Der Gazatreifen ist Teil der Palästinensergebiete und somit Gegenstand des Nahostkonflikts. Doch seit geraumer Zeit stellt er einen separaten Kriegsschauplatz dar, der mit den Vorgängen in der Westbank nicht mehr viel zu tun hat. Die Schlüsselereignisse, die in die jetzige Sackgasse führten und den nimmer endenden Teufelskreis der Gewalt befeuern in chronologischer Abfolge:
Die Parlamentswahlen 2006 in den Palästinensergebieten enden nicht gemäss den Erwartungen/Hoffnungen des Westens: Nicht die gemässigte Fatah um Präsident Mahmud Abbas, sondern die radikal-islamische Hamas gewinnt die meisten Sitze und somit das Recht, die Regierung zu bilden.
Europa und die USA, ohne deren Hilfsgelder die palästinensische Autonomiebehörde nicht überlebensfähig ist, verlangen von der siegreichen Hamas die Anerkennung Israels und einen Gewaltverzicht. Weil diese ablehnt, dreht das Nahost-Quartett (USA, EU, Russland, UNO) den Palästinensergebieten den Geldhahn zu.
Ab 2006 feuern militante Palästinenser tausende Kassam-Raketen aus Gaza Richtung Israel ab und terrorisieren grenznahe Städte wie Sderot. Die Geschosse sind handgefertigt und entsprechend ungenau. Inzwischen verfügt die Hamas über wesentlich präzisere Raketen aus russischer und iranischer Produktion mit grösserer Reichweite.
Die von der Hamas angeführte Regierung unter Premierminister Ismail Haniya hat nicht nur mit Ablehnung aus dem Westen zu kämpfen: Fatah-treue Offiziere Im Gazastreifen weigern sich, Anweisungen der Regierung zu folgen. Weinig später eskaliert die Rivalität zwischen den beiden Gruppierungen in offene Gewalt. Der Hamas gelingt es letztlich, die Fatah zu vertreiben, sie hat seither das alleinige Sagen im Gazastreifen.
Israel und Ägypten reagieren auf die Machtübernahme der Hamas mit der Abriegelung Gazas. Sämtliche Grenzübergänge werden geschlossen. Güter werden ebenso wie Waffen fortan durch Tunnels aus Ägypten geschmuggelt. In dem isolierten Küstenstreifen bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an.
Um den Raketenbeschuss aus Gaza zu unterbinden, startet Israel Ende 2008 die Operation «Gegossenes Blei». Auf Luftangriffe folgt eine grossangelegte Bodenoffensive. Ein Untersuchungsbericht der UNO wirft später beiden Seiten Kriegsverbrechen vor. Auf israelischer Seite sterben 13, auf palästinensicher 1417 Menschen, die meisten davon Zivilisten.
Im Mai 2010 versuchten sechs mit Hilfsgütern beladene Schiffe, die Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Bei der Stürmung des Schiffs Mavi Marmara tötet die israelische Marine neun türkische Aktivisten. Der Zwischenfall berlastet die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel bis heute.
Die Machtübernahme islamistischer Kräfte in Tunesien, Libyen und vor allem in Ägypten im Nachgang des Arabischen Frühlings verbessert die Position der Hamas. Höhepunkt ist ein Besuch des katarischen Emirs Hamad bin Khalifa al-Thani im Gazastreifen, der erste eines Staatsoberhaupts, seit die Hamas dort das alleinige Sagen haben. Ägypten öffnet den Grenzübergang Rafah.
Der Austausch des 2006 entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit gegen 1027 palästinensische Häftlinge steigert das Ansehen der Hamas in der arabischen Welt in ungeahnte Höhen. Sie erreicht durch den bewaffneten Kampf, was der gemässigten und vom Westen gestützten Fatah von Präsident Abbas nie gelungen war.
Weil das Raketenarsenal der Hamas 2009 offenbar nicht zersört werden konnte, startet Israel Ende 2012 eine neue Offensive im Gazastreifen. Die Operation «Wolkensäule» beginnt mit der gezielten Tötung des Chefs des bewaffneten Arms der Hamas, Ahmed Jabari. Der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi, der als Muslimbruder der Hamas nahesteht, vermittelt einen Waffenstillstand.
Durch den Sturz der Muslimbrüder in Ägypten verliert die Hamas ihren wichtigsten Verbündeten. Der neue Präsident Abd al-Fattah as-Sisi lässt den Grenzübergang Rafah wieder schliessen und Schmuggeltunnels zerstören. Das Verhältnis zu Iran, das die Hamas bislang unterstützte, kühlt sich infolge des Bürgerkriegs in Syrien merklich ab. Die Hamas steht vor dem Nichts – und reagiert wie immer, wenn sie unter Druck steht: noch mehr Raketen Richtung Israel.
Und so kommt es dieser Tage zu einer erneuten Militäroperation Israels im Gazastreifen. Am Ende wird Israel wieder behaupten, die Fähigkeit der Hamas, Raketen abzufeuern, «signifikant verringert» zu haben. Bis zur nächsten Offensive, wenn sich herausstellt, dass es keine militärische Lösung für diesen Konflikt gibt.