Wissen
Schweiz

Kaspar Stockalper – der Geopoli­ti­ker aus Brig

Kaspar Stockalper – sein Aufstieg war so steil wie der Weg auf den Simplonpass. 
https://achtung.be/arbeiten
Kaspar Stockalper – sein Aufstieg war so steil wie der Weg auf den Simplonpass.Illustration: Marco Heer

Kaspar Stockalper – der Geopoli­ti­ker aus Brig

Mitten im Dreissigjährigen Krieg macht Kaspar Stockalper den Passweg über den Simplon zu einer Hauptachse Europas. Als erster Schweizer Multiunternehmer wird er unsäglich reich. Er verkehrt mit Kaisern, Königen und Päpsten, mischt in der europäischen Politik mit – und fällt tief.
16.09.2023, 16:4518.09.2023, 21:33
Helmut Stalder / Schweizerisches Nationalmuseum
Mehr «Wissen»

Wie mussten Reisende von 350 Jahren gestaunt haben, wenn sie dieses mächtige Bauwerk in Brig am Fuss des Simplonpasses erblickten. Das Stockalperschloss in seiner barocken Pracht spottet allen Grössenverhältnissen: Ein gewaltiger, vierstöckiger Kubus mit Gewölben und Prunksälen erhebt sich über den kleinen Ort im Oberwallis. Der mediterran anmutende Arkadenhof ist atemberaubend schön und einzigartig in diesen Breitengraden.

Die Parkanlage ist den Lustgärten französischer Schlösser nachempfunden. Und die drei hoch aufstrebenden Türme künden von der Bedeutung ihres Erbauers. Kaspar Stockalper vom Thurm (1609-1691) hat den grössten weltlichen Barockbau des Alpenraums errichten lassen, sein alpines Versailles, eine architektonische Allegorie seines Überflusses, seiner Macht und seiner selbst.

Hier bloggt das Schweizerische Nationalmuseum
Mehrmals wöchentlich spannende Storys zur Geschichte der Schweiz: Die Themenpalette reicht von den alten Römern über Auswandererfamilien bis hin zu den Anfängen des Frauenfussballs.
blog.nationalmuseum.ch
Das Stockalperschloss in Brig, erbaut von 1660 bis 1679 nach den Entwürfen von Kaspar Stockalper selbst.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stockalper_Palace.jpg
Das Stockalperschloss in Brig, erbaut von 1660 bis 1679 nach den Entwürfen von Kaspar Stockalper selbst.Bild: Wikimedia

Kaspar Stockalper war eine Ausnahmegestalt. Er dominierte nicht nur die Wirtschaft und die Politik im Wallis das 17. Jahrhundert hindurch. Er spielte auch auf eidgenössischer Ebene eine bedeutende Rolle und war, was lange wenig beachtet wurde, ein Akteur auf dem europäischen Parkett. Seine Karriere führte rasch und steil empor.

Geboren wurde er 1609 in Brig als Sohn einer Patrizierfamilie. Als er 1628, knapp 20-jährig, von der Jesuitenakademie in Freiburg im Breisgau zurückkehrt, verfügt er über eine solide humanistische Bildung, spricht sechs Sprachen, besitzt einiges ererbtes Startgeld und ist entschlossen, sich in Brigs Politik einzumischen. Dies führt ihn mitten in die Rivalitäten der europäischen Grossmächte hinein.

Herrenporträt von Kaspar Stockalper, um 1850.
Herrenporträt von Kaspar Stockalper, um 1850.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Zur spanischen Linie des Hauses Habsburg gehören das Kernland Spanien, die Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien, das Herzogtum Mailand und die spanischen Niederlande. Frankreich sieht sich eingekreist, will expandieren und hat sich mit Venedig verbunden. Essenziell für Truppenbewegungen, Nachschub und den Handel sind für beide Seiten die Landkorridore über die Alpenpässe von den norditalienischen Städten Venedig, Mailand, Genua, Turin nach Lyon und Paris oder via die Freigrafschaft Burgund nach Flandern und in die Niederlande.

Geostra­te­gi­schen Vorteil nutzen

Kaspar Stockalper erkennt, dass er am Simplon an einer Schlüsselstelle zwischen den Grossmächten sitzt und die Route wegen der «Kurtze und mhere Sicherheit der Strasse» geostrategische Bedeutung hat. Dies gilt es zu nutzen, umso mehr als die für Spanien so wichtigen Äste des «Camino Español» aus der Lombardei westlich über die Savoyer Pässe, zentral über den Gotthard und östlich über die Bündner Pässe stets gefährdet sind. Mit der Simplon-Achse in seiner Hand würde er hohe Profite erzielen und grossen Einfluss gewinnen.

Stockalper geht planmässig vor. Zunächst unternimmt er eine Studienreise durch Burgund, Frankreich und Belgien an die Kanalküste, macht sich mit den Marktverhältnissen vertraut und vergesellschaftet sich mit einem Transportkonsortium in Antwerpen und einem Handelshaus in Solothurn. Im März 1634 gelingt dem 25-Jährigen ein Coup. Der Turiner Hof beauftragt ihn, die Bourbonen-Prinzessin Marie-Marguerite de Carignan, Gattin des Grafen von Savoyen und verwandt mit dem französischen König, mit ihrem Gefolge über den verschneiten Simplon zu eskortieren.

Mit 150 Reit- und Lastpferden und 200 Helfern erledigt er den Geleitzug von Brig nach Domodossola in zwei Tagen. Neben einem stattlichen Honorar erhält er Publizität für sich und den Pass. Sein Beziehungsnetz reicht nun an die französischen, savoyischen und lombardischen Höfe, wo er als fähige Figur am Simplon gilt.

Marie-Marguerite de Carignan wurde von Kaspar Stockalper 1634 über den verschneiten Simplonpass eskortiert. Das brachte dem Walliser das Vertrauen der Mächtigen ein.
https://commons.wikimedia.org/wiki ...
Marie-Marguerite de Carignan wurde von Kaspar Stockalper 1634 über den verschneiten Simplonpass eskortiert. Das brachte dem Walliser das Vertrauen der Mächtigen ein.Bild: Wikimedia

Entschlossen stösst Stockalper ins Geschäftsleben vor. Als Subunternehmer steigt er in die Spedition am Pass ein. Daneben investiert er in ein Risikogeschäft: die Eisenverhüttung im Gantergrund, die er mit viel Mühe und politischem Geschick schliesslich profitabel macht. 1639, im Alter von 30 Jahren, startet er richtig durch. Reihenweise werden ihm politische Ämter übertragen, die ihn in Schlüsselpositionen bringen. Vor allem verschafft er sich das staatliche Monopol auf den Warentransport über den Pass.

Dies ermöglicht ihm, die Verkehrsinfrastruktur von Gondo über den Simplon durchs Wallis an den Genfersee zu übernehmen. Er verpflichtet die Säumergenossenschaften, zieht Gebühren und Zölle ein, verbreitert den mittelalterlichen Weg, baut Brücken und Stützmauern, richtet Warenlager und Zollstationen ein und errichtet auf der Passhöhe und in Gondo Sustburgen als Zeichen seiner territorialen Kontrolle.

Die Prinzipien der Globalisierung hat er rasch erkannt: Arbeitsteilige Produktion und Güteraustausch über weite Strecken steigern die Rentabilität. Schnelle Verkehrswege, zuverlässige Transporte und rasche Kommunikation ermöglichen es, das Kapital schnell umzuwälzen und aus den Preisdifferenzen zwischen Ursprungs- und Verkaufsort Profit zu schlagen.

Am Ursprung von Stockalpers Aufstieg steht der Simplonpass.
Am Ursprung von Stockalpers Aufstieg steht der Simplonpass.Karte: Schweizerisches Nationalmuseum

Mit dem Warenverkehr sprudeln die Einnahmen. Aus dem Speditions- und Handelsgeschäft baut Stockalper einen Mischkonzern auf, der halb Europa überspannt und Synergien eröffnet. Die Geschäftsbeziehungen reichen nach Genf, Lyon, Paris, Brüssel bis Antwerpen, nach Mailand, Venedig, Genua, Rom, Neapel bis Sizilien, nach Augsburg und Wien, nach Savoyen, Südfrankreich und Südspanien. Aus dem Wallis exportiert er Erzeugnisse wie Eisen, Leder, Vieh, Käse, Getreide. Importiert werden Reis, Zitrusfrüchte, Spezereien, Blattgold, Schiesspulver, Waffen.

Neben dem Eisenbergwerk übernimmt Stockalper im Wallis zwei Bleiminen und eine Kupfermine und lässt in Gondo Gold schürfen. Er verschafft sich die Monopole auf Zunderschwämme, Lärchenharz und Schnecken, in Frankreich eine beliebte Delikatesse zur Fastenzeit. Zugleich treibt er seine politische Karriere voran. Erst sind es Funktionen im Zenden Brig, dann auf Landesebene. Er wird auf diplomatische Missionen geschickt und dient sich durch alle Chargen, die die Republik Wallis zu vergeben hat.

Verzah­nung von Geschäft und Politik

Dies ist das Geheimnis seines Erfolgs: die engste Verzahnung von Politik und Geschäft, die sich gegenseitig hochschaukeln. Je mehr politischen Einfluss er gewinnt, desto mehr eröffnen sich geschäftliche Opportunitäten, meist abgesichert durch staatliche Privilegien und Garantien. Und je erfolgreicher er wirtschaftet, desto mehr politischen Einfluss kann er sich verschaffen. Er beschäftigt in seinem Konzern mehrere Tausend Spediteure, Fuhrleute, Wegknechte, Verwalter, Handwerker, Bauleute, lässt Pächter für sich arbeiten, hält Schuldner in Zinsabhängigkeit und betreibt eine ausgedehnte Klientelwirtschaft mit und gegen andere Familien der Walliser Führungsschicht.

Zugleich zeigt er sich grosszügig als Mäzen, stiftet und beschenkt Kirchen, Kapellen, Klöster und Schulen. So etabliert er mitten in den kontinentalen Kriegswirren in Brig ein verzweigtes «System Stockalper», das eine Vielzahl von Profiteuren, Loyalen, Schuldnern und Abhängigen erzeugt und seine Macht absichert. Als er 1647 auch noch das lukrativste Monopol für die Salzversorgung des Landes zugesprochen erhält, scheint ihn nichts mehr aufhalten zu können.

Der König von Brig
In einer dreiteiligen Serie beleuchtet Historiker und Autor Helmut Stalder Aufstieg und Fall von Kaspar Stockalper, des «Königs von Brig»:
Teil 1: Der Geopolitiker aus Brig
Teil 2: Neutralität als Geschäftsmodell
Teil 3: Geld scheffeln bis zum Untergang

Mehr zu Stockalper gibt es in Helmut Stalders Buch «Der Günstling. Kaspar Stockalper – Reichtum, Macht und der Preis des Himmelreichs», das 2022 erschienen ist.
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Der Geopoli­ti­ker aus Brig» erschien am 13. September.
blog.nationalmuseum.ch/2023/09/stockalper-1
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Wie cool sind denn bitte Walliser Schwarznasenschafe?
1 / 13
Wie cool sind denn bitte Walliser Schwarznasenschafe?
Bild: Shutterstock
quelle: shutterstock
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Fremde Welt für Sergio: «Krass, das gibt es im Wallis tatsächlich nicht»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
9 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
9
Zahl der Bienenvölker in der Schweiz steigt wieder an – Imker gibt es aber immer weniger

Trotz hoher jährlicher Bienenverluste ist die Zahl der in der Schweiz gezüchteten Bienenvölker in den letzten zehn Jahren gewachsen. Allerdings wurden sie von immer weniger Imkerinnen und Imkern betreut. Das geht aus dem am Donnerstag vom Bundeskompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung Agroscope in Liebefeld BE veröffentlichten Situationsbericht über die Imkerei 2022 hervor.

Zur Story