Friedrich Schillers letztes Drama macht die Armbrust zum Inbegriff der Schweizer Wehrhaftigkeit. Sie ist sozusagen das Sturmgewehr des Mittelalters, und als Logo steht sie ebenso für Schweizer Zuverlässigkeit und Präzision. Dabei ist die Armbrust mitnichten eine Schweizer Erfindung, sondern trägt einen lateinischen Namen und stammt aus dem alten China.
Das Wort «Armbrust» hat nichts mit dem Körper des Schützen zu tun, obgleich dieser das Gerät mit seinem Arm zum Schiessen an die Schulter presst. «Armbrust» stammt vielmehr vom lateinischen «arcuballista» ab (von «arcus», Bogen, und «ballista», Schleuder). Überreste von Armbrüsten, Schlösser und Bolzen aus dem 7., 6. und 5. Jahrhundert v. Chr., wurden in chinesischen Gräbern in Qufu in der Provinz Shandong und in Yutaishan in der Provinz Hubei gefunden. Technologische Fortschritte im Bronzeguss machten im alten China bald die Massenproduktion von Armbrustschlössern möglich, deren einzelne Exemplare trotz ihres Alters von über 2000 Jahren hervorragend erhalten sind.
Das Hauptmerkmal einer Armbrust ist ihr quer liegender, leistungsfähiger Bogen, dessen Sehne von Hand oder mit einer Aufzugsvorrichtung gespannt und anschliessend von einer Rückhaltevorrichtung, der sogenannten «Nuss», gehalten wird. Bei der Jagd und auf dem Schlachtfeld setzte sich die Armbrust durch, weil sie im Gegensatz zu anderen Waffen sehr kompakt war und weil ihr Schütze, anders als beim herkömmlichen Bogen, die gespannte Sehne nicht mit Muskelkraft zurückhalten muss, sondern sich ganz auf die Schussabgabe konzentrieren kann. Wegen des vergleichsweise kurzen Hubs werden mit der Armbrust auch keine Pfeile, sondern kurze Metallbolzen verschossen, deren Herstellung vergleichsweise kostengünstig ist.
In Reichweite und Durchschlagskraft war die Armbrust dem Langbogen deutlich überlegen, nicht bloss auf der Jagd, sondern auch im Krieg, bei der Belagerung von Städten etwa oder in Seeschlachten. Weil keine Rüstung ihrem Schuss standhielt und ihre Nutzung dem Ethos ritterlichen Zweikampfs widersprach, wurde sie 1139 von Papst Innozenz II anlässlich des zweiten Laterankonzils unter Androhung der Exkommunikation geächtet: Canon 29 untersagte, die «todbringende und Gott verhasste Kunst der Armbrust- und Bogenschützen» einzusetzen – ein Verbot, das auf den Schlachtfeldern Europas allerdings wenig beachtet wurde. Hier heiligte der tödliche Zweck die Mittel.
Die byzantinische Prinzessin Anna Komnene (1083–1154) schildert die Armbrust zur Zeit des ersten Kreuzzuges im Jahr 1096 als geradezu diabolischen Mechanismus: Die Pfeile «dringen durch den dicksten Harnisch und strecken den Menschen so plötzlich zu Boden, dass er nicht einmal den Schuss fühlt». Drei Anschläge auf britische Könige trugen der Armbrust den Ruf als Waffe der Attentäter ein: William II. (1056–1100) soll auf der Jagd im südenglischen New Forest aus dem Hinterhalt tödlich getroffen worden sein, sein Sohn Henry I. (1068–1135) wurde im Jahr 1119 um ein Haar von seiner unehelichen Tochter Juliana erschossen, und Richard I. Löwenherz (1157–1199) starb an Wundbrand, ausgelöst von einem Bolzen, der den König bei der Belagerung der Burg Châlus-Chabrol in die Schulter getroffen hatte.
Die Armbrust war eine Meisterleistung der Waffentechnik, deren Faszination sich die grossen Konstrukteure der Geschichte nicht entziehen konnten. Eine detaillierte Darstellung einer «Gastraphetes» (wörtlich «Bauchspanner») genannten Armbrust findet sich in der Kopie der Schrift «Belopoeica» des griechischen Mathematikers und Ingenieurs Heron von Alexandria aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. Sie zeigt eine Armbrust mit Doppelreflexbogen, Bogensehne, langgezogenem Schusskanal, einer halbrunden Bauchstütze und vor allem die Konstruktion des technischen Kernstücks, des Schlosses mit der Haltevorrichtung der gespannten Sehne.
Von Leonardo da Vinci (1452–1519) ist die Konstruktionszeichnung einer gigantischen Armbrust auf sechs Rädern erhalten, deren Bogenlänge von 25 Metern nahelegt, dass Armbrüste ebenso wie Katapulte auf mittelalterlichen Schlachtfeldern oder bei Belagerungen für Angst und Schrecken sorgen sollten.
Auf den Schlachtfeldern Europas tauchte die Armbrust erst gegen Ende des 10. Jahrhunderts auf, und als weithin gefürchtete Fernwaffe fand die Armbrust allmählich auch den Weg in die Schweiz. Um für kriegerische Auseinandersetzungen gerüstet zu sein, begannen die Städte im 14. und 15. Jahrhundert, Armbrustlager anzulegen, oder aber sie verpflichteten die wehrfähigen Männer dazu, sich selbst eine Armbrust zu beschaffen. Der Name «Armbruster» zeugt noch heute davon, dass Schützen in mittelalterlichen Formationen geachtete Spezialisten waren und in Städten Beamtenstatus genossen. Einheiten von Armbrustschützen besassen eigene Fahnen und Standarten, mit denen sie an Schützenfesten teilnahmen und in den Krieg zogen.
Derweil wurde die Armbrust auch in technischer Hinsicht laufend weiterentwickelt. Der bisherige Kompositbogen aus Horn oder Holz wurde von einem wesentlich kräftigeren Stahlbogen abgelöst, der sich nur noch mittels einer in die Armbrust eingelassenen Winde spannen liess. Heutige Armbrüste sind eigentliche High-Tech-Waffen. Mit weniger als vier Kilogramm sind sie leicht, ihre Metall- oder Carbonbolzen erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 150 Metern pro Sekunde – fast halb so schnell wie eine Pistolenkugel –, und zum Visieren dienen Zielfernrohre.
Doch obwohl leise, präzise und kompakt, lässt sich in der Schweiz vor dem 19. Jahrhundert keine besondere Vorliebe für die Armbrust feststellen. Das sollte sich 1804 mit der Uraufführung von Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» am Weimarer Hoftheater schlagartig ändern: Die Geschichte vom unbeugsamen Urner Freiheitskämpfer wurde zum Schweizer Nationalmythos und die Armbrust zum Inbegriff schweizerischer Zuverlässigkeit und Präzision. Seit 2009 ist die Armbrust als Marke international geschützt, und das Symbol des Verbandes «Swiss Label» ist, wie könnte es anders sein, Tells weisse Armbrust auf rotem Grund.
Tell steht in fürchterlichem Kampf, mit beiden Händen zuckend, und die rollenden Augen bald auf den Landvogt, bald zum Himmel gerichtet – plötzlich greift er in seinen Köcher, nimmt einen Pfeil heraus und steckt ihn in seinen Goller.
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