Wirtschaft
Schweiz

Inflation: «Die Nationalbank toleriert einen etwas stärkeren Franken»

Interview

Um die Inflation abzufedern: «Die Nationalbank toleriert einen etwas stärkeren Franken»

Während im Ausland die Inflationsraten den Zentralbankern Sorgenfalten bereiten, sieht die Nationalbank den nächsten Monaten gelassen entgegen. Hierzulande steigen die Preise moderat – mit ein Grund: unsere Währung.
17.12.2021, 06:35
Roman Schenkel / ch media
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Panik in den USA, Sorgen in Europa. Die Nationalbank dagegen bleibt ruhig. Sie sieht wegen der Inflation keinen grossen Handlungsbedarf.
Claude Maurer:
Der Entscheid der Nationalbank überrascht nicht. Ihre Daten zeigen, dass die Inflationsprognose längerfristig in ihrem Zielbereich bleibt. Eine Zinserhöhung pressiert also nicht.

Nähern sich der Parität an: Der Euro und der Franken.
Nähern sich der Parität an: Der Euro und der Franken.Bild: shutterstock.com

Weshalb die grossen Unterschiede zwischen der Inflation in der Schweiz und im Ausland?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Es gibt Unterschiede im Warenkorb. Im Vergleich zu europäischen Ländern etwa geben Schweizerinnen und Schweizer weniger Geld für Gas oder Öl aus. In der Schweiz ist es rund 5 Prozent des Budgets, in Europa 10 Prozent. Anders als im Ausland sind in der Schweiz zuletzt die Preise für die Gesundheitskosten gesunken. Das hat auch einen Effekt. Oder die Preise für Nahrungsmittel. Hat die Landwirtschaft ein schlechtes Jahr, sinken in der Schweiz in der Regel die Preise, da ausländische Produkte günstiger sind als einheimische.

Claude Maurer, Chefökonom Schweiz bei Credit Suisse.
Claude Maurer, Chefökonom Schweiz bei Credit Suisse.Bild: pd

Wie gross ist der Frankeneffekt?
Der Franken ist derzeit nicht der Haupttreiber für die tieferen Inflationswerte, aber er hat Einfluss. Je stärker der Franken, desto günstiger sind Importe. Das beeinflusst das Preisgefüge in der Schweiz. Es gilt die Faustregel: Erhöht sich der Franken um 10 Prozent, steigt die Inflation um 0.5 Prozent. Als Hochpreisinsel ist die Schweiz relativ gut geschützt gegen einen starken Anstieg der Inflation.

Der Franken ist allerdings schon jetzt hoch bewertet.
Ja, das hat die SNB betont. Sie hat gemäss unseren Informationen auch entsprechend interveniert, allerdings wehrt sie sich nicht mit allen Mitteln gegen die Aufwertung. Die Nationalbank toleriert einen etwas stärkeren Franken. Das ist ein erster Schritt in eine Normalisierung der Geldpolitik.

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Unter welchen Szenarien könnten Sie sich eine noch höhere Inflation in der Schweiz vorstellen?
Das Risiko für die Schweiz liegt im Ausland. Einem starken und langfristigen Preisanstieg im Ausland könnte sich auch die Schweiz nicht entziehen. Der Franken würde zu Beginn viel absorbieren. Doch ab einem bestimmten Niveau müsste die Nationalbank eingreifen, sonst würden gewisse Bereiche der Schweizer Wirtschaft leiden. Ein Szenario für hohe Inflationswerte nur in der Schweiz ist aber schwierig zu finden.

Weshalb?
Eine wichtige Komponente ist das Wohnen. Die Preisanstiege bei den Mieten bei bestehenden Wohnungen sind aber sehr schwach. Diese sind an den Referenzzinssatz gebunden, welcher träge ist. Der Referenzzinssatz bildet ja die Summe aller Hypotheken ab – und die sind meist längerfristig. Dasselbe gilt für Haus- und Wohnungseigentümer. Sie sind in der Regel mit langfristigen Hypotheken gegen einen sprunghaften Anstieg abgesichert.

Wo spüren wir die Inflation konkret?
Die Kosten für Gas-, Erdöl- und Strompreise sind stark angestiegen,. Auch der Benzinpreis ist höher. Da die Steuern einen Grossteil des Preises ausmachen, ist der Anstieg aber da nicht sehr gross. Besonders bemerkbar macht sich der Preisanstieg bei Gütern mit Knappheit: bei Autos oder gewissen Elektronikprodukten.

Wie schützt man sich am besten?
Inflation frisst buchstäblich Geld auf. Bei den tiefen Zinsen hat Bargeld auf einem Konto einen schlechten Schutz. Es lohnt sich also, in reale Werte zu investieren. Aktien sind naheliegend, Immobilien oder Gold. Wobei der Goldpreis sensitiv auf Zinsbewegungen reagiert.

Aktien heisst mehr Risiko.
Das ist eine individuelle Risikoabwägung. Das Risiko der Inflation ist relativ einfach zu kalkulieren. Es trifft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu. Wann und ob die Aktienmärkte korrigieren hingegen, ist schwierig zu vorauszusagen.

Die Nationalbank spricht immer von der Verankerung der Inflationserwartungen. Was ist damit gemeint?
Inflation ist unter dem Strich ein selbstverstärkender Effekt. Wenn das Vertrauen ins Geld verloren geht, werden die Preise angehoben, um Ausfälle zu kompensieren. Das führt dazu, dass eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Denn steigen die Preise, müssen auch die Löhne steigen, was wiederum zu höheren Preisen führt. In der Schweiz ist das Vertrauen ins Geldsystem hoch. Man ist sich gewohnt, dass die Teuerung tief ist. Zu den grossen Inflationswellen haben Schocks von aussen geführt. Der starke Anstieg des Ölpreises hat in den 70er und den 80er Jahren zu hohen Inflationsraten in der Schweiz geführt.

Der Ölpreis ist stark gestiegen.
Im Moment ist es eine Mischung von gestiegenen Erdölpreisen, Zentralbanken, die sehr gefordert sind und Staaten, die viel Geld ausgeben. Es ist etwas unklar, in welche Richtung es geht. Ist die Teuerung nur temporär oder permanent? Dabei haben die Zentralbanken nichts gegen etwas höhere Inflation.

Weshalb?
Negativzinsen und negative Teuerung sind auf Dauer nicht gut. Wenn immer mit tieferen Preisen gerechnet wird, werden Investitionen hinausgeschoben. Das kann zu Deflation führen. Die Nationalbank hat das Ziel, die Inflation unter 2 Prozent zu halten, nicht bei null. Das Risiko bei steigender Inflation ist, dass sie sich entankert und sich die Geister, die man geweckt hat, verselbstständigen.

Das fürchtet aktuell der Präsident der US-Zentralbank FED. Er spricht nicht mehr von einem «vorübergehenden» Phänomen.
Fürs FED ist die Inflation derzeit das grössere Risiko als die neue Virusvariante Omikron. Sie wird deshalb im kommenden Jahr die Zinsen in mehreren Schritten erhöhen. Die USA funktionieren aber auch sehr verschieden. Das Instrument Kurzarbeit kennt man nicht. Es gab während der Pandemie deshalb viele Entlassungen. Nun müssen diese Leute wieder eingestellt werden. Dabei sind die Lohnverhandlungen geprägt von den aktuell steigenden Preisen. Unsere Prognose sagt für die USA denn auch in der Tendenz eine höhere Inflation voraus.

Kommen die Zeiten mit hohen Inflationsausschlägen wie in den 70er und 80 er Jahren zurück?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Schwenkungen wieder grösser sein werden als in der jüngeren Vergangenheit. Wir verlassen eine lange Phase mit sehr tiefer Inflation. Die Ausschläge werden aber kaum so stark sein wie damals. (aargauerzeitung.ch)

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