Stürme, Dürre, Überschwemmungen: Die Klimaerwärmung ist da. An der Einsicht, rasche und effektive Massnahmen dagegen zu unternehmen, fehlt es jedoch. Die Klimaleugner haben einen neuen Verbündeten gefunden: das Inflationsgespenst.
Es handelt sich um einen mächtigen Verbündeten. Inflation löst bei den Menschen Angst aus, vor allem, wenn sie für jedermann sicht- und spürbar werden. Ökonomen witzeln daher, dass die beste Inflation diejenige sei, die niemand wahrnimmt. Das ist derzeit in den USA nicht der Fall. Die Teuerung äussert sich vor allem in massiv gestiegenen Preise für Benzin und Lebensmittel und trifft daher alle Menschen unmittelbar.
Republikaner und die konservativen Medien nützen die Situation aus und unternehmen alles, um eine Gilets-jaunes-Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung zu erzeugen. Vor allem die eh schon benachteiligten Arbeiterinnen und Arbeiter seien die Opfer der Inflation, sagen sie. Die wohlhabende Elite hingegen könnten dies locker verkraften und legten daher die Hände in den Schoss.
Soweit zur Polemik. Nun zu den Fakten:
Der zweite Teil von Bidens Build-Back-Better-Plan soll in den kommenden Wochen vom Kongress verabschiedet werden. Er sieht Ausgaben von rund 1,7 Billionen Dollar, verteilt auf zehn Jahre, vor. 550 Milliarden Dollar sind für den ökologischen Umbau bestimmt, eine Art Mini-Green-New-Deal.
Nun sei nicht der Zeitpunkt, diesen Plan zu verabschieden, heulen die Republikaner. Er werde die Inflation noch weiter anheizen und somit zu einer ungerechten Steuer für den Mittelstand werden.
Auch Joe Manchin, der konservative demokratische Senator aus West Virginia, heult mit. «Die Menschen in West Virginia machen sich wegen der steigenden Inflation Sorgen», tweetete er kürzlich. «Wir können nicht die Vorsicht in den Wind schlagen und Schulden anhäufen, die sich das Land nicht leisten kann.»
Manchin spricht damit aus, was die meisten von uns denken: Inflation tritt dann auf, wenn zu viel Geld zu wenig Güter und Dienstleistungen jagen. Weil die Zentralbanken sehr viel Geld gedruckt haben, um die Wirtschaft während der Coronakrise über Wasser zu halten, tritt nun unweigerlich das Inflationsgespenst auf den Plan.
Das scheint einleuchtend, ist jedoch zu kurz gesprungen. Solange das Wirtschaftswachstum höher liegt als die Leitzinsen, sind Staatsschulden tragbar und heizen die Inflation nicht an, besagt ein Gesetz der Ökonomie. Deshalb sind die Defizite weit weniger bedrohlich als vorgegaukelt.
17 Wirtschafts-Nobelpreisträger – darunter auch konservative – haben daher einen Appell unterzeichnet, in dem sie versichern, der Infrastrukturplan heize die Inflation nicht an, sollte die Finanzierung gesichert sein.
Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des Beratungsunternehmens Moody’s Analytics. Die beiden Infrastrukturprogramme würden zusammengenommen die Teuerung im kommenden Jahr um höchstens 0,3 Prozentpunkte antreiben, lautet die Schlussfolgerung der Studie.
Die Biden-Regierung argumentiert gar, dass ihr Programm die Inflation dämpfen werde, und zwar aus zwei Gründen: Erstens werde eine moderne Infrastruktur die Produktivität der Wirtschaft erhöhen; und zweitens werde der soziale Teil des Programms – Gratis Kitas und Steuervergütung für Kinder – dazu führen, dass mehr Frauen in den Erwerbsprozess zurückkehren und so den akuten Mangel an Arbeitskräften lindern.
Inflation ist nicht immer gleich Inflation. Die Panikmacher vergleichen die Situation mit den 70er Jahren. Damals hatte ein unvermittelter und massiver Anstieg des Erdölpreises einen Teuerungsschub ausgelöst. Weil die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen noch durchsetzen konnten, und weil die Regierung von Präsident Jimmy Carter nicht wirklich geschickt agierte, stellten sich sogenannte Zweitrunden-Effekte ein.
Das hatte zur Folge, dass die Inflation zu einem Selbstläufer wurde. Höhere Preise für Güter und Dienstleistungen hatten höhere Löhne zur Folge und das wiederum höhere Preise, etc. Die Wirtschaft verfiel so in die schlechteste aller Welten, in eine Stagflation. Will heissen: Die Inflationsspirale drehte sich munter weiter, während das Wachstums stagnierte.
Eine Stagflationsgefahr malen die Panikmacher erneut an die Wand. Zu Unrecht, stellt Nobelpreisträger und Kolumnist Paul Krugman in der «New York Times» fest. Er vergleicht die aktuelle Situation mit der Lage in den Jahren 1946-48. Auch damals wurden die USA von einem heftigen Inflationsschub heimgesucht. Die Teuerungsrate kletterte zeitweise bis zu 20 Prozentpunkten in die Höhe.
Auch damals wurde dieser Schub dadurch ausgelöst, dass die amerikanischen Konsumenten das Geld ausgeben wollten, dass sie während der Kriegsjahre angespart hatten. Die Wirtschaft war nicht sofort in der Lage, diese Nachfrage zu bedienen.
Der Inflationsschub der Nachkriegsjahre war begleitet von einem kräftigen Lohnwachstum. Das ist auch derzeit der Fall. Die Löhne des Servicepersonals beispielsweise sind um rund 13 Prozent gestiegen. Die lange mies bezahlten Lastwagenfahrer können derzeit bis zu 100’000 Dollar pro Jahr verdienen. «Vor allem die Löhne der untersten Lohnklasse haben zugelegt», stellt daher Krugman fest.
Mit der Inflation ist nicht zu spassen. Doch den Green New Deal, oder was davon übrig geblieben ist, mit dem Inflationsgespenst abwürgen zu wollen, ist ökonomisch unsinnig und ökologisch verantwortungslos. Gut bezahlte Jobs für Menschen ohne Hochschulabschluss werden damit verhindert und der dringend notwendige Kampf gegen die Klimaerwärmung einmal mehr auf die lange Bank geschoben.
Jason Furman, Ökonomieprofessor an der Harvard University, stellt denn in der «New York Times» auch fest: «Bezüglich Verbesserungen im Klimawandel und neuen Möglichkeiten in der Arbeitswelt überwiegen die Vorteile von Build-Back-Better die Vorteile in Sachen Inflation bei Weitem.»