1950 erhielt Tadeus Reichstein den Nobelpreis für Chemie. Dem Schweizer Chemiker, der zusammen mit den amerikanischen Forschern Edward Clavin Kendall und Philip S. Hench in Stockholm ausgezeichnet wurde, war es gelungen, einen Stoff herzustellen, der die Medizin revolutionieren sollte: Cortison.
Seine Effizienz und aussergewöhnliche Bandbreite, die selbst jene des Allzweckmittels Aspirin übertrifft, hat dem Cortison schnell den Nimbus eines Wundermittels eingetragen. Zugleich zeigten sich aber auch zum Teil bedrohliche Nebenwirkungen, die zwar heute bei korrekter Anwendung weitgehend vermieden werden können, den Ruf des Medikaments aber nachhaltig beschädigt haben.
Cortison – auch «Kortison» genannt – ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine Medikamentengruppe, die Substanzen mit cortisonähnlicher Wirkung enthält. In der Chemie fasst man diese Substanzen unter dem Begriff «Glucocorticoide» zusammen. Darin stecken die Wörter «Glukose» (Glukose, ein Zucker, ist abgeleitet von griechisch γλυκύς – «süss») sowie cortex (lateinisch für «Rinde»). Die Bezeichnung verweist zum einen auf die Rolle, die Glucocorticoide im Glukosestoffwechsel spielen, und zum andern auf den Ort, wo sie im Körper produziert werden, nämlich in den Rinden der Nebennieren.
Künstliche Glucocorticoide ähneln in ihrer Wirkung einer Reihe von körpereigenen Steroidhormonen (Hormone übertragen Signale und lösen dadurch bestimmte Reaktionen im Stoffwechsel aus). Der Körper bildet diese Hormone in der Zona fasciculata der Nebennierenrinden, unter anderem aus Cholesterin. Das wichtigste von ihnen, Cortisol, gilt auch als «Stresshormon», das den raschen Abbau von Nährstoffen wie Kohlenhydraten, Fetten und Eiweissen fördert und auf diese Weise Energie für Angriff oder Flucht bereitstellt.
Das lebenswichtige Hormon steuert daneben auch den Mineral- und Wasserhaushalt und ist verantwortlich für Herz-Kreislauf-Funktionen; es beeinflusst unter anderem den Blutdruck. Schliesslich – und das ist medizinisch am meisten von Belang – dämpft Cortisol auch Entzündungsprozesse (antiphlogistischer Effekt) und die Antikörperproduktion des Immunsystems.
Cortison wirkt als Medikament wie das Hormon, allerdings nur in Dosierungen, die über dem natürlichen Hormonspiegel liegen. Dieser schwankt allerdings im Verlauf des Tages beträchtlich, denn das Hormon wird nicht kontinuierlich, sondern in 7 bis 10 Schüben pro Tag ausgeschüttet. Die grösste Menge gelangt normalerweise morgens früh zwischen 6 und 8 Uhr ins Blut, danach nimmt die Produktion wieder ab und erreicht das Minimum am Abend. Deshalb spielt bei der Verabreichung von Cortison der sogenannte «Cortisol-Regelkreis» eine wichtige Rolle.
Die wichtigste Anwendung von cortisonartigen Medikamenten ist die Hemmung von Entzündungen. Cortison bremst die Aktivität der Lymphozyten (weisse Blutkörperchen) und vermindert die Neubildung von zellschädigenden Enzymen und entzündungsfördernden Botenstoffen, die beispielsweise dann entstehen, wenn das Immunsystem körperfremde Substanzen erkennt.
Überreaktionen des Immunsystems, die bis zu einem allergischen Schock gehen können, lassen sich mit Cortison dämpfen. Derselbe Effekt wird bei Organtransplantationen genutzt, um zu verhindern, dass der Körper das neue Organ abstösst.
Die Liste der Gebrechen, gegen die Cortison überdies eingesetzt wird, ist beeindruckend:
Cortison heilt freilich keine Krankheiten. Das Medikament kann jedoch lebensbedrohliche Situationen entschärfen und generell Symptome lindern, so dass nach deren Abklingen eine Therapie – falls möglich – mit anderen Medikamenten erfolgen kann.
Grundsätzlich treten bei der lokalen Verabreichung von Cortison – beispielsweise als Salbe oder Spray – deutlich weniger Nebenwirkungen auf als bei der systemischen Anwendung, also peroral oder intravenös. Bei lokaler Anwendung gelangt der Wirkstoff überhaupt nicht oder nur in geringen Mengen in den Blutkreislauf.
Zudem sind unerwünschte Wirkungen bei niedriger Dosierung seltener; sie treten eher auf bei langfristigen und hochdosierten Behandlungen. Aus diesem Grund sollte man cortisonhaltige Medikamente nur dann anwenden, wenn sie wirklich nötig sind, ausserdem so kurz und niedrig dosiert wie möglich. Von Selbstmedikation ist abzuraten; ohnehin sind die meisten Medikamente rezeptpflichtig.
Zu den möglichen Nebenwirkungen gehören Bluthochdruck und ein stärkeres Hungergefühl. Manchmal kommt es zu Hautveränderungen wie Pickelbildung oder kleineren Blutungen. Falls eine Salbe angewendet wird, sollte dies höchstens drei Wochen hintereinander geschehen, um die Haut zu schonen. Bei Missbrauch kann die Haut dünn und äusserst verletzlich werden – eine sogenannte «Pergament-Haut».
Wird Cortison kurzfristig und hochdosiert systemisch verabreicht, können neuropsychiatrische Symptome auftreten, beispielsweise Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Euphorie, Depressionen und Psychosen.
Bei Langzeitbehandlungen, vor allem wenn höher dosiert wird, kann es zu einer Entkalkung der Knochen kommen. Um eine solche Osteoporose zu verhindern, erhalten viele Patienten zusätzlich Calcium und Vitamin D. Eine weitere mögliche Folge sind Probleme mit den Augen – durch den Anstieg des Augeninnendrucks drohen ein Grauer oder Grüner Star.
Patienten, die über einen langen Zeitraum cortisonhaltige Präparate einnehmen, müssen mit einem Anstieg des Blutzuckerspiegels rechnen, was zu einem Diabetes mellitus führen kann. Eine weitere Folge davon ist Muskelschwäche. Zudem ist das Risiko für Herz- und Gefässerkrankungen erhöht.
Besonders gefürchtet ist das Cushing-Syndrom, das durch einen hohen Cortisolspiegel im Blut verursacht wird: Es führt zu äusserlichen Veränderungen, die als belastend empfunden werden, beispielsweise einem «Vollmondgesicht», Fettanlagerung an der Körpermitte oder im Nacken, Wasseransammlungen im Gewebe. Daneben treten eine ganze Reihe von Symptomen auf, etwa Akne, Zyklusstörungen bei Frauen, Impotenz bei Männern, verlangsamte Wundheilung, erhöhte Anfälligkeit für Infekte oder übermässige Behaarung.
Trotz der langen Liste der Nebenwirkungen ist der schlechte Ruf der cortisonhaltigen Medikamente nicht gerechtfertigt. Er stammt aus den 50er-Jahren, als noch höher dosiert wurde. Ausserdem gibt es zwar Alternativen, doch diese wirken nicht im gleichen Masse entzündungshemmend oder weisen noch grössere Nebenwirkungen auf.
Gleichwohl ist Vorsicht angebracht; Cortison sollte nicht unkontrolliert angewendet werden. Es sollte im Übrigen auch nicht unkontrolliert abgesetzt werden, da die körpereigene Produktion von Cortisol nach einer längeren Verabreichung von Cortison mit der Zeit zurückgeht und deshalb ein Mangel auftreten könnte.
Damit die Vorteile des vermeintlichen Wundermittels zum Tragen kommen, sollte man Dosis, Applikationsform und Anwendungsdauer sorgfältig abwägen. Andernfalls überwiegt der Schaden den Nutzen und Cortison wird tatsächlich zum Teufelszeug, als das es oft verschrien wird.