Die SVP hat harte Zeiten hinter sich. Sie verlor eine Volksabstimmung nach der anderen und erlitt auch bei den Wahlen 2019 einen herben Rückschlag. Intern zeichneten sich Bruchlinien ab zwischen der alten Garde um Patriarch Christoph Blocher und jüngeren Kräften. Nun ist davon (vorerst) keine Rede mehr: Die SVP freut sich über zwei symbolträchtige Erfolge.
Erst hat der Bundesrat die Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen mit der EU beendet. Nationalrat und Europa-Chef Roger Köppel sprach in der aktuellen Debatte am Dienstag von einer «Sternstunde in der Geschichte der Eidgenossenschaft». Am letzten Sonntag folgte das Nein zum CO2-Gesetz, nach einer gehässig-emotionalen Kampagne der SVP.
Die seit dem Klima- und Frauenstreik anhaltende «grüne Welle» ist jäh an einem Betonblock zerschellt. Entsprechend gross ist der Frust bei den Wahlsiegern 2019. Besonders hart traf es die Grünliberalen, bislang die erfolgreichste Partei der laufenden Legislatur. Und die einzige, die sich vorbehaltlos für das Rahmenabkommen ausgesprochen hatte.
Nun mussten sie als Nichtregierungspartei machtlos zuschauen, wie die rechte Mehrheit im Bundesrat ihm den Stecker zog, ohne einen brauchbaren Plan B vorweisen zu können. Zu Beginn der Sommersession war der Ärger über den wenige Tage zuvor erfolgten Entscheid bei vielen Befürwortern des Rahmenvertrags noch sehr frisch.
«Ich war danach wie paralysiert», sagte ein Kommunikationsberater im Gespräch mit watson. «Mir hat es noch nie so gestunken, nach Bern zu kommen», schimpfte eine langjährige Nationalrätin. «If you see all grey, move the elephant!», zitierte Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) in der Europadebatte am Dienstag ein indisches Sprichwort.
Was aber, wenn hinter dem Elefanten ein noch grösserer auftaucht? Offensichtlich weiss der Bundesrat weiterhin nicht, wie es nach seinem Hauruck-Entscheid im Verhältnis mit der EU weitergehen soll. Cassis stellte erneut die Auszahlung der Kohäsionsmilliarde in Aussicht, zum Ärger von Roger Köppel. Mit der EU solle ein politischer Dialog etabliert werden.
Wie dieser genau aussehen soll, muss man offenbar erst noch herausfinden. Der Aussenminister musste auch einräumen, dass die EU nicht verpflichtet ist, bestehende bilaterale Abkommen zu aktualisieren. Dies ist ein Grundproblem der heutigen statischen Verträge: Es gibt keinen verbindlichen Mechanismus zur Rechtsübernahme.
Darunter leidet derzeit die Medizinaltechnik-Branche. Offenbar werden von der EU nicht einmal mehr bestehende Zertifikate akzeptiert. Auf die Frage der Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala nach der möglichen Verlagerung von Firmen in die EU meinte Cassis: «Ein Ja hat seinen Preis, ein Nein hat seinen Preis. Dies ist nun der Preis, den wir für das Nein zahlen.»
Ein Schockerlebnis für Mitte-links war auch der Absturz des CO2-Gesetzes. In den Gesprächen im Parlament wurden zahlreiche Gründe genannt, etwa der Corona-Frust, der womöglich für den hohen Nein-Anteil bei den Jungen verantwortlich war. Nach dem langen und trüben zweiten Lockdown hätten viele keine Lust auf noch mehr «Verzicht» gehabt.
Selbst das nasskalte Mai-Wetter musste als Erklärung herhalten. «Als die Sonne schien, haben die Hass- und Drohmails schlagartig aufgehört», sagte ein bürgerlicher Befürworter des CO2-Gesetzes. Nicht wenige haderten auch mit der zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga und ihrem Wechsel vom EJPD in ihr erklärtes Wunschdepartement UVEK.
«Viola Amherd hätte diese Abstimmung gewonnen», ereiferte sich eine erfahrene Nationalrätin aus dem linksgrünen Spektrum. Eine bürgerliche Bundesrätin aus den Bergen könne ein solches Gesetz einfach besser verkaufen als eine linke Städterin wie Sommaruga. Denn letztlich scheiterte das CO2-Gesetz vor allem am Widerstand der ländlichen Bevölkerung.
Schuld an der Niederlage war auch die FDP-Basis, die entgegen der Parteiparole das Gesetz klar abgelehnt hat. Der am folgenden Tag angekündigte Rücktritt von Präsidentin Petra Gössi wurde als Folge dieser Niederlage interpretiert. Man kauft es der Schwyzerin ab, dass sie ihren Abgang unabhängig vom Ausgang der Abstimmung geplant hat.
Sicher aber wäre Gössi gerne mit dem Gefühl abgetreten, dass die von ihr eingeleitete Öko-Wende erfolgreich war. Jetzt trägt sie das Stigma der Verliererin. Als Beobachter hatte man stets Zweifel, dass die FDP-Basis so klar hinter dem neuen Kurs stand, wie es die Mitgliederbefragung suggerierte. Zu lange hatte die Partei die Umweltpolitik klein gehalten.
Es ist bezeichnend, dass sich sogar der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri, diese Inkarnation eines staatstragenden Freisinnigen, unter die Gegner des CO2-Gesetzes eingereiht hatte. Vielleicht hatte er den Puls der Basis besser gespürt als manche andere. Gleichzeitig steht Fluri für eine Fraktion, die gegen aussen den Eindruck eines Hühnerhaufens hinterlässt.
Immer mehr Mitglieder tanzen ungeniert aus der Reihe, auch in der Europapolitik, in der die Pateispitze ein «Ja aus Vernunft» zum Rahmenabkommen propagiert hatte. Ein Freisinniger, der als möglicher Gössi-Nachfolger genannt wird, sagte gegenüber watson offen, was er vom heutigen Fraktionschef hält, dem Zürcher Nationalrat Beat Walti: wenig bis gar nichts.
Er erinnerte fast wehmütig an die Urnerin Gabi Huber, die den Laden einst mit eiserner Hand zusammengehalten hatte. Manche dürften sich bei Petra Gössis Nachfolge vom Wunsch leiten lassen, zum Rechtskurs ihrer Vorgänger Fulvio Pelli und Philipp Müller zurückzukehren. Er hatte die FDP nach Jahren des Niedergangs zurück zum Erfolg geführt.
Wunder aber wiederholten sich selten. Fraglich ist auch, ob der SVP-Höhenflug anhält. Für die starke Mobilisierung auf dem Land waren die beiden Agrarinitiativen verantwortlich, die viele Bauern als existenzielle Bedrohung empfanden. Sie rissen das CO2-Gesetz mit in den Abgrund. Auch Corona spielte eine grössere Rolle, als man vorab ahnen konnte.
In Regionen wie dem Luzerner Hinterland liefen abseits des städtischen Fokus «5 x Nein»-Kampagnen, also auch gegen das Covid-19- und das Terrorismus-Gesetz. Dahinter steckten offensichtlich Corona-Skeptiker. Vielleicht verpufft dieser Effekt, wenn die Krise überstanden ist. Klar ist aber auch: Die grüne Erfolgswelle ist kein Selbstläufer.
Es ging um ein Gesetz und nicht um Personen.