«Reculer pour mieux sauter» («Ein paar Schritte zurück, um dann noch weiter springen zu können»). Noch nie hat eine Mannschaft in der Neuzeit bei einer WM dieses französische Sprichwort besser umgesetzt. In der ersten WM-Partien haben die Schweizer eine 4:0-Führung gegen Auf- und Sofortwiederabsteiger Slowenien preisgegeben (5:4 n.P.).
Im letzten Gruppenspiel gelingt die bisher beste Leistung, ja, fast ein perfektes Spiel gegen Tschechien (3:1). Natürlich ist bei diesem Steigerungslauf auch Glück («Puckluck») dabei. Es ist das Glück das die Hockeygötter dem Tüchtigen gewähren.
Zuletzt hat sich die Schweiz an einer WM 1998 so gesteigert. Damals begannen die Schweizer das Turnier am 2. Mai mit einem 1:5 gegen die USA. Am 7. Mai besiegten sie zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt Russland (4:2) – der Sieg brachte die Schweizer beim kuriosen Modus mit Gruppenspielen statt Viertelfinals ins Halbfinale.
Natürlich ist das 3:1 gegen Tschechien ein Sieg der Mannschaft. Und doch ist eine Einzelkritik aufschlussreich. Wir können ohne Zuspitzung oder Übertreibung vier Architekten dieses Sieges benennen: Torhüter Niklas Schlegel, Verteidiger Dominik Schlumpf und die beiden Stürmer Reto Suri und Damien Brunner. Sie haben alle etwas gemeinsam: Sie kamen entweder während des Turniers lange Zeit nicht zum Einsatz (Schlegel, Schlumpf, Suri) oder mussten zwischendurch wegen ungenügender Leistung auf die Tribüne (Brunner).
Niklas Schlegel wehrte 95,83 Prozent der Schüsse ab. Der brave Dominik Schlumpf war in seiner ersten WM-Partie in diesem Jahr ein verlässlicher defensiver Schwerarbeiter mit mehr Eiszeit (20:17 Min.) als Captain Diaz (17:40 Min). Vorne erzielen Reto Suri und Damien Brunner die Treffer zum 2:1 und 3:1.
Ein Hinweis auf die ganz grosse Stärke von Nationaltrainer Patrick Fischer: Er ist ein charismatischer Kommunikator («Cheerleader»), der es versteht, die Spieler für sich zu gewinnen. Zu begeistern und zu einer Einheit zusammenzuschweissen.
«Cheerleader» ist ja keineswegs eine Schmähung. «Cheerleading» leitet sich aus dem englischen Wort «cheer» («Beifall») und «to lead» («führen»), also sinngemäss «zum Beifall führen». «Cheerleading» ist der «weiche» Erfolgsfaktor, der so wichtig sein kann wie «harte» Faktoren wie Taktik und Selektion des Teams.
Diese Qualität, hat nun hier in Paris Patrick Fischers taktische Schwächen bei weitem aufwogen. Taktische Schwächen? Auch davon war nun erstmals nichts mehr zu sehen. Das letzte Drittel gegen Tschechien war taktisch das beste des Turniers. Die Arbeit von Taktiklehrer Tommy Albelin trägt langsam aber sicher Früchte.
Ein Nationaltrainer ist immer auch (Hockey)-Politiker und Verkäufer. Je besser es ihm gelingt, den Spielern die WM-Mission «zu verkaufen», desto erfolgreicher ist er. Und die grosse Kunst ist es, in der Zeitspanne von wenigen Wochen eine Mannschaft zusammenzustellen, die lebt. In der jeder für jeden einsteht, jeder die ihm zugewiesene Rolle vorbehaltlos akzeptiert und alle sich gegenseitig unterstützen.
Also für das zu sorgen, was als «Chemie» in einer Mannschaft bezeichnet wird. Erschwerend kommt beim Nationaltrainer dazu, dass im Laufe der Vorbereitung neue Spieler hinzukommen und sich so die Chemie und die Hierarchie in der Kabine laufend verändert.
Dass diese Mannschaft lebt, ist mehr noch auf der Spielerbank als auf dem Eis ersichtlich. Dort zeigen sich die Emotionen in der Art und Weise, wie sich die Spieler gegenseitig unterstützen und aufmuntern. Es ist eine Spielerbank, die im besten Wortsinne lebt.
Dieser Zusammenhalt zieht sich nach dem Spiel gegen Tschechien auch durch die Aussagen der Spieler. Reto Suri sagt im Zusammenhang mit der herausragenden Leistung von Torhüter Niklas Schlegel: «Dass er zum Zuge kommt und gleich eine solche Leistung erbringt, zeigt wie gut die Stimmung ist. Jeder akzeptiert die Rolle, die ihm zugewiesen wird.»
Das gelte auch für ihn. «Ich war sicher nicht glücklich, dass ich am Anfang nicht spielen durfte. Aber ich habe alles getan um bereit zu sein, wenn ich meine Chance bekommen.» Er fühle sich sehr gut und es sei ihm gelungen, Energie und Tempo ins Spiel zu tragen. «Wir haben als Mannschaft im Laufe des Turniers etwas aufgebaut. Nach dem Startspiel sind wir erst einmal abgeschrieben worden, nach der Niederlage gegen Frankreich erst recht.» Schon deshalb sei ein Vergleich mit der Silber-WM von 2013 nicht möglich. «Dort sind wir ja mit neun Siegen hintereinander bis ins Finale durchgelaufen.»
Dominik Schlumpf blieb nach einer grossen Leistung leise, freundlich und bescheiden. So wie es seine Art ist und sagte: «Ich bin froh, dass ich meinen Beitrag zu diesem Spiel leisten konnte.»
Raphael Diaz assistierte zum 1:0 und war beim 3:1 im Einsatz. Das Minus in der Statistik ist weg, er hat nun eine Plus-Bilanz (+1). «Aber das spielt nun wirklich keine Rolle. Wir sind eine Mannschaft und ich habe noch gar nicht an meine Statistik gedacht.» Auch der Captain rühmt die gute Stimmung im Team – und die taktischen Fortschritte. «Wir stehen in unserer Zone sehr gut, behalten kühlen Kopf und spielen einfach. Nun müssen wir den Schwung ins Viertelfinale mitnehmen.»
Damien Brunner sass gegen Finnland wegen mangelnder Leistung auf der Tribüne, kehrte gegen Tschechien zurück und erzielte das 3:1. Hatte er sich bei Patrick Fischer über die Zurückversetzung beschwert? «Sicher nicht. Wenn ich in meiner Zeit in Nordamerika etwas gelernt habe, dann das Akzeptieren jeder Rolle.»
Das ist auch eine der grossen Qualität dieser Mannschaft: Jeder akzeptiert die Rolle, die ihm zugewiesen wird.
Die des ewigen Grantlers, eines "Mieggihunds". Einer, der immer alles besser weiss - im Nachhinein.
Und das nützt Fischer nun auch aus. Mit Boykott - und Erfolg. "Dem zeigen wir es nun!" wird es wohl mannschaftsintern tönen. Der Schweizer braucht solche Gegner, um seine Bestleistung zu erreichen.
Darum: Danke Eismeister für deinen heroischen Beitrag 😃