Die Präsidentschaftswahlen zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000 waren extrem eng. Wer ins Weisse Haus einziehen würde, darüber entschieden letztlich ein paar wenige Wählerstimmen in Florida.
Bush hatte am Wahlabend die Nase vorn, aber es waren noch nicht alle Briefstimmen ausgezählt. Der Vorsprung des Republikaners schmolz bedrohlich. Da griff der Oberste Gerichtshof ein und untersagte das weitere Auswerten der Briefstimmen. Damit war George W. Bush zum 43. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt.
Dieses Szenario droht sich dieses Jahr in einem noch weit dramatischeren Ausmass zu wiederholen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Donald Trump die Mehrheit aller Stimmen deutlich verfehlen. Doch dank dem sogenannten Elektorensystem – nicht die Mehrheit der Stimmen, sondern die Mehrheit der Wahlmänner gibt den Ausschlag – hat er trotzdem eine Chance, sich die Wiederwahl zu sichern.
Das Elektorensystem hat zur Folge, dass die US-Wahlen in ein paar wenigen sogenannten «Battleground States» entschieden werden. Drei davon, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, haben nun entschieden, dass per Brief eingereichte Stimmen bis zum 9. November gültig sind.
Trump will davon nichts wissen. Seit Monaten polemisiert er gegen die Abstimmung per Brief. Sie würden zu einem gewaltigen Wählerbetrug führen, wiederholt der Präsident immer wieder, ohne auch nur einen Hauch eines Beweises für diese Behauptung zu liefern. Der wahre Grund liegt woanders: Demokraten stimmen sehr viel häufiger per Brief ab als Republikaner.
Szenenwechsel. Der Körper der verstorbenen Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg war noch nicht kalt, als der Präsident und sein Handlanger im Senat, Mehrheitsführer Mitch McConnell, forderten, den Sitz der Ikone der liberalen Linken mit einer konservativen Richterin zu besetzen.
Damit würden die Republikaner eine Mehrheit von 6:3 erlangen, die kaum mehr zu überwinden ist. Der Supreme Court wäre damit auf Jahrzehnte hinaus fest in der Hand der Grand Old Party (GOP).
Der US-Supreme Court ist eine äusserst mächtige Institution. Im amerikanischen System der «Checks and Balances» bildet er das juristische Gegenstück von Präsident und Kongress. Die Machtfülle der obersten Richter reicht weit. Sie können Gesetze für verfassungswidrig und damit für nichtig erklären. Sie können gar, wie der Fall von George W. Bush zeigt, darüber entscheiden, wer ins Weisse Haus einzieht.
Damit schliesst sich der Kreis. Trump will die Nachfolgerin von Bader Ginsburg noch vor den Wahlen installieren, damit sein teuflischer Plan aufgeht. Dieser Plan sieht wie folgt aus:
Dank dem Elektorensystem und der Tatsache, dass die Demokraten mehrheitlich per Brief abgestimmt haben und diese Stimmen noch nicht erfasst sind, hat Trump am Abend des 3. Novembers eine scheinbare Mehrheit. Er erklärt sich umgehend zum Sieger und alle nicht ausgezählten Stimmen für ungültig.
Natürlich werden die Demokraten sofort juristisch gegen dieses Vorgehen ankämpfen. Doch selbst wenn sie von den Richtern in den einzelnen Bundesstaaten Recht erhalten, bleibt das letzte Urteil dem Supreme Court vorbehalten. Dort wird sich die konservative Mehrheit zugunsten von Trump entscheiden.
Wie stehen die Chancen, dass dieser teuflische Plan aufgeht? Leider nicht so schlecht. Die Reihen der GOP schliessen sich. Wen immer auch Trump nominieren wird – die grössten Chancen werden Amy Coney Barrett, einer konservativen Katholikin und Abtreibungsgegnerin eingeräumt –, kann damit rechnen, auch gewählt zu werden. Mitch McConnell scheint die nötigen republikanischen Stimmen im Senat auf sicher zu haben.
Dazu kommt, dass William Barr dieses üble Spiel mitspielen wird. Der Justizminister hat schon mehrmals bewiesen, dass er nicht mehr das neutrale Recht, sondern die Interessen des Präsidenten vertritt.
Damit ist es denkbar geworden, dass die USA mittels eines kalten Staatsstreichs Demokratie und Rechtsstaat aushebeln. Trump hätte erreicht, was sein grosses Vorbild Wladimir Putin bereits hat: eine «gelenkte Demokratie», in der Pseudowahlen die Herrschaft einer Oligarchie vernebeln sollen.
Was können die Demokraten dagegen tun? Derzeit unternehmen sie alles, um die Menschen in den einzelnen Bundesstaaten dazu zu bringen, bei ihren jeweiligen Senatoren zu protestieren. Viel wird dies jedoch kaum bewirken. Die Republikaner sind offensichtlich gewillt, ihre Machtdemonstration kaltschnäuzig durchzuziehen, und legal steht ihnen dabei nichts im Wege.
Der Schwachpunkt der GOP liegt bei den Interessen der Amerikanerinnen und Amerikaner. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit das Vorgehen der Republikaner verurteilt. Eine noch weit grössere Mehrheit will zudem nicht, dass die Abtreibung in den USA wieder verboten oder das Gesundheitsgesetz Obamacare wieder aufgehoben werden. Genauso dies droht jedoch bei einer konservativen Mehrheit im Supreme Court.
Nur ein nicht angreifbarer Sieg von Joe Biden und – was ebenso wichtig ist – eine demokratische Mehrheit im Senat würden die teuflischen Pläne Trumps durchkreuzen. Zum Glück stehen die Chancen, dass dies am 3. November eintreten wird, ebenfalls nicht schlecht.
Die Anerkennung dieses offensichtlichen Wahlbetrugs konnte ich damals schon nicht nachvollziehen. Wie kann so etwas sein? Unfassbar eigentlich.