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Fertig Negativzinsen: Nationalbank beendet ein historisches Experimente

Fertig mit Negativzinsen: Das Ende eines historischen Experimentes – und was es bedeutet

Jetzt steigt voraussichtlich auch die Nationalbank und damit die Schweiz aus dem Negativzinsregime aus.
22.09.2022, 07:20
Niklaus Vontobel und Florence Vuichard / ch media
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Im Juni hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren Leitzins erstmals seit 15 Jahren wieder erhöht – und zwar auf -0,25 Prozent. Heute Donnerstag dürfte der nächste Schritt folgen und damit das Ende der Negativzinsära besiegeln. Das müssen Sie in Erwartung dieses historischen Entscheids wissen.

Schweizer Franken: Noten auf schwarzem Hintergrund.
Die Zinswende steht der Schweiz bevor.Bild: Shutterstock

Endet nun das Negativzinsregime in der Schweiz?

Sehr wahrscheinlich schon. SNB-Chef Thomas Jordan dürfte den Leitzins nun um 0.5 oder gar 0,75 Prozentpunkte erhöhen und damit wieder über die Nulllinie heben – und damit ein Stück schweizerischer Wirtschaftsgeschichte schreiben. Das jedenfalls erwarten die Experten. «Wir halten eine Zinserhöhung um 75 Basispunkten am Donnerstag für wahrscheinlich», hält etwa Timothy Graf vom Finanzinstitut State Street fest. Auch bei der Grossbank UBS heisst es, die SNB werde wohl wieder zu positiven Leitzinsen zurückkehren, und auch sie hält einen Schritt von 0,75 Prozentpunkten für möglich: «Wir erwarten bis Mitte 2023 einen Anstieg der Leitzinsen auf 1,25 Prozent.» Nach mehr als siebeneinhalb Jahren wäre damit vorbei, was als historisches geldpolitisches Experiment beschrieben wurde. Wer der SNB sein Geld lieh, erhielt keinen Zins, sondern musste einen Zins zahlen.

Seit wann galt es? Und wieso wurde es eingeführt?

Eingeführt wurde das Negativzinsregime im Dezember 2014. Im Januar 2015 entschloss sich die SNB zur Aufhebung des Mindestkurses. Der Zufluss von Geldern aus dem Euroraum wäre zu gross geworden, argumentierte die SNB, sie hätte zu viele Euros aufkaufen müssen. Der damalige SNB-Vizedirektor Fritz Zurbrügg sagte gegenüber Medien: «Der Mindestkurs hätte nicht mehr durchgehalten werden können.» Um eine weitere rasche Aufwertung des ohnehin schon überbewerteten Frankens gegenüber dem Euro und dem Dollar zu bremsen, wurde der Leitzins im Januar 2015 auf das beispiellose und weltweit niedrigste Niveau von -0,75 Prozent gesenkt.

Warum erfolgt die Zinswende gerade jetzt?

Die westlichen Industriestaaten erleben seit dem Abebben der Coronakrise eine Rückkehr der Inflation. In der Schweiz lag die Teuerung zuletzt bei 3,5 Prozent, zuvor gab es ein Jahrzehnt lang so gut wie keine Teuerung. Die USA hatten im August eine Teuerung von 8,3 Prozent zum Vorjahresmonat. In der Eurozone wurde von einer Teuerung von 9,1 Prozent gemessen. Teurer wurden vor allem die verschiedenen Energieträger – also Benzin, Heizöl, Gas oder Strom –, aber auch Lebensmittel. Von Statistikamt der Europäischen Union kam diese Woche die Meldung: «Brot ist teurer denn je», es koste 18 Prozent mehr als vor einem Jahr. Gegen diese Inflationsrückkehr kämpfen die Zentralbanken nun an, indem sie ihre Leitzinsen anheben. Oder anders gesagt: Sie treten mit Zinserhöhungen auf die konjunkturelle Bremse, was sich wiederum dämpfend auf das Preisniveau auswirken sollte.

Was sind die konkreten Folgen der Zinswende?

Die höheren Leitzinsen werden von den Banken sogleich weitergegeben. Geld wird so teuer, für alle. Die Zinsen auf Hypotheken steigen, ebenso solche auf Konsumkredite oder Betriebskredite. An den Kapitalmärkten steigen die Zinsen ebenso: Grosse Firmen und Staaten müssen mehr auf ihre Anleihen zahlen. Dann geht es weiter in der Kausalkette: Gelder fliessen in solche Anleihen ab, die nun mehr Rendite bringen – abgezogen werden diese Gelder aus Aktien, worauf deren Kurse tendenziell absinken würden aus den aktuell eher luftigen Höhen. Das erklärt die hohe Nervosität an den Aktienmärkten – und die tendenziell sinkenden Börsenleitindizes. Der Schweizer Leitindex SMI etwa steht derzeit fast 19 Prozent tiefer als noch zu Jahresanfang.

Was bedeutet das jetzt für den Immobilienmarkt?

Was höhere Zinsen bewirken können, hat ein SNB-Direktor in einer Rede so ausgedrückt: «Eine deutliche Straffung der finanziellen Bedingungen könnte eine Korrektur am Immobilienmarkt auslösen.» Eine Korrektur, das wäre ein Absinken der Immobilienpreise um 10 Prozent oder mehr. Dergleichen kann durch höhere Zinsen ausgelöst werden, weil diese die Nachfrage nach Immobilien schwächen. Die Banken verlangen höhere Hypothekarzinsen, der Kauf wird teurer, weniger Menschen können es sich leisten. Und Wohneigentum wird weniger attraktiv als Anlageklasse. Das Kaufen und Weitervermieten lohnt sich weniger, weil Anleihen von Staaten oder Unternehmen nun mehr Zinsen abwerfen. So bricht Nachfrage weg – und die Preise sinken.

Jedoch ist die Frage, um wie viel die Zinsen steigen müssen, damit es auf dem Immobilienmarkt zu einer Korrektur kommt. Befragte Experten gehen davon aus, dass die Leitzinsen der Nationalbank dafür noch deutlich höher steigen müssten. In einem einzelnen Segment ist es allerdings schon zu rückläufigen Preisen gekommen, und zwar bei Wohnrenditeliegenschaften oder Buy-to-let-Objekten. Das sind Wohnungen, die gekauft und weitervermietet werden, zum Beispiel von Versicherungen oder vermögenden Privatpersonen. Im Ausland sind die Preise in einigen Städten schon gesunken. Die Newsagentur «Bloomberg» titelte kürzlich: «Von Sydney über Stockholm bis nach Seattle ziehen sich die Käufer zurück, was zu einem Rückgang der Immobilienpreise führt.» Ein Analyst der Grossbank UBS sagte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es in weiteren Städten zu Preisrückgängen komme.

Was bedeutet das für die Wechselkurse?

Tendenziell sollten sich die Währungen aufwerten von Ländern, deren Zentralbanken ihre Leitzinsen erhöhen. Denn die hohen Zinsen ziehen Investoren an, die sich höhere Renditen auf ihre Gelder versprechen – und die Nachfrage nach einer Währung steigt. So weit die Theorie. In der Realität spielen noch zig andere Entwicklungen mit hinein. So erhöht ja nicht nur die SNB ihre Leitzinsen. Zuvor hat es in den USA schon die Federal Reserve Bank (Fed) getan. Von der Europäischen Zentralbank (EZB) werden ebenfalls weitere Zinserhöhungen erwartet. Und dann können auch wirtschaftlichen Aussichten die Devisenkurse verschieben oder unterschiedliche Inflationsraten.

Aktuell sind folgende Trends zu beobachten. Der Euro verliert zum Franken laufend an Wert. Zuletzt lag er deutlich unter der Marke von 96 Rappen und Experten rechnen schon mit einem Kurs von 90 Rappen. Und die aggressiven Leitzinserhöhungen der US-Fed haben eine starke Dollar-Aufwertung ausgelöst: Der Dollar wertet sich zu den meisten Währungen gerade stark auf, was das «Wall Street Journal» so kommentierte: «Der Anstieg des Dollars bringt Probleme für die Weltwirtschaft mit sich.» So werden viele Rohstoffe, Rohöl zum Beispiel, weltweit in Dollar gehandelt. Wird der Dollar teurer, wird für viele Länder darum auch Erdöl viel teurer. Es scheint noch immer zu gelten, was vor 50 Jahren der damalige US-Finanzminister John Connally seinen erstaunten Amtskollegen erklärte: «Der Dollar ist unsere Währung, aber es ist euer Problem.»

Steigen jetzt die Sparzinsen wieder?

Bisher nicht. Oder noch nicht. Denn steigen die Leitzinsen weiter, müsste dies irgendwann der Fall sein. Vom Vergleichsdienst Moneyland.ch heisst es auf Anfrage: «Bei den Zinsen auf den Bankkonten hat sich noch praktisch nichts geändert, diese waren eigentlich wenn überhaupt bis jetzt immer noch am Sinken.» Einzig eine Erhöhung habe es bei Yuh gegeben, eine Tochter von Postfinance und Swissquote. «Aber das ist eine Ausnahme.» Doch dies könne sich ändern, wenn die SNB tatsächlich einen grösseren Zinsschritt unternehme.

Dieses gemächliche Tempo wird von vielen Bankenkundinnen und Bankenkunden als störend wahrgenommen. Denn auf der anderen Seite waren die Banken sehr schnell darin, ihre Zinsen auf Hypotheken zu erhöhen. Und zuletzt rechnete Raiffeisen Schweiz vor, wie viel Geld den Banken zufliessen wird durch die Leitzinserhöhungen der SNB. Denn das Anheben über die Nulllinie wird sich die SNB etwas kosten lassen müssen. Um die Sichteinlagen zu verzinsen, die die Banken aktuell bei ihr haben, muss die SNB für jeden 0,25 Prozentpunkt bis zu 1,8 Milliarden Franken aufwenden. Bei einem Leitzins von 1 Prozent wären das also gut 7 Milliarden Franken.

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