Ihre Fahrt war schon fast eine Stunde vorbei. Doch für Lara Gut-Behrami fühlte es sich an, als wäre es gerade erst gewesen. Um neun Hundertstel hatte sie das Podest im Riesenslalom verpasst. Schon wieder wurde sie Vierte. Wie schon zweimal zuvor an Weltmeisterschaften und zweimal an Olympischen Spielen.
«Was soll ich also sagen, zehn Minuten nach dem Rennen?», fragte sie. Die Zeit blieb irgendwo inmitten ihrer Emotionen stehen.
Man hätte Gut-Behrami gerne gefragt, warum die Enttäuschung dieses Mal so viel grösser war als nach dem WM-Super-G. Am Mittwoch vor einer Woche fehlte ihr ebenfalls nur ein Hauch von Nichts für eine Medaille. Elf Hundertstel, um genau zu sein. Doch die Tessinerin blieb nach dem Riesenslalom nur kurz stehen und sagte kaum hörbar: «Ich bin gut gefahren, aber zu langsam.» Dann lief die 31-Jährige weiter und rieb sich die Augen.
Vor zwei Jahren hatte Gut-Behrami in Cortina WM-Gold im Riesenslalom gewonnen. Sie sprach danach von ihrem schönsten Erfolg. Weil er in jener Disziplin erfolgte, die sie als Basis für alles andere im Skisport bezeichnet.
Vor der WM in Méribel hatte sie gesagt, dass die Art, wie sie derzeit fahre, wieder so sei, wie sie sich das vorstelle. Möglich, dass sie darum nach dem Riesenslalom so enttäuscht war. Weil wenn so fahren, wie sie es will, nicht für eine Medaille reicht, was bedeutet das? Auch diese Frage hätte man ihr gerne gestellt.
Vor der WM in Méribel hatte Gut-Behrami erklärt, dass sich die Erfolge von Cortina nicht zwingend wiederholen müssen, damit sie zufrieden sein könne. Denn: «Jede Weltmeisterschaft schreibt ihre eigenen Geschichten.» Doch nun lieferten sie Stoff für ein kleines Drama. Dass Gut-Behrami eine Weltmeisterschaft verlässt, ohne mindestens eine Medaille gewonnen zu haben, gab es erst zweimal: 2011 – als sie zweimal Vierte wurde – und 2019.
Aber Gut-Behrami wird diesen Rückschlag verkraften. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sie die Medaillen so knapp verpasste. «Im Verlauf einer Karriere gleicht sich das irgendwann aus», hatte sie nach dem Super-G gesagt. Aber noch wichtiger ist, dass sie längst Wege gefunden, nicht alles auf den Skisport zu projizieren. Die Enttäuschung darf sein – natürlich. Sonst verliert sie den Ehrgeiz und damit als Sportlerin die Grundlage für Erfolg. Und doch ist da anderes und hat das Privatleben neben dem Sport Platz.
Die Tessinerin wird nun vermutlich für einige Tage nach Hause reisen. Dorthin, wo sie abschalten kann. Und die Ruhe findet, die sie braucht, um Enttäuschungen zu verarbeiten.
Immer wieder hat sie in den vergangenen zwei Jahren erzählt, wie wichtig ihr dieser regelmässige Ausbruch aus dem Leben als Sportlerin sei. Denn schon am nächsten Wochenende wird sie in Crans-Montana, wo eine Abfahrt und ein Super-G stattfinden, wieder am Start stehen. Und vielleicht, so ist aus ihrem Umfeld zu erfahren, wird sie dann mehr erzählen über diese WM, die so gar nicht verlief, wie sie es wollte.
Der Rest wäre auch Leben. Wie es Lara gefällt.