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Eigenwillig und selbstbestimmt – Lara Gut-Behrami ist auf dem Gipfel

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Überschwänglicher Jubel: Lara Gut-Behrami ist Olympiasiegerin.Bild: keystone

Eigenwillig und selbstbestimmt – Lara Gut-Behrami ist auf dem Gipfel

Weltmeisterin und Gesamtweltcupsiegerin war Lara Gut-Behrami schon. Nun gewann sie in Peking Gold im Super-G – der Olympiasieg ist die Krönung einer einzigartigen Karriere. Die Tessinerin polarisiert seit Jahren wie kaum eine andere Persönlichkeit im Schweizer Sport. Eine Würdigung.
11.02.2022, 13:51
Ralf Meile
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Wie hoch die Anforderungen doch sind. Die Schnellste soll sie sein. Immer gut gelaunt. Charmant im Umgang mit Reportern, die Teamgefährtinnen nett unterstützend. Hübsch sowieso. Es sind viele Anforderungen, die Teile der Öffentlichkeit an eine junge Frau haben, die nichts anderes im Sinn hat, als einfach nur schneller als alle anderen auf der Welt Ski zu fahren.

Es sind völlig übertriebene Erwartungen, die im Ausdruck «Ski-Schätzli» kulminierten, der jahrelang ein fester Begriff war. Das war genauso despektierlich wie die Tatsache, dass die besten Skirennfahrerinnen dieses Landes lange Zeit als «Meitli» bezeichnet wurden. Als hübsches Beigemüse zu den wahren Stars, den mutigen Abfahrtshelden. Mochte dies frühere Generationen nicht so sehr stören, so störte es Lara Gut gewaltig. Und das sagte sie.

Da mochten sie die «Blick»-Leser noch.
Da mochten sie die «Blick»-Leser noch.schlagzeile: blick, 2011

Sie sagte es auch sonst oft geradeheraus, wenn ihr etwas nicht passte. Mal legte sich die Skirennfahrerin mit dem Verband an, dann mit den Medien. Und das in der Bünzli-Schweiz! In der man im Restaurant über das Essen schimpft und dem Kellner beim Abräumen dem Frieden zuliebe sagt, momoll, es habe geschmeckt. Viele hatten Mühe damit, dass da plötzlich eine junge Sportlerin selbstbewusst aufbegehrte.

Fulminanter Start in die Karriere

Die Tessinerin war noch keine 17 Jahre alt, als sie erstmals auf das Podest eines Weltcuprennens fuhr. 2008 war das – und der Moment, in dem die Erwartungen in die Höhe schossen. Im Winter zuvor hatten die Schweizer Frauen an der WM keine Medaille geholt, von den Titelkämpfen drei Jahre zuvor kehrte die Schweiz sogar gänzlich ohne Edelmetall nach Hause zurück. Das war ein Schock für dieses Land, das sich so sehr als Skination versteht.

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Glücklich, einfach nur glücklich: Lara Gut-Behrami 2021 nach ihrem zweiten WM-Titel.Bild: www.imago-images.de

Nun hatte dieses Land eine neue Hoffnungsträgerin. Ein Jahrhunderttalent, das 2009 bei der ersten WM-Teilnahme gleich zwei Silbermedaillen gewann. Die aufgestellte, sympathische, mehrsprachige Lara Gut war auserkoren, die Schweizer Ski-Geschichte neu zu schreiben. An Vreni Schneider wurde sie gemessen, der erfolgreichsten Schweizer Skirennfahrerin der Geschichte. «The sky was the limit», der Himmel ist die Grenze, so wie bei Tom Petty, der in «Into the Great Wide Open» über einen Rock-Rebellen namens Eddie sang. «Whitout a clue» war der, ahnungslos, und ziemlich sicher wusste auch Lara Gut nicht, was alles auf sie zukommen würde in den folgenden Jahren.

Schnee fiel, Schnee schmolz – in den folgenden Wintern gab es eine Konstante: Theater um Lara Gut. Eine Rebellin auf zwei Brettern, die ihr die Welt bedeuten. Verletzungen verhinderten ihren endgültigen Durchbruch, Streitigkeiten zwischen ihrem Privatteam um Vater Pauli Gut und dem Verband kosteten sie Zuneigung. Was Gut nicht zu kümmern schien. Sie wollte einfach nur schnell Ski fahren.

Bestimmt liest es jede 17-Jährige gerne, wenn sie als G-Punkt bezeichnet wird.
Bestimmt liest es jede 17-Jährige gerne, wenn sie als G-Punkt bezeichnet wird. schlagzeile: sonntagsblick, 2008

Dass sie einen Lätsch machte, als sie 2014 in Sotschi ihre bislang einzige Olympiamedaille gewann (Bronze in der Abfahrt) wurde ihr krumm genommen. Nicht die Freude über die Medaille überwog im ersten Moment, sondern die Trauer über den verpassten Olympiasieg, den sich händchenhaltend die zeitgleichen Dominique Gisin und Tina Maze teilten. Das ist das Holz, aus dem wahre, nimmersatte Champions geschnitzt sind.

Für einen Winter die Beste der Welt

2015/16 gelang es Lara Gut so gut wie nie zuvor, schnell Ski zu fahren. Sie gewann den Gesamtweltcup. Die grosse Kristallkugel für die beste Fahrerin einer ganzen Saison ist die wertvollste Auszeichnung, die es im Skisport gibt. Weltmeister oder Olympiasieger kannst du auch mit dem nötigen Glück am berühmten «Tag X» werden. Aber wer am Ende eines kräftezehrenden Winters mit Reisen durch halb Europa, nach Nordamerika und manchmal Asien ganz oben steht, der ist unwiderruflich zurecht dort.

Lara Gut-Behrami
Geboren am 27. April 1991. – Verheiratet mit Valon Behrami. – Wohnorte: Comano TI und Udine (Italien).

Die grössten Erfolge: Olympiasiegerin 2022 im Super-G. Gesamtweltcupsiegerin 2016. Weltmeisterin Super-G und Riesenslalom 2021. – Disziplinensiegerin Super-G-Weltcup 2014, 2016 und 2021. – 34 Siege, total 64 Podestplätze im Weltcup.

Die weiteren Medaillen: Bronze Abfahrt Olympische Spiele 2014. Bronze Riesenslalom Olympische Spiele 2022. – Silber Super-G WM 2013. Silber Abfahrt WM 2009. Silber Super-Kombination WM 2009. Bronze Abfahrt WM 2021. Bronze Super-G WM 2017. Bronze Abfahrt WM 2015.

Die Öffentlichkeit hatte sich da längst eine Meinung gemacht. Man liebte oder man hasste Lara Gut, kalt liess sie keinen, der sich für den Skisport interessierte. Aber je länger ihre Karriere nun schon dauerte, umso weniger schien das die Tessinerin zu kümmern. Sie wollte eh nur eines: schnell Ski fahren.

Der Wendepunkt in ihrem Leben

Als 2017 die Heim-Weltmeisterschaften in St.Moritz bevorstanden, galt Gut als logische Topfavoritin. Sie hatte im Vorfeld Weltcuprennen in der Abfahrt, im Super-G und im Riesenslalom gewonnen und trat nun an, endlich all die Goldmedaillen einzuheimsen, die ihr zuvor verwehrt blieben.

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Der 10. Februar 2017 verändert Lara Guts Leben.Bild: SRF

Die WM im Engadin wurde zu einem Wendepunkt. Nicht nur in ihrer Laufbahn, sondern in ihrem Leben. Nachdem Gut im Super-G die Bronzemedaille holte, lag sie in der Kombination nach der Abfahrt auf Rang 3. Eine weitere Medaille winkte. Doch dann das Drama: Beim Einfahren für den Slalom stürzte sie. Kreuzbandriss, Meniskusverletzung, Heim-WM vorbei, Saison vorbei, alle Chancen auf weitere Kristallkugeln dahin.

Doch Gut erhielt eine andere Chance: die, sich selber besser kennen zu lernen. Ein Jahrzehnt lang hetzte sie wie im Hamsterrad um die Welt. Konditionstraining im Frühling, dann Schneetraining in Argentinien oder Neuseeland im Schweizer Sommer, Formaufbau auf dem Gletscher daheim, dann die Rennen. Stets stand Lara Gut im Fokus, ob gewollt oder nicht, ob wegen ihrer Leistungen oder wegen anderem.

Trailer zum Dok über Lara Gut: «Looking For Sunshine».Video: YouTube/Niccolò Castelli

Was sie macht, geht die Öffentlichkeit nichts an

Längst war sie nicht mehr der aufstrebende Teenager. Sie war eine 26-jährige Frau. In erster Linie ein Mensch und erst in zweiter einer, der sehr schnell Skifahren kann. Ihr Bezug zum Leben sei ein anderer geworden, sagte sie rückblickend über die Verletzungspause. Dass ihr Körper die Pausentaste gedrückt hatte, erwies sich als Segen: «Es dauerte, zu realisieren, dass etwas nicht stimmt. Schliesslich habe ich Rennen gewonnen, konnte tun, was ich liebe: Ski fahren. Doch es ging nur darum, besser zu werden. Ich sagte mir immer: Das geht noch, da fehlt noch was. Ich war nie zufrieden. Es fehlte der Ausgleich in meinem Leben. Das Gleichgewicht.»

Sie fand diesen Ausgleich – und heiratete ihn. Seither tritt sie als Lara Gut-Behrami an und betont häufig, wie gut ihr die Beziehung zum früheren Fussballnationalspieler Valon Behrami tue. Wäre sie eine Provokateurin wie es die Sängerin Madonna in ihren besten Jahren war, sie würde ihre Erfolge mit dem Doppeladler-Jubel feiern. Einfach, um die Leser der Boulevardzeitung zur Weissglut zu treiben.

FUSSBALL WM 2018 Achtelfinale 03.07.2018 Schweden - Schweiz Valon Behrami (re, Schweiz) wird von Freundin, Skifahrerin Lara Gut (Schweiz) nach dem Ausscheiden getroestet *** FIFA World Cup 2018 Eighth ...
Als Fan auf der Tribüne: Trost für Valon Behrami nach dem Schweizer Ausscheiden an der WM 2018.Bild: imago sportfotodienst

Doch um die schert sich Lara Gut-Behrami nicht. Nebenschauplätze hat sie abgeschaltet, auf den sozialen Medien ist sie nicht mehr präsent. Was sie macht, geht die Öffentlichkeit nichts an. In Fernseh-Interviews wirkt sie reserviert, selbst nach erfolgreichen Rennen. Die Zeiten, als sie den Reportern ein Lächeln schenkte, oder ein knackiges Zitat, sind vorbei.

«Kein riesiger Unterschied, ob ich Gold habe oder nicht»

Die Bünzli-Schweiz verzweifelt häufig an ihrer besten Skirennfahrerin der Gegenwart. Doch die scheint befreiter denn je zu sein, nun da sie sich darauf konzentrieren kann, was sie am liebsten macht: Schnell Ski zu fahren. In Cortina d'Ampezzo ist Lara Gut-Behrami 2021 Doppel-Weltmeisterin geworden, in Super-G und Riesenslalom, dazu gewann sie Bronze in der Abfahrt.

Endlich baumelte nach dem ersten WM-Titel die so lange ersehnte Goldmedaille um ihren Hals – und was sagte sie? «Ich ging mit der Einstellung an den Start, dass ich nicht unbedingt Gold gewinnen muss. Mir war bewusst, dass es keinen riesigen Unterschied macht, ob ich Gold habe oder nicht. Wenn ich gewinne: Voll cool. Wenn nicht, dann ist es auch nicht so, dass die ganze Arbeit nichts wert ist.»

epa06534984 Lara Gut (L) of Switzerland reacts next to her father and coach, Pauli Gut, during the Women's Super-G race at the Jeongseon Alpine Centre during the PyeongChang 2018 Olympic Games, S ...
Bittere Tränen der Enttäuschung: An den Olympischen Spielen 2018 verpasst sie als Vierte um eine Hundertstelsekunde eine Super-G-Medaille.Bild: EPA/KEYSTONE

Nach einem schwierigen Winter 2021/22 – Grippe, Corona, Isolation und ein heftiger Sturz stoppten sie – stimmte an den Olympischen Spielen in Peking erneut alles. Sie gewann Bronze in ihrer Lieblingsdisziplin Riesenslalom und das verlieh ihr die Zuversicht für den Super-G.

Die Vergangenheit fährt immer mit

Ihr Weg, eigenwillig und selbstbestimmt, hat Lara Gut-Behrami zum Erfolg geführt. 34 Weltcuprennen hat sie gewonnen, von den vielen starken Schweizer Skirennfahrerinnen der Vergangenheit gewann nur Vreni Schneider (55) noch öfter. Sie gewann acht WM-Medaillen, eine mehr als Erika Hess und zwei mehr als Schneider. Von der Anzahl her nimmt es keine andere Schweizerin mit Gut-Behrami auf, die Farben sprechen noch für die anderen. Dank den beiden Titeln in den Dolomiten hat die Tessinerin zwei Goldmedaillen, Hess besitzt sechs, Schneider, Maria Walliser und Wendy Holdener je drei.

14.12.2019, St. Moritz, SUI, FIS Weltcup Ski Alpin, SuperG, Damen, im Bild Lara Gut-Behrami SUI // Lara Gut-Behrami of Switzerland in action during her run in the ladie s Super-G of FIS ski alpine wor ...
Wer will da schon nicht Skifahrerin sein? Lara Gut-Behrami in St.Moritz.Bild: www.imago-images.de

Die glorreiche Vergangenheit fährt immer mit, wenn in Schweizer Stuben ein Skirennen geschaut wird. Lara Gut-Behrami hält sich lieber in der Gegenwart auf. Und sie macht das, was sie schon immer am liebsten machte: schnell Skifahren.

Sie macht es für sich. Nicht für Verbandsfunktionäre, nicht für Reporter, nicht für die Schweiz. Sie verbiegt sich nicht, sie geht den Weg, den sie für richtig hält. Damit ist sie nicht nur eine im Berufsleben erfolgreiche Person geworden, sondern auch ein zufriedener Mensch, der mit sich im Reinen ist. Und das ist sowieso mehr wert als jede Medaille.

Dieser Artikel wurde nach der Ski-WM 2021 verfasst. Nach dem Olympiasieg 2022 in Peking wurde er aktualisiert.
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Die besten Bilder der Olympischen Spiele 2022 in Peking
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Die besten Bilder der Olympischen Spiele 2022 in Peking
Zum Abschied gibt's wie immer ein riesiges Feuerwerk.
quelle: keystone / wu hong
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Wenn Erwachsene im Schnee toben würden wie kleine Kinder
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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ChillDaHood
11.02.2022 14:09registriert Februar 2019
Das Siegerinterview mit ihr ist etwas vom Besten, selbst reflektierend und mit Lebensweisheit, was ich von Sportlern je gehört habe. Vorallem noch für sie in einer Fremdsprache...
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001620.39476059@apple
11.02.2022 14:47registriert Februar 2022
Lese gerade in San Francisco um 5 Uhr morgens dass Lara Olympiasiegerin geworden ist, und habe Tränen in den Augen! Bravo Lara, du bist eine unglaubliche Athletin! Und dies ist ein toller, würdiger Artikel - sehr gut geschrieben!
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Licorne
11.02.2022 14:37registriert Januar 2014
Was für eine Karriere - eine wahre Achterbahnfahrt. Lara hat sich nie kleinkriegen lassen, ist an Schlechtem stets gewachsen und hat zielstrebig ihren Weg verfolgt. Mit dem Ergebnis, dass sie nun eine der erfolgreichsten Schweizer Skirennfahrerinnen aller Zeiten ist. Ich habe den grössten Respekt vor dieser Frau und hoffe, dass wir sie noch viele Jahre an den Rennen dieser Welt anfeuern können.
Danke für alles, Lara.
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