Im Wettlauf mit Portugal um die Entdeckung eines Seehandelswegs nach Indien unternahm der Seefahrer Christoph Kolumbus (1451-1506) mit Unterstützung der kastilischen Krone 1492 seine erste Fahrt. Überzeugt von einer Westroute, entschied er sich für die Überquerung des atlantischen Ozeans. Als er im Oktober endlich Land erblickte und auf einer Insel der heutigen Bahamas anlegte, war er sicher, dass seine Mission geglückt sei. Die angetroffenen Landmassen erklärte er zu den «Westindischen Inseln», die dortigen Einwohnenden zu Indianern.
Als Kolumbus 1493 wieder in Spanien eintraf, erwartete ihn ein triumphaler Empfang. Er wurde als wagemutiger Held und brillanter Seefahrer gefeiert, zum ersten Vizekönig Neuspaniens erkoren und vom Königspaar Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón mit einer weiteren Reise zur Erforschung der Küste «Westindiens» beauftragt.
Doch nicht nur Ruhm und Ehre wurden Kolumbus nach seiner Rückkehr zuteil. Stolze Angehörige des spanischen Hofs sollen dem «genuesischen Fremdling» Missgunst und Neid entgegengebracht und seine Tat hinter vorgehaltener Hand zu schmälern versucht haben. Während eines Festessens, das Kardinal Mendoza 1493 in Barcelona für Kolumbus hielt, gipfelten diese Bestrebungen, glaubt man einer Anekdote, in folgender Begebenheit: Nach reichlichem Alkoholkonsum verlauteten die am Tisch anwesenden Höflinge, dass Kolumbus' Tat doch ein Kinderspiel gewesen sei, das ein jeder hätte vollbringen können. Das Weltmeer stünde überall offen und auch ein spanischer Seefahrer hätte das Ziel nie verfehlt. Kurz: Sie stellten Kolumbus spöttisch als dahergelaufenen Abenteurer hin, dem das Glück zufällig in den Schoss gefallen sei.
Anstatt sich über diese Lästereien zu ärgern, soll Kolumbus sich gekochte Eier an den Tisch gebracht und alle dazu aufgefordert haben, ein Ei auf dessen Spitze aufzustellen, ohne, dass es umkippt. Jeder bemühte sich, aber keiner schaffte es. Nach erfolglosen Versuchen und langen Grübeleien waren schliesslich alle Anwesenden felsenfest davon überzeugt, dass die gestellte Aufgabe eine unlösbare sei.
In diesem Moment nahm sich Kolumbus ein Ei und schlug es mit der Spitze kurzerhand so auf den Tisch, dass es – leicht eingedrückt – aufrecht stehen blieb. Die verdutzten Tischgenossen monierten in einer Mischung aus Bewunderung und Verärgerung, dass dies doch keine grosse Kunst sei, so etwas hätten sie selbstverständlich auch vollbringen können. Da soll Kolumbus geantwortet haben: «Gewiss, doch der Unterschied, meine Herren, ist, Sie hätten es tun können, ich aber habe es getan!»
Ob die geschilderte Episode in der überlieferten Weise – und überhaupt in Zusammenhang mit Kolumbus – wirklich je stattgefunden hat, ist nicht nachgewiesen. Deren älteste schriftliche Erwähnung ist im Jahr 1565 in Venedig erstmals erschienenen Buch «Historia del mondo nuovo» von Girolamo Benzoni zu finden. Dieser kannte die Geschichte jedoch nur vom Hörensagen. Zudem findet sich eine ähnliche Erzählung in Giorgio Vasaris 1550 veröffentlichten Künstlerbiografien «Vite de più eccellenti architetti, pittori e scultori italiani», dort jedoch auf den Baumeister Filippo Brunelleschi (1377-1446) und den Bau der Kuppel des Florentiner Doms bezogen.
Vielleicht bediente sich Kolumbus also lediglich einer ihm bereits bekannten Erzählung oder diese wurde ihm von seinen Bewunderern schlicht angedichtet. Wir wissen es nicht, Fakt ist: Unter der Bezeichnung «Das Ei des Kolumbus» hat sich die Anekdote in mehreren Sprachen zu einer bis heute geläufigen Redewendung entwickelt, die umschreibt, dass es für jedes noch so schwierige Problem eine oft naheliegende Lösung gibt. Doch reicht es nicht, die Lösung nur zu finden, sie muss letztlich auch erfolgreich in die Tat umgesetzt werden.
Der Ei-Anekdote bediente sich auch König Friedrich I. von Württemberg (1754-1816), als er nach einem geeigneten Geschenk für Philipp Emanuel von Fellenberg (1771-1844) Ausschau hielt. Denn der 1806 vom Kürfürsten zum König erhobene Herrscher besuchte im selben Jahr den bekannten Berner Agronomen, Pädagogen und Ökonomen auf dessen Hofwylgut bei Münchenbuchsee. Der innovative Landwirtschaftsbetrieb mit vorbildlicher Ausbildungsstätte, die Schüler und Interessierte aus ganz Europa, ja sogar Übersee anzog, hatte weltweite Ausstrahlung und fand vielerorts von Fellenbergs Theorien und Errungenschaften inspirierte Ableger.
Der König entschied sich für eine zierliche Goldschmiedearbeit, eine goldene Tabakdose (Tabatière), deren Deckel mit dem «Ei des Kolumbus» bemalt ist. Mit diesem Geschenk zeichnete er Fellenbergs Pioniergeist, Tatendrang und Zielstrebigkeit aus. Er würdigte ihn quasi als «Eroberer» auf seinen «Gebieten», als «Entdecker» neuer Ideen und unkonventioneller Methoden, die er beharrlich umsetzte und es auch wagte, zum Erreichen seiner Ziele bisher unbegangene Wege einzuschlagen. Wie Kolumbus hatte auch Fellenberg seine Kritiker – darunter etwa Pestalozzi –, liess sich von diesen aber nicht beirren.
König Friedrich I. selber tat sich in erster Linie als machtbewusster Gebietserweiterer hervor. Die dringend nötigen landwirtschaftlichen Reformen überliess er seinem Sohn und Nachfolger Wilhelm I., der sich bereits in jungen Jahren Kenntnisse im Agrarwesen aneignete und im Jahr seiner Krönung 1816, als (auch) Württemberg von einer grossen Versorgungs- und Hungerkrise geplagt war, ebenfalls Hofwyl besuchte. Wilhelm I. schuf die Leibeigenschaft ab und gründete 1818 eine Unterrichtsanstalt, die auf Fellenbergs Ideen beruhte. Damit legte er den Grundstein für in der Folgezeit laufend erweiterte Massnahmen zur Modernisierung und Intensivierung der Anbau- und Zuchtmethoden, mit denen er die landwirtschaftliche Produktion steigerte. Dank seiner erfolgreichen Bestrebungen hat er sich nicht nur als «Landwirt unter den Königen», sondern auch als «König der Landwirtschaft» einen Namen gemacht.
Zurück zur Golddose mit dem «Ei des Kolumbus»: Diese gelangte später zusammen mit Fellenbergs Nachlass in ein auf dem Hofwyl-Areal gegründetes Museum und nach dessen Aufhebung ins Schloss Jegenstorf, wo sie in einer antiken Vitrine ausgestellt worden ist. Dort fiel sie im Jahr 2000 Stéphane Breitwieser aus dem Elsass ins Auge, dem «erfolgreichsten Kunstdieb der Welt», wie ihn die Medien in jener Zeit betitelten. Der fanatische Kunstliebhaber mit ausgeprägter kleptomanischer Neigung gehörte um die Jahrtausendwende zu den meistgesuchten Verbrechern der Welt. Er war vorwiegend in Frankreich, Deutschland, Belgien, Dänemark sowie in der Schweiz aktiv und beklaute sorgfältig ausgewählte Institutionen – allen voran kleinere Museen, aber auch Schlösser, Kirchen, Klöster, Galerien und Auktionshäuser.
Gewaltlos, unbewaffnet, unmaskiert und oft auch ohne Handschuhe betrat Breitwieser während der Öffnungszeiten das Museum, löste als regulärer Besucher ein Ticket, suchte sich seine Beute, nahm das ausgewählte Werk an sich und verschwand, während seine Freundin und Komplizin Wache hielt. Mit einem einfachen Schweizer Taschenmesser gelang es ihm, die meisten Vitrinen zu öffnen. Die Beute versteckte er unter seiner Jacke oder warf sie durch ein Fenster ins Freie, wo er sie später einsammelte.
So ähnlich wird er auch mit der Golddose im Schloss Jegenstorf verfahren sein. Die Vitrine hatte lediglich einen kleinen Sprung im Glas neben dem Schloss, das er gekonnt knackte. Da er alles andere darin wieder ansehnlich arrangierte und die Vitrine danach verschloss, bemerkte niemand den Diebstahl – bis die elsässische Polizei die Dose einige Monate später unbeschädigt zurückbrachte. Denn Breitwiesers diebische «Eroberungszüge» endeten 2001 vorerst mit seiner Verhaftung in Luzern. Er wurde von Schweizer und französischen Gerichten zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
Nachdem Breitwieser sich mittels einer im Gefängnis verfassten Autobiografie zum tiefgründigen Kunstliebhaber stilisieren liess, der auch scheinbar unmögliche Diebstähle mit geradezu banalen «Lösungen» überraschend erfolgreich bewältigte, konnte er für eine Weile eine gewisse Anerkennung geniessen, wurde an Buchlesungen gefeiert und genoss seinen Ruhm als «l’Arsène Lupin des musées».
Doch nach seiner Entlassung im Jahr 2005 wurde er wieder und wieder rückfällig – bis zum heutigen Tag. Spätestens seit bekannt ist, dass er, entgegen seiner stets betonten Devise, keinen Profit aus dem Verkauf von Diebstählen zu schlagen, Diebesgut zu Geld machen wollte, ist sein Image als kunstbeflissener Gentleman-Gauner endgültig zerstört. Die Moral der Geschichte: Nicht jede simple und zunächst noch so genial anmutende «Problemlösung» ist – oft auch erst rückblickend betrachtet – überzeugend und in diesem Fall erst recht nicht legal.
Auch Kolumbus' eigenwillige und scheinbar einfach anmutende Problemlösung führte zunächst zu einem Triumph, der zugleich den Höhepunkt seiner Karriere markierte. Doch dass Kolumbus in Wahrheit aufgrund falscher Berechnungen sein eigentliches Ziel verfehlt und somit seinen Auftrag gar nie erfüllt hat, war ihm bis zu seinem Tod nicht bewusst. Jedenfalls beharrte er bis zuletzt hartnäckig darauf, als Erster den Seeweg nach Asien gefunden zu haben.
Doch diesen fand schliesslich der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama (1469-1524) in den Jahren 1497/1498 mit einer um 90 Grad anderen Lösung des Problems: der südlichen Umschiffung Afrikas in Richtung Indien. Nach wie vor ignorierte Kolumbus die mehr und mehr erstarkende Erkenntnis, dass es sich bei seiner «Entdeckung» vielmehr um einen für Europa bisher unbekannten Kontinent handelt.
Daher erstaunt es auch nicht, dass dieser Kontinent letztlich nicht nach Kolumbus, sondern nach dem italienischen Seefahrer Amerigo Vespucci (1454-1512) benannt wurde, der als einer der ersten Seefahrer seiner Überzeugung folgte, es westlich von Europa mit einer «Neuen Welt» zu tun zu haben: Amerika.
Zwar wurde Kolumbus in den kommenden Jahrhunderten erneut als grosser Entdecker gefeiert und als solcher in den Geschichtsbüchern verewigt. Dies aber nur, um in heutiger Zeit – vielerorts im wahrsten Sinne des Wortes – wieder vom Sockel gestürzt zu werden, löste doch die von Kolumbus begonnene, gewaltsame Unterwerfung der karibischen Inseln eine demografische Katastrophe aus, die letztlich den Grundstein für die weitere blutige und folgenschwere Kolonialisierung der «Neuen Welt» bildete. Die Bewertung von Kolumbus' Leistungen – und vor allem die Kritik an deren Auswirkungen – ist Gegenstand anhaltender kontroverser Debatten.