Manchmal ist Iouri Podladtchikov mehr Philosoph als Sportler. Wenn er auf eine Frage antwortet, dann holt er manchmal minutenlang aus, um irgendwann dann doch noch auf den Punkt zu kommen. Einen Umweg in seiner Antwort macht er auch auf die Frage nach seinem Verzicht auf die Heim-Weltmeisterschaft im Engadin. Ab Mitte nächster Woche findet die Freestyle-WM rund um St. Moritz statt.
Natürlich wäre der Snowboard-Olympiasieger von 2014 nach seinem erfolgreichen Comeback im Weltcup eine Attraktion gewesen für die Schweizer Fans. In Laax verpasste Podladtchikov als Siebter in seinem Halbfinal nur knapp den Finaleinzug, in Calgary erreichte er diesen – und klassierte sich als Sechster.
Danach aber der Schock: Medien vermelden, dass Iouri Podladtchikov wegen einem Kreuzbandriss an der WM fehlt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, wenn man beim Zürcher selber nachfragt. «Ich wäre auch sonst nicht gefahren», sagt der 36-Jährige.
Dann holt Podladtchikov aus: «Für mich war die WM von Beginn an kein grosses Thema. Es ist nicht mein Ziel, wieder voll in den Profisport zu gehen. Das Snowboarden ist nicht mehr mein Beruf. Doch mein Ziel ist Olympia. Darauf bereite ich mich vor. Eine WM ist ein Grossanlass und kein Weltcup. Dabei reicht es nicht, einfach nur ein bisschen mitzufahren. Und um vorne dabei zu sein, bin ich noch nicht genug vorbereitet.»
Der Verzicht hat also nur am Rande mit Podladtchikovs Gesundheitszustand zu tun. Sein Kreuzband sei zwar gerissen, sagt er. Doch er sagt auch: «Ich bin nicht verletzt! Ich bin kein Patient.» Tatsächlich steht er trotz gerissenem Kreuzband immer noch auf dem Snowboard und dem Skateboard. Ein gerissenes Kreuzband, aber nicht verletzt? Es ist kompliziert.
Im Training gleich vor der Qualifikation in Calgary stürzte Podladtchikov. Wobei es viel mehr ein «Hinsetzen» war, wie er erzählt. «Ich spürte zwar einen kurzen heftigen Schmerz, hatte aber überhaupt nicht das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.» Podladtchikov nahm den Lift und machte nochmals einen Run. Danach fuhr er die Qualifikation erfolgreich, im Final klassierte er sich trotz schwierigen Bedingungen von -25 Grad Celsius unter den besten sechs der Welt.
Danach schmerzte das Knie und er machte eine MRI. Dabei wurde ein Muskelkapselriss festgestellt – und ein Kreuzbandriss im rechten Knie. Die Frage, die sich dazu allerdings stellte: Ist der Riss neu oder schon älter? «Niemand von den Spezialisten kann sagen, ob der Riss frisch ist», sagt Podladtchikov, der selber davon ausgeht, dass er schon von Beginn seines Comebacks mit gerissenem Kreuzband gefahren ist. Möglicherweise habe er sich diese Verletzung in der Zeit, in der er nur freizeitlich Sport betrieben habe, zugezogen, ohne sogleich einen Arzt aufzusuchen. Diese Vermutungen seien wahrscheinlich, da bei Tests beide Knie als gleich stark eingestuft werden.
Noch könnte sich Podladtchikov für eine Operation entscheiden. Das ist aber nur die zweite Option. Stattdessen baut er bereits seine Fitness auf, ist seit seinem Sturz schon oft wieder auf dem Board gestanden. «Derzeit fahre ich aber eher ein bisschen hobbymässig», sagt er. «Normalerweise sollte ich in den nächsten Wochen wieder topfit sein, wenn der Muskelkapselriss verheilt ist. Für mich ist das jetzt eine Art Probezeit. Wenn es nach den sechs Wochen noch nicht besser ist, dann könnte es doch ein Problem geben mit dem Kreuzband.»
Kurz habe Podladtchikov mit dem Gedanken gespielt, sein Projekt Olympia, das er Anfang Jahr erst gestartet hat, schon wieder zu beerdigen. «Ich glaube, ich habe mir diese Option zuerst erlauben müssen, um danach zu entscheiden, dass ich es weiterziehen möchte.» Mit einer Teilnahme an den Olympischen Spielen im kommenden Jahr in Norditalien möchte der Künstler sein Werk fertig malen, das ihm wegen vielen Verletzungen zum Ende seiner ersten Karriere verwehrt blieb.
Sein Ziel ist der beste Lauf seines Lebens. Dabei geht es für den Olympiasieger von 2014 nicht um das Resultat, sondern um die Art und Weise. «Ich hatte einige der Tricks, die heute zum Standardrepertoire gehören, schon vor meinem Rücktritt geübt. Aber wegen meinen Rückschlägen konnte ich sie nie in einem Lauf zeigen. Sie jetzt in einem Lauf zu zeigen, ist mein Ziel.»
In einem rund zweistündigen Gespräch gewährt Podladtchikov Einblick in seine Gefühlswelt. Oft fühlt er sich von der öffentlichen Meinung über ihn missverstanden. «Viele verstehen nicht, dass ich kein Profisportler mehr bin. Ich habe ein Leben, das ich jetzt genau gleich weiterführe wie vor meiner Rückkehr. Wenn alles gut geht, fahre ich im nächsten Jahr an den Olympischen Spielen mit – und das je nachdem auch ohne Sponsoren. Ich habe keine Verpflichtungen gegenüber dem Sport.»
Missverstanden fühlt er sich auch in Bezug auf seinen Kreuzbandriss, den die Medien zunächst so vermeldet haben, als sei die Saison für ihn jetzt zu Ende. Dabei ist Iouri Podladtchikov überzeugt, dass er sehr bald wieder die grossen Tricks in der Halfpipe trainieren kann. «Ende April habe ich nochmals ein Trainingslager geplant. Ich gehe davon aus, dass ich mich dann intensiv auf die Olympischen Spiele vorbereiten kann.» Der Traum vom perfekten Abgang auf grösstmöglicher Bühne bleibt. (aargauerzeitung.ch)