Bienen sind nützlich. Und sie sterben. Seit Jahren warnen Umweltschützer vor dem Bienensterben, besonders am 20. Mai, dem Weltbienentag. Die Besorgnis ist durchaus berechtigt – doch in Wahrheit sollte sie nicht den Honigbienen gelten, sondern den Wildbienen.
Die Honigbienen sind Nutztiere, die nicht gefährdet sind. Pointiert und etwas zynisch ausgedrückt: Sie sind die Insekten, die als letzte aussterben werden. Und sie sind nur eine der gegen 600 einheimischen Bienenarten in der Schweiz, zu denen übrigens auch die Hummeln gehören. Alle anderen werden unter dem Begriff «Wildbienen» zusammengefasst. Von diesen einheimischen Wildbienenarten sind rund 45 Prozent in ihrer Existenz bedroht und stehen auf der Roten Liste.
Wildbienen sind nicht etwa eine wilde Urform der domestizierten Honigbiene, sondern wie erwähnt alle Bienenarten der Überfamilie Apoidea ausser den Honigbienen. Von diesen gibt es weltweit je nach Definition sieben bis zwölf Arten – die meisten davon sind in Asien heimisch. In Europa ist die Westliche oder Europäische Honigbiene (Apis mellifera) beheimatet. Die Anzahl der Wildbienenarten lässt sich nicht genau beziffern; weltweit dürften es 20'000 bis 30'000 sein, in Europa mehr als 2200.
Unter dieser unübersehbaren Menge von Wildbienenarten gibt es grosse Unterschiede, was Grösse, Färbung, Zeichnung und Behaarung anbelangt. Nach ihrer Lebensweise lassen sie sich in drei Grossgruppen einteilen:
Wie die Honigbienen ernähren sich die Wildbienen ausnahmslos von Pollen und Nektar, wobei der Pollen vor allem zur Ernährung der Larven dient. Die Weibchen transportieren den Blütenstaub auf unterschiedliche Weise ins Nest: Beinsammlerinnen, zu denen neben den Honigbienen etwa die Hälfte der einheimischen Arten gehört, transportieren den Blütenstaub über Vorrichtungen an ihren Beinen. Auch die Hummeln gehören zu dieser Gruppe.
Bauchsammlerinnen haben eine Bauchbürste, die den Pollen sammelt. Die Schlucksammlerinnen dagegen schlucken den Blütenstaub und würgen ihn in den Brutzellen wieder aus. Sie sind daher bei der Bestäubung von Pflanzen nicht so wichtig wie die anderen Gruppen. Alle Wildbienenarten sind Blütenbesucher; einige sind auf eine bestimmte Pflanzenart spezialisiert.
Auch die Art der Nistplätze unterscheidet sich stark. Der Grossteil – rund 70 Prozent – der einheimischen Arten nistet unter der Erde. Daneben gibt es zahllose weitere Möglichkeiten, wie morsches Holz, Mauerfugen, Hohlräume zwischen Steinen oder Zweigen, Pflanzenstängel oder sogar leere Schneckenhäuschen.
Während Honigbienen ausschliesslich in Bienenstöcken leben und Völker bilden, die bis zu 50'000 Individuen umfassen können, leben die meisten Wildbienen mit Ausnahme der Hummeln als Einsiedler. Die Völker der Hummeln, die jeweils nur einen Sommer überleben, sind allerdings bedeutend kleiner und bestehen lediglich aus 50 bis 600 Tieren.
Ein weiterer Unterschied besteht bei der Spezialisierung auf Pflanzen: Honigbienen sind ausgeprägte Generalisten, das heisst, sie nutzen das vorhandene Blütenangebot in vielfältiger Weise (Polylektie). Bei den Wildbienen gibt es sowohl Generalisten wie Spezialisten. Zu den Generalisten gehören die staatenbildenden Hummeln, aber beispielsweise auch eine Solitärbiene wie die Mauerbiene Osmia bicornis. Rund 30 Prozent der Wildbienenarten sind hingegen eher auf wenige Pflanzenarten spezialisiert (Oligolektie). Sie stehen mit diesen in einer Symbiose – während die Pflanze der Biene Nahrung liefert, sichert diese jener durch die Bestäubung die Fortpflanzung.
Der Aktionsradius der Insekten ist ebenfalls unterschiedlich: Wildbienen, die solitär leben, entfernen sich bei der Futtersuche nur 70 bis 500 Meter von ihrem Nest. Sie nisten deshalb vorzugsweise dort, wo sowohl Nistmaterial wie Nahrungsquellen vorhanden sind. Der Aktionsradius von Honigbienen beträgt dagegen bis zu 7 Kilometer.
Nur Honigbienen produzieren in nennenswertem Umfang Honig. Er dient als Vorrat für den Winter. Die Wildbienen verbrauchen den Nektar direkt, ohne daraus Honig herzustellen – auch wenn einige von ihnen, beispielsweise die Hummeln, einen Vorrat anlegen. Daraus ergibt sich auch der Unterschied, dass Honigbienen in der Regel von Menschen gezüchtet werden, während Wildbienen ohne Zutun des Menschen leben. Allerdings werden Hummeln mittlerweile – besonders beim Treibhausanbau von Tomaten – als Bestäuber eingesetzt.
Wie die Honigbienen-Weibchen verfügen auch die Weibchen der Wildbienen über einen Stachel. Honigbienen und einige Hummelarten greifen Tiere und Menschen an, die sie als Gefahr für das Nest betrachten. Bei den Wildbienen kommt es dagegen äusserst selten vor, dass sie Menschen stechen – eigentlich nur dann, wenn sich ein Tier stark bedroht fühlt. Überdies gibt es Wildbienenarten, deren Stachel die menschliche Haut nicht zu durchbohren vermag.
Meistens denkt man an die Honigbiene, wenn es um die Bestäubung von Pflanzen geht. In Wahrheit sind jedoch die Wildbienen viel wichtiger für diese wichtige Funktion im Ökosystem. Sie sind die effektiveren Bestäuber – so zeigen Zahlen aus England, dass Honigbienen lediglich einen Viertel der gesamten Bestäubungsleistung erbringen. Der grosse Rest geht aufs Konto von wild lebenden Bestäubern, unter denen die Wildbienen die wichtigste Gruppe stellen.
Ein Grund dafür ist, dass die verschiedenen Wildbienenarten an unterschiedliche Bedingungen angepasst sind. Manche fliegen zum Beispiel auch bei Temperaturen los, die für Honigbienen zu niedrig sind. Damit bestäuben sie Pflanzen auch in Schlechtwetterphasen, wenn die Honigbienen im Stock bleiben. Zudem gibt es Pflanzen, die nur von bestimmten Wildbienen bestäubt werden – die bekanntesten sind Rotklee, Luzerne und die Tomate. Bei letzteren liegt der Pollen beispielsweise in länglichen, verschlossenen Staubbeuteln. Weder der Wind noch kleine Bienen öffnen diese Beutel; dies gelingt indes den Hummeln, die mit ihren Flugmuskeln passende Vibrationen erzeugen, die den Pollen herausschütteln.
Den Wildbienen macht der menschliche Einfluss in verschiedener Hinsicht zu schaffen. Zum einen werden manche Wildbienen durch von Menschen gezüchtete Honigbienen verdrängt. Zum andern verschwindet ihr Lebensraum immer mehr – beispielsweise werden Trocken- und Magerwiesen seltener, weil wir zu viel Dünger einsetzen. Dies führt dazu, dass Wildbienen – auch weil viele von ihnen auf wenige Pflanzen spezialisiert sind – weniger Nahrung finden. Überdies finden sie auch weniger geeignete Nistplätze, weil wir Hecken abholzen und generell die Landschaft zu stark «aufräumen».
Alle Bienen, nicht nur die Wildbienen, leiden zudem unter den Neonicotinoiden – hochwirksamen Insektiziden –, die Fruchtbarkeit und Orientierungssinn der Bienen beeinträchtigen und ihre Lebensdauer verkürzen. Bei den Wildbienen fällt dies jedoch besonders ins Gewicht, weil die Fortpflanzungsrate bei den solitären Arten sehr niedrig ist. Ein Weibchen legt in seinem Leben lediglich 10 bis 30 Brutzellen an.
Quellen:
Wissenswertes über Wildbienen
Wildbienen first – unsere wichtigsten Bestäuber und die Konkurrenz mit dem Nutztier Honigbiene