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Alzheimer-Forschung: Darum gibt es jetzt neue Hoffnung

Darum gibt's neue Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer

Belgische Forscher haben herausgefunden, welches Molekül die Nervenzellen im Gehirn absterben lässt. Sie erhoffen sich daraus eine neue Art von Alzheimer-Medikament. Was der Präsident der Swiss Memory Clinics dazu sagt.
25.09.2023, 01:39
Bruno Knellwolf / ch media
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Gehirn-Scan.
Im Gehirn wird nach Eiweissablagerungen gesucht, die Alzheimer auslösen.Bild: Shutterstock

Wenn die Nervenzellen im Gehirn absterben, entsteht Alzheimer. Welcher Mechanismus zum Absterben der Hirnzellen führt, wusste man bislang nicht. Eine Erklärung würde aber helfen, Therapien zu finden, um die Demenzerkrankung zu stoppen. Nun zeigen belgische Forscher um Bart de Strooper in der Wissenschaftszeitschrift «Science», wie der Mechanismus funktioniert, der die Hirnzellen sterben lässt.

Verantwortlich ist gemäss deren Studie das Molekül MEG3. Um das herauszufinden, haben die Forscher der Universität Leuven mit Alzheimer-Mäusen gearbeitet, die wie Alzheimer-Patienten in ihrem Hirn grosse Eiweissklumpen produzieren. Den Mäusen wurden Vorläufer menschlicher Nervenzellen eingepflanzt, die sich innert Wochen zu Nervenzellen entwickelten.

Zehnmal mehr MEG3 als in gesunden Hirnen

Nach einigen Monaten wurden die Versuchstiere krank. Im Innern der Zellen zwischen den Eiweissklumpen sammelten sich fasrige Proteinklumpen, später starben viele der befallenen Nervenzellen ab. Somit passierte im Hirn der Alzheimermäuse dasselbe wie bei Demenzkranken. Zudem störten die Klumpen und verklebten Fasern die Abläufe in den Nervenzellen erheblich. Die Untersuchung zeigte dann, dass in diesen Zellen zehnmal mehr vom Molekül MEG3 vorhandenen war als bei gesunden Gehirnen.

Das belgische Forscherteam ist nun überzeugt davon, dass das Überangebot von MEG3 den Zelltod gestartet hat. Dies weil die den Mäusen eingepflanzten Nervenzellen überlebten, wenn das Molekül bei den Versuchstieren ausgeschaltet wurde. Ein zweites Experiment bestätigte die These: In einer Kulturschale starben die Nervenzellen ab, wenn diesen MEG3 beigemischt wurde. Ohne MEG3 überlebten sie. Zudem sei dieses Molekül auch bei Alzheimerpatienten in grosser Menge vorhanden, schreiben die Forscher um de Stooper.

Ob MEG3 am Anfang der Demenz steht, ist noch nicht klar

Die Studie könnte somit das grosse Rätsel der Demenz lösen. Ist das Molekül MEG3 somit der Weg für neue Therapien? «Wie gross der Einfluss von MEG3 ist, ist noch völlig offen», sagt Ansgar Felbecker, Präsident der Swiss Memory Clinics. Insbesondere sei die Frage der Kausalität mit dieser Studie noch nicht geklärt. «MEG3 war zwar bei Alzheimer-Patienten hochreguliert, ob dies aber am Anfang der ganzen Erkrankungskaskade steht oder ein sekundärer Effekt im Rahmen der Erkrankung, ist mit der vorliegenden Studie noch nicht geklärt», sagt der Neurologe am Kantonsspital St.Gallen.

Ansgar Felbecker, Präsident Swiss Memory Clinics, Leitender Arzt an der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St.Gallen.
Bild: Peter Ruggle
Ansgar Felbecker, Präsident Swiss Memory Clinics, Leitender Arzt an der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St.Gallen.Bild: CH Media

Somit lässt sich nach Felbecker also nicht sagen, zu wie viel Prozent MEG3 für Alzheimer verantwortlich ist. Zudem sei der genaue Mechanismus beim Menschen trotz der Nachweise bei den Mäusen noch nicht bekannt. «Wir können nicht einfach aus Laborstudien auf Effekte im menschlichen Gehirn schliessen. Das hat in der Vergangenheit immer wieder zu falschen Rückschlüssen geführt, hier wäre ich sehr vorsichtig mit einer Aussage», sagt Felbecker.

Für de Stooper und andere Wissenschafter ist aber klar, dass die Studienresultate deutlich genug sind, um daraus ein neues Alzheimer-Medikament zu entwickeln. Eines, welches das Molekül stoppt, ein MEG3-Blocker. Anscheinend gibt es bereits Substanzen, die die Wirkung von MEG3 in Zellen unterbinden. Gegen Tumore ist ein solches Medikament in den USA bereits zugelassen.

Noch gibt es kein wirksames Alzheimer-Medikament

Noch gibt es kein wirklich wirksames Alzheimer-Medikament. Die neuste Alzheimer-Therapie Lecanemab der Unternehmen Biogen und Eisai wurde in diesem Jahr zum neuen Hoffnungsträger erklärt und hat im Frühling eine Zulassung der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA erhalten.

Lecanemab zielt wie die meisten Therapien auf das Eiweiss Amyloid – andere noch weniger weit entwickelte Therapien steuern das Eiweiss Tau an. Die Studienergebnisse zeigten, dass Lecanemab in einem sehr frühen Krankheitsstadium die Amyloid-Ablagerungen reduzierte und den kognitiven Abbau verlangsamt. Das Fortschreiten der Demenz wurde aber nur minimal verlangsamt. Ein Medikament, das den Zelltod auf andere Art stoppt, wäre somit hochwillkommen.

Mit einem MAG3-Blocker entstünde gemäss dem belgischen Forscher eine neue Sorte von Medikament. Ob deswegen die bisher wenig erfolgreiche Fokussierung auf Amyloid und Tau wegfalle, könne man jetzt noch nicht sagen, erklärt Felbecker. «Grundsätzlich sucht die Alzheimer-Forschung jetzt schon mit Hochdruck nach Ansätzen jenseits von Amyloid und Tau - aber das heisst nicht, dass man gar nicht mehr auf diese beiden anerkannten Pathologien setzen würde, das wäre auch sicher falsch.»

Entwicklung von Lecanemab dauerte zwanzig Jahre

Wie eine MEG3-Therapie dereinst aussehen könnte, lasse sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. «Fakt ist, dass es in der Vergangenheit oft bis zu zwanzig Jahre gedauert hat, bis solche Grundlagen-Forschungsergebnisse in Therapien umgewandelt wurden», sagt der Chef der Alzheimer-Kliniken. Lecanemab sei dafür ein aktuelles Beispiel. Die Grundlagenforschung hierzu begann vor zwanzig Jahren.

Dass es auch schneller gehen könne, wisse man zwar seit der Coronapandemie. Aber dennoch – die Demenzforschung sei komplex und brauche Zeit, sagt der Präsident der Swiss Memory Clinics, Ansgar Felbecker. «Und auf diesem Weg scheiterten leider 99 Prozent der möglichen Therapieansätze – sei es, weil Nebenwirkungen auftreten, die Wirkung beim Menschen fehlt oder niemand bereit ist, die grossen Summen zu investieren, die für klinische Studien nötig sind.»

(aargauerzeitung.ch)

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