Protestbewegungen gegen den Rassismus wie zuletzt «Black Lives Matter» haben ausgehend von den USA die Aufmerksamkeit auf die Diskriminierung von People of Colour in unserer Gesellschaft gelenkt. Dies hat zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Denkmälern geführt, und auch manche Kunstwerke werden nun anders gesehen.
In Europa hat der Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen eine etwas andere Vorgeschichte als in den USA und dementsprechend andere Ausprägungen. Dies zunächst, weil die Abgrenzung (und entsprechende Benennungen) von «Europa» und «Afrika» schon kurz vor unserer Zeitrechnung begann und der Austausch zwischen den beiden Kontinenten mindestens bis in die Zeit der Römer zurückreicht. Auch in Europa gab es Sklaven aus Afrika. Doch während sich das Verhältnis der USA zu Schwarzen zunächst ausschliesslich über die Sklavenhaltung definierte, war das Verhältnis zwischen Afrikaner/innen und Europäer/innen immer schon vielschichtiger.
Die Historikerin Olivette Otele hat jüngst die bisher wenig beachtete und sehr facettenreiche Geschichte der «Afrikanischen Europäer» nachgezeichnet. Ihr gleichnamiges Buch schlägt einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart und regt dazu an, etwas genauer hinzuschauen, wo und in welchen Rollen Schwarze Menschen in der europäischen Gesellschaft erscheinen. Otele entwirft damit unter anderem eine Vorgeschichte mancher bis heute wirksamer, zum Teil rassistischer Stereotypen.
Über diese kann man in Anlehnung an Otele auch einiges lernen, wenn man aufmerksam durch europäische Kunstsammlungen geht. Beginnen wir in der etruskischen Abteilung der Vatikanischen Museen. Der Rundgang führt an einer Vitrine vorbei, in der sich ein besonders auffälliges Gefäss findet, ein «Kantharos» mit zwei Gesichtern. Eines von ihnen ist europäisch, das andere afrikanisch. Es soll den ägyptischen Herrscher Busiris zeigen. Der Weisse verkörpert angeblich Herakles, der in die Gefangenschaft dieses Pharao geraten war, sich aber daraus befreien konnte.
Diese Informationen findet man jedoch nur gut versteckt im Online-Katalog, nicht bei der Vitrine der viel besuchten Vatikanischen Museen. Eine verpasste Chance, denn anhand des im 5. Jhd. v. Chr. in Griechenland entstandenen Gefässes liesse sich einiges über den kulturellen Austausch zwischen Europa und Afrika erläutern. So zeigt es etwa, dass der Kunsthandwerker wohl Afrikanern begegnete, die damals in Athen als Sklaven oder Söldner lebten. Insofern verrät es mehr über die Physiognomien der Afrikaner im antiken Athen als über das Aussehen des Pharaos.
Ab dem frühen Mittelalter wurde der Heilige Mauritius eine Leitfigur für die Verbreitung der Darstellung Schwarzer Menschen auch nördlich der Alpen. Der Märtyrer-Legende zufolge stammte der römische Kommandant, der um 300 n. Chr. gelebt hat und sich nach der Überquerung der Alpen gegen eine Christenverfolgung von Kaiser Maximian wandte, aus dem Gebiet des heutigen Sudan.
Die Mauritius-Legende verbreitete sich samt den zugehörigen Reliquien vom angeblichen Ort seiner Hinrichtung in Agaunum (heutiger Standort der Abtei St. Maurice im Wallis) Richtung Norden. Im Magdeburger Dom etwa, der dem Heiligen Mauritius geweiht ist, findet sich eine berühmte Statue aus dem frühen 13. Jahrhundert, die ihn mit eindeutig afrikanischer Physiognomie und im Ritterhemd zeigt. Sie wirft die Frage nach möglichen Vorbildern für den Magdeburger Steinmetz auf.
Eine Spur führt zum kosmopolitischen sizilianischen Hof des Stauferkönigs Friedrich II., in dessen Armee auch Afrikaner zum Teil hochrangige Positionen bekleideten. Mit dieser Gefolgschaft zog Friedrich zu Beginn des 13. Jahrhunderts durchs germanische Reich. Das dürfte manchen Menschen nördlich der Alpen zu ihrer ersten Begegnung mit Schwarzen Menschen verholfen haben.
Für die Darstellung von Schwarzen Menschen in der europäischen Kunst ist in der Folge das Sujet der Heiligen Drei Könige zentral. Obwohl diese in der Bibel nicht als Könige, sondern nur sehr knapp als «Sterndeuter aus dem Osten» (Matthäus 2.,1) und zudem nur in einem der vier Evangelien erwähnt werden, entwickelte sich im Mittelalter ein ausufernder Dreikönigskult. Schon ab dem 8. Jahrhundert erhielten sie ihre Namen. Dies vor allem, nachdem die angeblichen Reliquien der inzwischen auf die magische Zahl Drei reduzierten und mit Namen versehenen Könige von Konstantinopel über Mailand nach Köln überführt worden waren, was ihre wichtige Rolle als Insignien für die religiöse Legitimierung von weltlicher Macht unterstreicht.
In Köln wurden die Drei Könige zu Stadtpatronen des wichtigen Bistums und waren fortan ein Element in der Machtpolitik der deutschen Kaiser. Sowohl nördlich wie südlich der Alpen taucht ab dem 15. Jahrhundert der Schwarze König, zumeist Balthasar genannt, in den Anbetungsszenen mit den Drei Königen auf. Berühmte frühe Beispiele sind der Wurzacher Altar (1437) von Hans Multscher oder auch der spätere Dreikönigsaltar (ca. 1470) von Hans Memling.
Bei der Verbreitung der Bildformel spielten unter anderem Wappen eine Rolle, durch die eine Verbindung zum Heiligen Mauritius hergestellt wurde (das Kölner Stadtwappen hingegen enthält nur ihre Kronen, und Stefan Lochners um 1435/40 gemalter Dreikönigsaltar aus dem Kölner Dom zeigt keinen Schwarzen König).
Im späten Mittelalter entstand unter anderem die ebenfalls machtpolitisch begründbare Interpretation, wonach die Drei Könige die damals bekannten drei Kontinente Europa, Afrika und Asien darstellen sollten, was die Präsenz eines Schwarzen Königs bald zur Regel machte.
Da die Drei Könige auch von den in Florenz herrschenden Medici besonders verehrt wurden, finden sich in der Florentiner Malerei etliche Beispiele von Dreikönigsdarstellungen. Interessant ist unter anderem, in welchen Rollen Schwarze Menschen hier erscheinen, zumal man davon ausgehen kann, dass sie in Italien schon allein aufgrund der geografischen Nähe zu Afrika früher präsent waren als nördlich der Alpen.
So ist in der Anbetung der Könige (um 1420) des aus Siena stammenden Lorenzo Monaco nur eine der Figuren in ihrem Gefolge ein Schwarzer. Auch in Benozzo Gozzolis Dreikönigsfresken (1459-64) im Florentiner Palazzo Medici Ricciardi ist ein Schwarzer zwar prominent im Bild, jedoch nur als Bogenschütze, also wohl Teil der Leibgarde.
Noch in Domenico Ghirlandaios Interpretation des Sujets von 1487 wird dem einzigen Schwarzen im Bild eine Dienerrolle zugewiesen. Doch der in Mantua tätige Andrea Mantegna stellt schon 1459 in seinem Triptychon Anbetung der Könige nicht nur Personen im Gefolge, sondern einen der Könige als Schwarzen dar.
Gegen Ende seines Lebens 1506 malt Mantegna eine Variation des Sujets, wiederum mit einem der Könige als Schwarzer. Auffällig ist, dass Mantegna hier keine stereotypisierte Figur mehr malt. Der Schwarze König wird, wenn auch etwas weniger prägnant als die Weissen im Gemälde, als Individuum dargestellt. Dies passt zu den Befunden von Olivette Otele. Demnach waren die «europäischen Ansichten über Schwarze Afrikaner im 15. und 16. Jahrhundert nuancierter, als man Jahrhunderte später annehmen würde», was sich auch in ihrer zunehmend differenzierteren Darstellung niederschlug.
Hierbei spielte die Kirche eine nicht zu unterschätzende Rolle. Da man in den Schwarzen künftige Gläubige sah, lag es zunächst nahe, sie als ebenbürtige Menschen zu betrachten. Dass Papst Martin V. 1425 den Sklavenhandel verurteilte, mag Teil dieser Perspektive gewesen sein. Seine diversen Nachfolger, namentlich Calixt III. und Alexander VI., hatten hingegen keine Skrupel, 1456 erst den Portugiesen und 1493 den Spaniern den Sklavenhandel zu erlauben.
In der Folge waren Afrikanerinnen und Afrikaner zumindest in den europäischen Hafenstädten und Wirtschaftszentren zunehmend und überwiegend als versklavte Arbeitskräfte präsent. Dennoch konnten deren Status und die Behandlung durch ihre Besitzer, folgt man Otele, höchst unterschiedlich und durchaus auch respektvoll sein.
Sicher erklärt die zunehmende Präsenz von Schwarzen in Europa, warum Künstler wie Mantegna oder auch der eine Generation später arbeitende Dürer sich genauer mit afrikanischen Physiognomien auseinandersetzten. Von Albrecht Dürer ist neben seiner Darstellung der Könige, in der der Schwarze König zwar auffallend prominent, aber auch etwas im Abseits platziert ist, insbesondere die Porträtzeichnung eines Afrikaners von 1508 und einer versklavten, aber auf den Namen Katharina getauften Afrikanerin (1521) erhalten.
Ihr Porträt ist nachweislich in Antwerpen entstanden. Dürer traf Katharina im Haushalt eines portugiesischen Händlers an, von dem sie offenbar geschätzt wurde. Neben diesen Porträts gibt es aber auch physiognomische Studien und Schriften von Dürer, die Schwarze als hässlich darstellen und sie mit Begriffen qualifizieren, die man heute als rassistisch bezeichnen muss.
Dürers Porträtzeichnungen gelten, neben dem um 1525 entstandenen Gemälde eines Schwarzen von Jan Mostaert, als älteste bekannte Porträt-Darstellungen Schwarzer Menschen in Europa. Dürer dürfte auch während seines Aufenthalts in Venedig etlichen Afrikanerinnen und Afrikanern begegnet sein. Denn die mächtige Seerepublik unterhielt auch Handelskontakte zu Nordafrika. In der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts häufen sich die Darstellungen Schwarzer Menschen, wie ein Rundgang durch die Gallerie dell’Academia in Venedig zeigt.
Vittore Carpaccios grossformatiges Gemälde Wunder der Kreuzesreliquie von Rialto (1496) zählt zu den frühen Beispielen. Im Vordergrund des Bildes ist der Schwarze Gondoliere unübersehbar und weist auf die selbstverständliche Präsenz von Afrikanern im venezianischen (Arbeits-) Alltag hin. Als weiterer Beleg dafür mag gelten, dass das Gemälde für einen wichtigen Treffpunkt der venezianischen Machtelite, die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista in Auftrag gegeben worden war.
Besonders faszinierend sind die Darstellungen von Afrikanern in Paolo Veroneses Werk, vor allem in seinem Gastmahl im Haus des Levi (1573). Auch dieses Gemälde, das zu den grössten seiner Zeit zählt, war ein Auftragswerk, und zwar für das Refektorium des Klosters Santi Giovanni e Paolo, wo es ein von einem Brand zerstörtes Letztes Abendmahl von Tizian ersetzte. In Veroneses theatralischer Inszenierung zählt man nicht weniger als elf, vor allem als Bedienstete tätige Schwarze. Dass sie kostbar gekleidet sind, deutet darauf hin, dass sie auch als exotische, prestigiös wirkende Staffage und damit als Statussymbole ihrer Besitzer fungierten.
Olivette Otele weist auf die Problematik des «Exzeptionalismus» hin. Das heisst, die privilegierte Rolle einiger Schwarzer Menschen gerade im Europa der Renaissance kann verdecken, unter welch mühsamen Bedingungen die meisten Sklaven ihre Existenz fristeten.
Jedenfalls stellt auch Veronese die Schwarzen klar als Individuen dar, wobei ihre Randposition in Bezug auf das Geschehen sie paradoxerweise besonders hervorhebt und einzelne von ihnen die Szene zu kommentieren scheinen. Für die Zeitgenossen war ihre Anwesenheit offenbar auch nichts Besonderes. Dies ergibt sich aus den Akten der venezianischen Inquisition gegen Veroneses Gemälde, das nicht den strikten Vorgaben entsprach. Die Anklage richtete sich aber vor allem gegen die Anwesenheit von «Gauklern» und den prominent platzierten Hund, die Afrikaner im Bild werden mit keinem Wort erwähnt.
Mit Veronese nimmt die Geschichte der Schwarzen in der europäischen Kunst an Fahrt auf, ob bei Rubens exemplarisch in seinem Grossen Jüngsten Gericht – oder in Tiepolos Fresken, namentlich in der Würzburger Residenz, wo die vier Kontinente Europa, Afrika, Asien, Amerika dargestellt sind. Man begegnet mit der Zeit auch häufiger Werken, die Schwarze Menschen in exotisierender, diskriminierender oder offen rassistischer Weise zeigen.
Cornelisz van Haarlem malt 1594 seine Bathseba mit einer schwarzen Dienerin. Die überschwarze Haut dient offensichtlich nur dazu, die helle Haut der Bathseba noch heller wirken zu lassen. In Jacopo Zucchis Allegorie der Entdeckung Amerikas von 1585 bevölkern die Schwarzen als eifrige Korallenfischer mit gestählten Körpern ein Paradies für Luxus-Touristen avant la lettre, für das Exotismus und Sexismus zu einem recht speziellen Cocktail gemixt werden.
Unverhohlenem Rassismus begegnet man in Michele Cammaranos historistischen Schlachtengemälden aus der Zeit des italienischen Kolonialregimes in Afrika 1896, wie sie die Römer Nationalgalerie ausstellt. Schwarze Menschen werden als bestialische Krieger dargestellt. Zugleich kostet der Maler die Attraktivität ihrer halbnackten Körper aus, stellt sie voyeuristisch zur Schau. Dass solche Werke, die aus heutiger Sicht mehr als problematisch sind, nicht im Depot versteckt werden, ist der erste Schritt zu einer Auseinandersetzung mit ihnen und genereller mit dem rassistischen Bild, das man sich in Europa von Schwarzen als Inbegriff von minderwertigen «Anderen» damals machte und bis heute noch macht.
Die Kunst liefert hierfür ergiebiges Anschauungsmaterial, wie auch einige Beispiele aus der Schweiz zeigen, etwa aus der Werkstatt des Waadtländer Historienmalers Charles Gleyre oder von Frank Buchser, die in ihren Darstellungen allerdings vor allem auf Impressionen von ihren Reisen nach Afrika oder Nordamerika zurückgriffen. Wenn zumindest die exotisierenden Aspekte ihrer Gemälde aus heutiger Sicht als problematisch erscheinen mögen, hatten sie zur Zeit ihrer Entstehung auch eine vermittelnde Dimension, da solche Reisen das Privileg einer Minderheit waren. Das bedeutet noch keineswegs, dass sie deswegen harmlos sind.