Jesus Christus ist vermutlich die bekannteste Figur in der Menschheitsgeschichte. Obwohl er laut Bibel schon vor 2000 Jahren gelebt haben soll, kennen ihn die meisten Menschen rund um den Globus. Zwar nicht direkt aus der Bibel, aber immerhin vom Hörensagen.
Diesen überwältigenden Erfolg verdankt er dem Mythos, der Sohn Gottes zu sein. Für gläubige Christen ist er ein Held. Zur Legendenbildung trug aber auch sein asketischer Lebensstil bei. Vor allem sein Märtyrertod: Als Teil der göttlichen Dreifaltigkeit menschliche Qualen am Kreuz zu erleiden, ist ein starkes Stück.
Verehrt wird Jesus zudem dank seiner Unerschrockenheit und rebellischen Haltung. Er legte sich mit den Mächtigen an und kämpfte für die Entrechteten und Armen.
Er hatte ausserdem eine gehörige Portion Glück, dass er zum Gründer der grössten Weltreligion wurde. Jesus Christus war zur rechten Zeit am rechten Ort. Als sei es eine göttliche Vorsehung gewesen. Deshalb frage ich mich manchmal, was passieren würde, wenn er heute wiederkehren würde, um sein Werk zu vollenden.
Zuerst müsste er ein Dilemma überwinden. Als Jude sollte er das auserwählte jüdische Volk anführen und die Thora lehren. Das wäre aber in der heutigen Zeit ein heikles Unterfangen, das bei vielen Leuten nicht gut ankommen würde.
Man denke an den Gaza-Krieg, den erneut aufflammenden Antisemitismus und die rechtsradikalen Strömungen in der westlichen Welt. In diesen Kreisen zirkulieren Verschwörungstheorien von der angeblichen geheimen jüdischen Weltregierung, die die globale Macht an sich reissen will. Jesus bräuchte bei öffentlichen Auftritten wohl Polizeischutz.
Beim Einzug in Jerusalem müsste er ein noch grösseres Hindernis überwinden. Die Juden betrachten ihn nicht als Sohn Gottes, sondern lediglich als Prophet. Deshalb könnte er nicht damit rechnen, dass die Passanten auf die Knie fallen würden.
Abwegig ist das Szenario mit dem Auftauchen von Jesus nicht. Strenggläubige Christen hoffen sehnlichst auf seine prophezeite Wiederkunft. Er soll als Messias das Reich Gottes vollenden und die rechtgläubigen Christen erlösen.
Viele Freikirchen weltweit kultivieren deshalb apokalyptische Visionen. Die aktuellen Kriege, Seuchen und Katastrophen sind für sie jene Zeichen, die in der Bibel als Voraussetzung für seine Wiederkunft genannt werden. Manche entwickelten eine Endzeitsehnsucht und erklären, wir würden in den letzten Tagen leben.
Bei seiner Wiederkunft müsste Jesus über seinen Schatten springen. Aussagen und Hinweise im Neuen Testament deuten klar darauf hin, dass er überzeugt war, der Jüngste Tag werde bald anbrechen. Ein fataler Irrtum, den er zuerst eingestehen und verdauen müsste.
Die Juden würden dem wiedergeborenen Jesus kaum helfen, das Reich Gottes zu vollenden. Muslime, Hindus und Buddhisten liessen sich wohl auch nicht bekehren. Und die Christen der grossen Kirchen, die viele biblische Geschichten als Gleichnisse oder Metaphern betrachten, wären mit Sicherheit überrumpelt. Sie bräuchten klare Beweise, dass es sich tatsächlich um den Sohn Gottes handle.
Gefordert wäre vor allem der Papst, der in theologisch wichtigen Fragen bekanntlich unfehlbar ist. Möglicherweise würde er ein Tribunal veranstalten oder ein Konzil einberufen, um Rückendeckung von den Kardinälen zu bekommen.
Bleiben noch die strenggläubigen Christen, die vor allem in Freikirchen aktiv sind. Bei ihnen würde Jesus offene Türen einrennen. Ob der rebellische Jesus an den Huldigungen der prüden und frömmlerischen Gläubigen Freude hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Eine Hypothek für den «echten Jesus» wäre auch der Umstand, dass in den letzten Jahrhunderten immer wieder neue Christusse aufgetreten sind. Ihr Missionserfolg blieb aber stets bescheiden, weil sie radikal, psychisch belastet oder unglaubwürdig waren.
Die Zeit für die Wiederkunft wäre eigentlich so gut wie selten zuvor. Dank der Medien und des Internets könnte Jesus die göttlichen Botschaften in Sekundenschnelle um die Welt schicken.
Es gäbe allerdings ein anderes Hindernis. Heute sind die Leute gebildet und skeptisch, wenn es um überzogene Versprechen wie beispielsweise die Errichtung eines Paradieses geht. Sie wollen plausible Hinweise, wasserdichte Quellen oder gar Beweise.
Schliesslich werden wir überflutet von falschen Versprechungen. Sowohl in der Politik als auch in der Konsumwelt. Und nicht selten auch von Religionen und deren Führer. Ob Jesus mit Wunderheilungen die Christen überzeugen könnte, tatsächlich der Sohn Gottes zu sein, steht in den Sternen. Schliesslich wimmelt es heute von Geistheilern, die ebenfalls Wunder versprechen.
Es besteht also die Gefahr, dass Jesus mit der neuerlichen Mission auf der Erde ein zweites Mal scheitern würde.