Frau Röcke, weltweit fliesst viel privates Geld in die Longevity-Forschung. Werden wir irgendwann in der Lage sein, das Altern aufzuhalten und den Körper sogar zu verjüngen?
Ich finde das ein schwieriges Thema. Wenn man die Veränderung der Lebenserwartung betrachtet und wie wir mit Krankheiten umgehen, kann es sein, dass viele Menschen irgendwann 100 Jahre alt oder sogar älter werden. Biologisch ist jedoch bei rund 120 Jahren die Grenze des Möglichen erreicht.
Es gibt in der Longevity-Branche aber auch Menschen, die 1000 Jahre und älter werden wollen.
Das ist Wunschdenken. Es gibt keine empirischen Hinweise darauf, dass die Lebenserwartung deutlich über 120 Jahre steigen kann. Ich weiss, dass es gewisse Stimmen gibt, die mit erfolgreichen Tierversuchen argumentieren, aber diese Ergebnisse sind bislang in keiner Weise auf Menschen übertragbar, hier fehlen schlicht die entsprechenden Daten.
Trotzdem wird Langlebigkeit immer mehr zum erfolgreichen Geschäftsmodell. Auch in der Schweiz, wie das Tobias Reichmuth macht.
Was ich an diesen Geschäftsmodellen kritisch sehe, ist, dass damit vor allem Geld gemacht und auf wissenschaftlich schwammiger Basis argumentiert wird. Die privaten Angebote, die es gibt, sind oft teuer und für einen exklusiven Teil der Gesellschaft. Es sind Angebote, die mit den Ängsten von Menschen spielen, alt zu werden. Es wird so getan, als würde die Lebenserwartung einer einzelnen Person signifikant besser, indem sie beispielsweise neue Nahrungsergänzungsmittel nimmt. Aber auch dafür fehlen die Daten.
Es wird halt oft damit argumentiert, dass die Alterung auch Krankheiten mit sich bringt.
Ja, aber das ist ein sehr einseitiges Bild des Alterns, das auch die mentale Gesundheit und das psychologische Altern aussen vor lässt. Den meisten älteren Menschen geht es gut, speziell in ihrem Wohlbefinden. Viele sind auch trotz körperlicher Veränderungen zufrieden und leistungsstark. Wenn man nun von morgens bis abends versucht, die Alterung aufzuhalten, geht viel Lebenszeit verloren. Zeit, die man mit der Familie oder lieben Menschen verbringen könnte, oder damit etwas Neues zu lernen – das sind Aktivitäten, zu denen wir gute empirische Daten haben, dass sie sich positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Auch ein positives Alternsbild wirkt lebensverlängernd. Man muss Alter und Altern gesamtheitlich betrachten.
Ist Altern eine Krankheit?
Christina Röcke: Nein, Altern ist keine Krankheit, sondern ein sehr komplexer Prozess mit Gewinnen und Verlusten. Viele Prozesse, etwa auch auf Ebene der Zellalterung, können positive Auswirkungen haben. Zum Beispiel, dass das Tumorwachstum gestoppt wird. Das heisst, selbst auf der Zellebene ist die Alterung nicht nur negativ.
Weshalb verändert sich der Körper, wenn wir altern?
Im biologischen Alterungsprozess passiert einiges auf der zellulären Ebene. Wir wissen, dass sich bestimmte Zellreparaturprozesse verlangsamen. Dadurch erhöht sich das Risiko für bestimmte Krankheiten. Aber wir müssen festhalten: Das ist sehr individuell, sodass auch Interventionen auf jede Person und ihren Lebenskontext zugeschnitten sein müssen.
Sie arbeiten an der Universität Zürich am Healthy Longevity Center, wo zu «gesundem Altern» geforscht wird. Was bedeutet das?
Wir schauen, wie man die Lebensqualität bis ins hohe Alter fördern und erhalten kann, auch wenn bestimmte Ressourcen verloren gehen oder verringert werden. Gesundes Altern bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Wir forschen dazu, was in einer bestimmten Lebenssituation für das persönliche Wohlbefinden von Bedeutung ist und wie man so die Gesundheit bewahren kann. Und auch da gibt es einige positive Neuigkeiten.
Zum Beispiel?
Es ist zum Beispiel so, dass ältere Menschen immer zufriedener sind mit ihren sozialen Beziehungen, ein hohes Wohlbefinden berichten und Ziele so auswählen, dass sie gut aufeinander abgestimmt sind. Insgesamt sehen wir, dass Ältere mehrheitlich gut darin sind, mit altersbedingten Veränderungen umzugehen. Niemand wird nur durch seine Erkrankung bestimmt, sondern man ist ein Mensch mit vielen Merkmalen. Deshalb kann es auch nicht das Ziel sein, sich ständig darauf zu fokussieren, wie man etwas verhindern kann, wie man das Altern verhindern kann, sondern wie man bestmöglich mit seinen Ressourcen umgeht – und wie wir als Gesellschaft hier ein gutes Altern ermöglichen.