Dann und wann erinnere ich mich an eine der amüsantesten Informationen, die mein Gedächtnis auf Kosten von möglicherweise Sinnvollerem wie dem Geburtstag der Schwiegermutter abgespeichert hat. Zum Sportler des Jahrhunderts des Fürstentums Liechtenstein wurde im Jahr 2000 tatsächlich ein Modellflugpilot gewählt.
Die Anekdote fiel mir beim Gedanken an Conny Kissling ein, die Schweizer Sportlerin des Jahres 1992. Als Skisportlerin war das eine naheliegende Wahl in unserem Alpenland. Doch Kissling war keine Rennfahrerin wie Vreni Schneider oder Maria Walliser. Sie war die Königin des Skiballetts.
Kurz gesagt war diese Sportart eine Mischung aus Eiskunstlauf und Bodenturnen auf Schnee. Zu selbst gewählter Musik vollführten Sportlerinnen und Sportler auf eher kurzen Skis Sprünge, sie fuhren vorwärts, rückwärts, seitwärts; sie zeigten Pirouetten – und Salti, bei denen sie sich auf ihren langen Stöcken abstützten.
Conny Kissling war die beste Ski-Ballerina ihrer Zeit. 34 Weltcupbewerbe gewann sie in dieser Disziplin, 106 insgesamt, und gleich zehn Mal in Folge den Freestyle-Gesamtweltcup.
Besonders bemerkenswert und heute undenkbar: Die akrobatische Oltnerin, die mit fünf Jahren mit klassischem Ballett begann, feierte auch Siege in den beiden olympischen Disziplinen Aerials und Buckelpiste. Als wäre Lara Gut-Behrami nicht nur auf der Rennpiste top, sondern auch noch im Skispringen und im Skicross.
Dass es eine andere Zeit war, zeigt auch der Blick in die «Glückspost» von damals. Heute würde wohl kaum mehr über eine Sportlerin geschrieben, sie habe sich «von der ‹Büromaus› in eine Schneeprinzessin» verwandelt.
1992 gewann Conny Kissling Olympia-Gold – wenigstens halb, denn das Skiballett war in Albertville ein sogenannter Demonstrations-Wettbewerb. In offizielle Statistiken fliesst die Medaille daher nicht ein.
Zur Wahl zur «Sportlerin des Jahres» reichte es der Ehefrau von Urs Lehmann, Swiss-Ski-Präsident und Abfahrts-Weltmeister von 1993, trotzdem. Denn das Alpinteam versagte an den Olympischen Spielen und gewann lediglich eine Bronzemedaille in der Kombination durch Steve Locher.
Den Sprung vom Demonstrations- zum etablierten Wettbewerb schaffte das Skiballett nicht. Ganz im Gegenteil: Kissling beendete ihre Laufbahn nach dem Triumph von Albertville, was in der Schweiz dazu führte, dass die Randsportart aus dem Sichtfeld geriet.
International verlief die Entwicklung parallel. In den 1980er-Jahren lagen die Ski-Freestyler mit ihren schrillen Outfits total im Trend, nun waren sie out, denn in den 90ern kam das Snowboard gross auf. «Wir müssen in unserem Sport das verkaufen, was wir können – und das andere sein lassen», sagte der Chef Skiakrobatik beim Schweizerischen Skiverband, um wenigstens die Disziplinen Aerials und Buckelpiste zu retten.
Den Sprung ins neue Jahrtausend überlebte der elegante Tanz auf schmalen Latten nicht. Die letzten Weltcupbewerbe organisierte der Ski-Weltverband FIS im Jahr 2000. Dann war das Skiballett tot.
Es starb in Schönheit. Und tanzt heute nur noch in Videos von früher.