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Essen aufwärmen: Kann uns aufgewärmter Reis oder Pasta töten?

Interview

Aufgewärmter Reis oder Pasta kann uns töten?! Wir haben beim Experten nachgefragt

10.10.2022, 16:4612.10.2022, 02:04
Lara Knuchel
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Vor Kurzem ging bei uns auf der Redaktion ein Gerücht um: Das Essen von abgestandenem Reis oder Pasta kann tödlich sein. Da auch wir manchmal unseren Thai-Zmittag vom Vortag uns am nächsten Tag noch zu Gemüte führen, waren viele von uns einigermassen schockiert.

Wir haben deshalb gegoogelt und fanden heraus: Es gibt tatsächlich dokumentierte Fälle, zum Beispiel aus Belgien, bei denen Menschen aufgrund einer Lebensmittelvergiftung nach dem Verzehr von Reis oder Pasta starben. In einem Fall aus dem Jahr 2005 starb ein junges Mädchen, nachdem die Familie einen Nudelsalat vom Picknick am Vortag konsumiert hatte.

In einem zweiten Fall erlag 2011 ein junger Student einer Vergiftung, nachdem er aufgewärmte Pasta mit Tomatensauce zu sich genommen hatte. Die Forschung zeigte danach: Der Übeltäter ist das sporenbildende Bakterium Bacillus cereus. Es kann Toxine produzieren, welche nach Verzehr der Lebensmittel die Leber angreifen – und das kann tödlich enden.

Wie häufig aber sind solche Fälle? Und ist das auch schon in der Schweiz passiert? Wie können wir eine Lebensmittelvergiftung verhindern? Wir wollten es genauer wissen und haben bei dem Mann nachgefragt, der sich täglich damit beschäftigt: Martin Loessner, Professor für Lebensmittelmikrobiologie an der ETH Zürich.

Herr Loessner, haben Sie von den oben beschriebenen Fällen schon gehört?
Ja, diese Fälle sind mir sehr gut bekannt. Ich unterrichte ja an der Universität und behandle diese beiden Fälle, woraus sogenannte Fallstudien entstanden sind, immer wieder.

Wie gefährlich ist denn nun Bacillus cereus?
Zu Beginn: Bacillus cereus heisst übrigens nicht zufällig so. Cereus kommt vom Wort Cerealien – es kommt also vor in Getreideprodukten, wie zum Beispiel Pasta oder Reis. Der Grund ist, dass dieser Bacillus über Erde und Staub verteilt wird.
Zur Gefahr, die davon ausgeht: Da muss man ganz klar gewisse Unterscheidungen treffen.

Welche denn?
Diese Bakterien gehören zu den ganz wenigen, die zwei verschiedene Typen von sogenannten Toxinen, also Giftstoffen, produzieren können. Mit den verschiedenen Typen kommen auch ganz unterschiedliche Krankheitsbilder.

Und die wären?
Der eine Typ führt zu Durchfall. Hierbei werden vegetative Zellen und/oder Sporen (Bakterien im Anfangsstadium) von Bacillus cereus über das Lebensmittel aufgenommen. Das Toxin bildet sich dann erst später im Dünndarm. Neben Durchfall können diese Toxine in seltenen Fällen Schäden an Darmzellen verursachen. Aber viel gefährlicher ist eigentlich der andere Typ.

Und welcher wäre das?
Dieser Typ führt nicht zu Durchfall, sondern zu Erbrechen. Das Toxin, das dafür verantwortlich ist, heisst Cereulid. Es wird schon in den Lebensmitteln selber gebildet und dann aufgenommen.

Zur Person
Prof. Dr. Martin Loessner ist seit 2003 ordentlicher Professor für Lebensmittelmikrobiologie am Institut für Lebensmittelwissenschaften, Ernährung und Gesundheit der ETH Zürich. Die Forschungsschwerpunkte seiner Arbeitsgruppe sind mikrobielle Krankheitserreger in Lebensmitteln, wie zum Beispiel Listerien oder Salmonellen.
Martin Loessner, Prof. Dr. für Lebensmittelmikrobiologie am Institut für Lebensmittelwissenschaften, Ernährung und Gesundheit der ETH Zürich.
Bild: eth zürich

Und wieso ist das so gefährlich?
Einmal aufgenommen, gelangt Cereulid über den Magen und den Dünndarm in die Blutbahn und schliesslich zur Leber. Dort führt es dann zu einem sehr schnellen und fulminanten Absterben von Leberzellen. Das ist schliesslich die eigentliche Todesursache, wie sie es auch bei den von Ihnen genannten Fällen war.

Was ist denn, wenn das Essen vorher erhitzt wird?
Das Problem ist, dass dieses Toxin extrem hitzeresistent ist. Es kann nicht inaktiviert werden durch das Erhitzen der Lebensmittel. Andere Bakterien hingegen, die mit Bacillus cereus konkurrieren, werden beim Hitzeprozess inaktiviert. Deshalb kann letzteres dann ganz einfach eine «grosse Party feiern». Das heisst, das Erwärmen begünstigt deren Wachstum sogar.

Was muss denn genau passieren, dass es zu tödlichen Fällen kommt?
Das ist eigentlich immer dasselbe: Eine zu lange Lagerung von bereits zubereiteten Lebensmitteln bei zu hohen Temperaturen. So hat man zum Beispiel im Fall der erkrankten Familie festgestellt, dass der Kühlschrank viel zu warm war – nämlich 14 Grad! Das ist natürlich fatal.

Welche Temperaturen sind denn noch okay?
Ist der Kühlschrank kühl genug, kann man Pasta oder Reis ohne Probleme drei bis vier Tage aufbewahren, bei einer Woche sollte man etwas vorsichtig werden. Das wäre sicher das Maximum. Aber: Der Kühlschrank sollte auf keinen Fall wärmer eingestellt sein als sechs Grad.

«Bei den Kühlschränken anfangen, Energie zu sparen, wäre ein grandioser Fehler!»
Prof. Dr. Martin Loessner

Oh, okay. Dann sind die Energiespar-Tipps, die von einigen genannt werden, nicht so gescheit – bei den Kühlschränken die Temperaturen etwas hochschrauben?
Nein, das wäre ein grandioser Fehler! Das darf man auf keinen Fall machen. An diesem Ende darf man einfach nicht sparen.

Kühlschrank
Kühlschränke sollten auf keinen Fall wärmer als sechs Grad sein. Bild: Shutterstock

Gut zu wissen. Und was war das Problem im anderen Fall?
Der Student hat seine Pasta übers Wochenende draussen, also nicht im Kühlschrank, stehen lassen. Als er von einer Wanderung zurückkehrte, hat er sie dann gegessen – keine gute Idee.

Alles klar. Kurze Nachfrage hier: Die wenigsten stellen die Pasta gleich nach dem Kochen wieder in den Kühlschrank. Kann da auch was passieren – wenn ich die Reste zum Beispiel während fünf Stunden in der Pfanne lasse?
Nein, nein, das ist kein Problem. Wir sprechen da von längeren Zeiträumen – das müssten mindestens ein bis zwei Tage sein, in denen das Essen viel zu warm steht. Trotzdem dürfen Sie das aber auf keinen Fall verallgemeinern.

Was meinen Sie?
Wir sprechen ja jetzt nur von diesem Bakterium
(Bacillus cereus) und von bereits gekochten Lebensmitteln. Andere Lebensmittel, wie zum Beispiel Fleisch, sollte man auf keinen Fall länger in der Wärme halten. Aber das sind dann andere Mikroorganismen, die eine Rolle spielen.

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Pasta mit Pilzen hat wieder Saison – aber Achtung: Immer gleich wieder in den Kühlschrank stellen!Bild: shutterstock

Okay. Nochmal zurück zu den Todesfällen: Sind Ihnen auch solche aus der Schweiz bekannt?
Ja und nein. Ich kenne sicher Fälle aus der Schweiz oder dem nahen Ausland. Aber die sind nicht so gut dokumentiert wie die Fälle aus Belgien.

Von welchem Ausmass sprechen wir denn da?
Das kann man nicht sagen, weil das Bacillus cereus keine meldepflichtige Erkrankung ist. Das BAG führt deshalb dort keine Statistiken. Ich schätze, dass es pro Jahr sicher einige hundert bis tausend Fälle sind, bei denen jemand mit diesem Bakterium in Kontakt kommt. Dann kommt es entweder zu Durchfall oder Erbrechen. In diesen Fällen spricht man einfach von einer Lebensmittelvergiftung – wobei es hier sogar zutrifft.

Sonst nicht?
In den allermeisten Fällen nicht, nein. Es handelt sich meistens um eine Lebensmittelinfektion – die Aufnahme von Bakterien, zum Beispiel Salmonellen oder E.Coli-Bakterien. Diese verursachen eben eine Infektion, und keine Vergiftung. Bei Bacillus cereus sind es die Toxine, die eine Gefahr darstellen.

Nochmals zurück zu den Fällen in der Schweiz: Wissen Sie von solchen, die auch tödlich endeten?
Nein, da weiss ich nichts von. Die gibt es sicher, aber das ist nicht dokumentiert.

Weshalb nicht?
Weil die Veröffentlichung, wie schon erwähnt, nicht obligatorisch ist. Das heisst, das wurde dann nach den Untersuchungen im Todesfall sicher intern vermerkt. Aber nicht veröffentlicht. Es ist ja selten, dass solche Fälle, wie die oben besprochenen, als Fallstudien öffentlich thematisiert werden.

Infektionserkrankungen hingegen werden übrigens gemeldet. Aber auch hier nur die wenigsten. Im Gegenteil dazu müssen Vergiftungen eben nicht gemeldet werden.

Sind sie denn auch schwierig zu erkennen?
Ja – die Symptome ähneln halt vielen anderen Erkrankungen. Entscheidend ist aber auch, dass Vergiftungen durch Bacillus cereus allgemein sehr selten sind. Dies, im Vergleich zu anderen Lebensmittelerkrankungen, wo es teils ja auch richtige Epidemien gibt. Diese entstehen dann aber eben auf anderen Lebensmitteln, wie Fleisch oder anderem eiweisshaltigem Essen.

Sind bestimmte Personen eigentlich mehr gefährdet als andere, eine potenziell tödliche Vergiftung mit Bacillus cereus zu erleiden?
Nein, das kommt wirklich alleine auf die Dosis an. Je höher diese ist, desto gefährlicher. Allerdings kann es für Kinder schon bedrohlicher sein, weil ihre Leber einfach kleiner ist und sie deswegen eine geringere Toleranz haben.

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Bacillus cereus befindet sich auf stärkehaltigen Lebensmitteln wie Reis, Pasta oder Kartoffeln. Bild: shutterstock

Wenn man eine mögliche Erkrankung denn erkennen würde – könnte man etwas dagegen tun?
Nein. Man kann einer so vergifteten Leber leider nicht helfen. Das geht einfach zu schnell.

Zum Schluss noch: Kann man die Toxine in irgendeiner Form erkennen?
Eine gute Frage. Laien können es in den allermeisten Fällen nicht, Expertinnen und Experten schon.

Wie denn?
Diese Bakterien machen ganz spezielle Stoffwechselprodukte, die kann man riechen. Aber es sind sehr feine Noten. Das riecht dann ein wenig nach etwas Vergorenem, auch ein bisschen nach Hefe. Manchmal kann man es auch sehen.

Wie genau?
Es bildet sich dann so ein weisslicher, schmieriger Belag
über den Lebensmitteln, teils auch schon an der Schüssel, am Schüsselrand oder der Pfanne. Dieses Experiment können Sie übrigens mal machen.

Okay...
Dann können Sie Reis kochen, abgiessen, den Deckel drauf lassen und das Ganze für fünf Tage stehen lassen – aber den Deckel nicht abnehmen! Und dann können Sie nach fünf Tagen sehen, wie Bacillus cereus aussieht.

Oha. Also dann kann man davon ausgehen, dass das Bakterium in jedem Fall auftauchen wird?
Ja – es ist immer da. Aber natürlich kann nicht jedes Bacillus cereus diese Giftstoffe produzieren, das ist wichtig zu wissen. Nur etwa zehn Prozent der Bacillus cereus-Stämme können dieses Cereulid, das gefährliche Toxin, produzieren. Alle anderen nicht.

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Dinge, die du besser nicht isst, obwohl sie fein aussehen
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Dinge, die du besser nicht isst, obwohl sie fein aussehen
Zwar nicht der schärfste Jalapeño, dafür aber der süsseste. Oder wie würdet ihr diesen Kolibri bezeichnen?
quelle: reddit
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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pragmatiker17
10.10.2022 17:29registriert Juni 2018
Was ist aufgewärmte Pasta? So ein Mythos wie Restschokolade? Ich frage für einen Freund.
18010
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Kaleidoskop
10.10.2022 17:16registriert November 2020
Ich wollte grad sagen! Meine Mutter hat bis auf wenige Ausnahmen praktisch alles am nächsten Tag wieder aufgewärmt (wo grade alle von Foodwaste sprechen) und wir hatten wirklich NIE Probleme. Und ich mache das heute genau gleich.
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Noob
10.10.2022 17:07registriert Januar 2015
Holy s... das war sehr informativ! Danke! Ich bin da eher der.
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