Wissen
Leben

Langlebigkeits-Forscherin: «Sie spielen mit den Ängsten der Menschen»

Langlebigkeit, Longevity, über 100 Jahre alt werden.
Lebenserwartung: Wie alt können Menschen werden?Bild: shutterstock
Interview

Langlebigkeits-Forscherin: «Biologisch ist bei rund 120 Jahren die Grenze des Möglichen erreicht»

Zur Langlebigkeit wird nicht nur privat viel geforscht, sondern auch an der Universität Zürich am Healthy Longevity Center. watson hat mit Co-Direktorin Christina Röcke über die Chancen und Risiken der Branche gesprochen.
26.02.2024, 05:0026.02.2024, 06:58
Mehr «Wissen»

Frau Röcke, weltweit fliesst viel privates Geld in die Longevity-Forschung. Werden wir irgendwann in der Lage sein, das Altern aufzuhalten und den Körper sogar zu verjüngen?
Ich finde das ein schwieriges Thema. Wenn man die Veränderung der Lebenserwartung betrachtet und wie wir mit Krankheiten umgehen, kann es sein, dass viele Menschen irgendwann 100 Jahre alt oder sogar älter werden. Biologisch ist jedoch bei rund 120 Jahren die Grenze des Möglichen erreicht.

Es gibt in der Longevity-Branche aber auch Menschen, die 1000 Jahre und älter werden wollen.
Das ist Wunschdenken. Es gibt keine empirischen Hinweise darauf, dass die Lebenserwartung deutlich über 120 Jahre steigen kann. Ich weiss, dass es gewisse Stimmen gibt, die mit erfolgreichen Tierversuchen argumentieren, aber diese Ergebnisse sind bislang in keiner Weise auf Menschen übertragbar, hier fehlen schlicht die entsprechenden Daten.

Christina Röcke, Langlebigkeits-Forscherin und Co-Direktorin des Healthy Longevity Center der Universität Zürich.
Langlebigkeits-Expertin: Christina Röcke ist Co-Direktorin des «Healthy Longevity Centers» der Universität Zürich.Bild: zvg
Zur Person
Dr. Christina Röcke ist Co-Direktorin des Healthy Longevity Center (HLC) der Universität Zürich. Das HLC forscht zu Innovationen und dem gesellschaftlichen Einfluss für ein gesundes, langes Leben. Röckes Forschungsschwerpunkte sind emotionale Gesundheit und Wohlbefinden sowie Alltagsaktivitäten im mittleren und hohen Erwachsenenalter.

Trotzdem wird Langlebigkeit immer mehr zum erfolgreichen Geschäftsmodell. Auch in der Schweiz, wie das Tobias Reichmuth macht.
Was ich an diesen Geschäftsmodellen kritisch sehe, ist, dass damit vor allem Geld gemacht und auf wissenschaftlich schwammiger Basis argumentiert wird. Die privaten Angebote, die es gibt, sind oft teuer und für einen exklusiven Teil der Gesellschaft. Es sind Angebote, die mit den Ängsten von Menschen spielen, alt zu werden. Es wird so getan, als würde die Lebenserwartung einer einzelnen Person signifikant besser, indem sie beispielsweise neue Nahrungsergänzungsmittel nimmt. Aber auch dafür fehlen die Daten.

Es wird halt oft damit argumentiert, dass die Alterung auch Krankheiten mit sich bringt.
Ja, aber das ist ein sehr einseitiges Bild des Alterns, das auch die mentale Gesundheit und das psychologische Altern aussen vor lässt. Den meisten älteren Menschen geht es gut, speziell in ihrem Wohlbefinden. Viele sind auch trotz körperlicher Veränderungen zufrieden und leistungsstark. Wenn man nun von morgens bis abends versucht, die Alterung aufzuhalten, geht viel Lebenszeit verloren. Zeit, die man mit der Familie oder lieben Menschen verbringen könnte, oder damit etwas Neues zu lernen – das sind Aktivitäten, zu denen wir gute empirische Daten haben, dass sie sich positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Auch ein positives Alternsbild wirkt lebensverlängernd. Man muss Alter und Altern gesamtheitlich betrachten.

Glückliche, ältere Menschen.
«Den meisten älteren Menschen geht es gut, speziell in ihrem Wohlbefinden», sagt Christina Röcke. Bild: pexels.com

Ist Altern eine Krankheit?
Christina Röcke:
Nein, Altern ist keine Krankheit, sondern ein sehr komplexer Prozess mit Gewinnen und Verlusten. Viele Prozesse, etwa auch auf Ebene der Zellalterung, können positive Auswirkungen haben. Zum Beispiel, dass das Tumorwachstum gestoppt wird. Das heisst, selbst auf der Zellebene ist die Alterung nicht nur negativ.

Weshalb verändert sich der Körper, wenn wir altern?
Im biologischen Alterungsprozess passiert einiges auf der zellulären Ebene. Wir wissen, dass sich bestimmte Zellreparaturprozesse verlangsamen. Dadurch erhöht sich das Risiko für bestimmte Krankheiten. Aber wir müssen festhalten: Das ist sehr individuell, sodass auch Interventionen auf jede Person und ihren Lebenskontext zugeschnitten sein müssen.

Sie arbeiten an der Universität Zürich am Healthy Longevity Center, wo zu «gesundem Altern» geforscht wird. Was bedeutet das?
Wir schauen, wie man die Lebensqualität bis ins hohe Alter fördern und erhalten kann, auch wenn bestimmte Ressourcen verloren gehen oder verringert werden. Gesundes Altern bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Wir forschen dazu, was in einer bestimmten Lebenssituation für das persönliche Wohlbefinden von Bedeutung ist und wie man so die Gesundheit bewahren kann. Und auch da gibt es einige positive Neuigkeiten.

Zum Beispiel?
Es ist zum Beispiel so, dass ältere Menschen immer zufriedener sind mit ihren sozialen Beziehungen, ein hohes Wohlbefinden berichten und Ziele so auswählen, dass sie gut aufeinander abgestimmt sind. Insgesamt sehen wir, dass Ältere mehrheitlich gut darin sind, mit altersbedingten Veränderungen umzugehen. Niemand wird nur durch seine Erkrankung bestimmt, sondern man ist ein Mensch mit vielen Merkmalen. Deshalb kann es auch nicht das Ziel sein, sich ständig darauf zu fokussieren, wie man etwas verhindern kann, wie man das Altern verhindern kann, sondern wie man bestmöglich mit seinen Ressourcen umgeht – und wie wir als Gesellschaft hier ein gutes Altern ermöglichen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
66 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Katerchen
26.02.2024 05:35registriert März 2023
In meinen Augen wäre es wichtiger die Menschen gesunder zu machen. Ich werde lieber gesund 90 Jahre alt, als krank und gebrechlich im Rollstuhl 120 Jahre alt!
685
Melden
Zum Kommentar
avatar
naturwald
26.02.2024 07:00registriert Oktober 2023
Länger zu leben verdanken wir dem Wohlstand und medizinischen Fortschritt. Aber es für den Körper und Allgemeinzustand gut ist, nach 65 noch weiter zu arbeiten sei mal dahingestellt. Diejenigen die dies gut verkraften dürfen ja jetzt schon, es gibt keine Gesetze dagegen die anzupassen wären. Da es jedoch für Menschen über 50 schon seit Jahren ständig schwieriger wird, eine Stelle zu finden, können die Bürgerlichen die Idee von einem Obligatorium für längeres Arbeiten schon jetzt auf den Scheiterhaufen werfen...nach dem kommenden Wahlsonntag sowieso.
424
Melden
Zum Kommentar
avatar
Zeit_Genosse
26.02.2024 06:29registriert Februar 2014
Alter ist in den individualisierten Wohlstandsgesellschaften ein grösseres Thema, weil niemand alt werden will und alt sein als negativ (nicht mehr leistungsfähig und nicht mehr schön) wahrgenommen wird. Es wird von einer marketinggetriebenen Idealwelt ausgegangen, die so vieles ausblendet. Dabei hält die Lebensspanne viel bereit und Angst vor dem Altern und der Degeneration ist sich nicht durchs Leben zu bewegen, sondern sich irgendwo festhalten wollen. Leben will gelebt und angenommen werden.
281
Melden
Zum Kommentar
66
    History Porn Teil CI: Geschichte in 36 Wahnsinnsbildern

    Acton, Kalifornien, USA, 1983:

    Zur Story