein Segen, wenn es darum geht, das Zuschauerinteresse zu steigern und die TV-Einschaltquoten zu befeuern- zumal mit der am kommenden Freitag beginnenden Fussball-EM in Deutschland eine starke Konkurrenz-Veranstaltung den Markt streitig macht.
Weitere Herausforderungen erwarten die Organisatoren in der Höhe, wo sich der Schnee teils noch immer meterweise türmt. Eine Streckenänderung haben sie bereits vornehmen müssen. Die Königsetappe, die am Freitag in Locarno beginnt und in Blatten-Belalp im Wallis endet, führt nicht über den Nufenenpass. Der viele Schnee verunmöglicht die Überquerung des Passes, der mit 2421 Metern über Meer das Dach der Tour gewesen wäre.
Die Verantwortlichen prüfen zwei Alternativen. Die eine Variante sieht wie geplant den Start in Locarno vor und führt via Gotthard- und Furkapass ins Wallis, bei der zweiten erfolgt der Start zu einer verkürzten Etappe in Ulrichen im Obergoms.
Unter spezieller Beobachtung steht die Tour de Suisse in diesem Jahr betreffend Sicherheit. Nach dem tödlichen Sturz von Gino Mäder in der Abfahrt vom Albulapass liessen die Organisatoren bei der Routenwahl Vorsicht walten. «Es wäre das falsche Signal gewesen, nach den Ereignissen des letzten Jahres das Ziel nach einer Abfahrt zu fixieren», sagt Olivier Senn, der Direktor der Tour de Suisse. Das erklärt auch die vergleichsweise hohe Anzahl an Bergankünften.
Um die Sicherheit der Fahrer weiter zu erhöhen, wurde die Signalisation von heiklen Stellen verbessert. Ausserdem steht ein dritter Rennarzt im Einsatz. (sda)