Simonetta Sommaruga ist eine Meisterin der Selbstkontrolle. Weniger nett formuliert könnte man sie als Kontrollfreak bezeichnen. Entsprechend gefasst kommentierte die SP-Bundesrätin am Sonntag die bitterste Niederlage ihrer politischen Karriere. Das Scheitern des CO2-Gesetzes in der Volksabstimmung stellt die gesamte Schweizer Klimapolitik in Frage.
Mit der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens hatte sich die Schweiz verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Dafür sei das revidierte CO2-Gesetz «von zentraler Bedeutung», hatte der Bundesrat noch im Januar bei der Vorstellung seiner Klimastrategie betont. Jetzt steht er vor einem Scherbenhaufen.
Die Schweiz müsste es nun eigentlich wie Donald Trump machen und aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Das kommt für Sommaruga nicht in Frage, wie sie am Sonntag auf Nachfrage von watson betonte. Sie räumte aber ein, dass es «schwierig» werden dürfte, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Vor allem wenn das Volk nicht bereit ist, dafür zu bezahlen.
Eine Atempause wird es kaum geben, denn es gibt unmittelbaren Handlungsbedarf. Ausserdem kommen neue Vorlagen ins Parlament mit einem Bezug zur Klimapolitik. Einfacher wird es nach dem Fiasko vom Sonntag nicht. Ein Überblick:
Das bestehende CO2-Gesetz enthält Massnahmen, die bis Ende 2021 befristet sind. So können sich Unternehmen mit einem hohen CO2-Ausstoss von der heutigen Abgabe befreien, wenn sie die Emissionen von sich aus vermindern. Importeure von Benzin und Diesel sind verpflichtet, in Klimaprojekte wie Biogasanlagen zu investieren.
Simonetta Sommaruga will diese Massnahmen verlängern. Der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen – ein Gegner der nun gescheiterten Vorlage – schlägt gemäss der NZZ als weitere Sofortmassnahme vor, den CO2-Zielwert für Neuwagen (heute 95 Gramm pro Kilometer) im Gleichschritt mit der EU stufenweise zu verschärfen.
Das macht an sich Sinn, da die Hersteller sich ohnehin an den EU-Vorgaben orientieren. Bei den Autoimporteuren aber dürfte sich die Begeisterung in Grenzen halten. Sie zahlen schon heute hohe Bussen (2019 waren es fast 80 Millionen Franken), weil die Schweizer Kundschaft mit Vorliebe SUVs und andere spritschluckende Fahrzeuge anschafft.
Noch vor den Sommerferien – also sehr bald – will UVEK-Chefin Sommaruga die Revision des Energiegesetzes zuhanden des Parlaments verabschieden, wahrscheinlich gekoppelt mit dem revidierten Stromversorgungsgesetz. Mehrere Teilnehmer der Vernehmlassung hatten dies gefordert, weil beide Vorlagen eng miteinander verknüpft sind.
Während bei letzterem die Öffnung des Strommarktes für alle Teilnehmer im Zentrum steht (heute dürfen nur Grossverbraucher ihren Anbieter frei wählen), geht es beim Energiegesetz um die Umsetzung der 2017 angenommenen Energiestrategie 2050. Vordringlich ist dabei eine massive Beschleunigung des bislang schleppenden Ausbaus der Photovoltaik.
Dieser Punkt ist im Grundsatz unbestritten. Schwieriger werden dürfte der Ausbau der Wasserkraft, er stösst auf Widerstand bei Landschaftsschützern. Die AKW-Lobby könnte versuchen, den Atomausstieg zu revidieren. Und selbst Gaskraftwerke dürften zum Thema werden, obwohl sie klimapolitisch reichlich quer in der Landschaft stehen.
Die 2019 eingereichte Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» verfolgt das gleiche Ziel wie der Bundesrat: Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2050 auf Netto Null sinken. Das geforderte Verbot fossiler Energieträger aber geht dem Bundesrat zu weit. Er will der Initiative einen direkten Gegenvorschlag gegenüberstellen.
Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, der die Gletscher-Initiative unterstützt, forderte am Sonntag eine rasche Behandlung im Parlament. Doch selbst wenn die Initiative oder der Gegenvorschlag in der Volksabstimmung durchkommt, liegt höchstens ein symbolischer Erfolg vor. Entscheidend wäre die Umsetzung des Verfassungsartikels.
Das Volk sagt nein zu einem wirkungsvollen Klimaschutz. Jetzt müssen wir die GletscherInitative zur Abstimmung bringen. Nur so bekommen wir eine demokratische Legitimation zurück für einen wirkungsvollen Klimaschutz.
— Ruedi Noser (@RuediNoser) June 13, 2021
Damit käme unweigerlich eine Neuauflage des gescheiterten CO2-Gesetzes ins Spiel. Im Gespräch ist nun eine Aufspaltung der laut Sommaruga «überladenen» Vorlage. Eine Flugticketabgabe wird jedoch kaum mehrheitsfähiger, wenn separat darüber abgestimmt wird. Was sich auf das Portemonnaie auswirkt, wird es auch in Zukunft schwer haben.
Die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren propagiert eine Art Befreiungsschlag: ein umfassendes Lenkungssystem für sämtliche nichterneuerbaren Energieträger. Lenkungsabgaben «leiden» allerdings unter einem grundsätzlichen Problem: Selbst wenn sie zu 100 Prozent zurückerstattet werden, sehen viele nur die unmittelbaren Kosten.
Der Klimawandel sei «das existenzielle Problem der Menschheit», sagte US-Präsident Joe Biden am gleichen Tag, an dem die Schweiz von einem griffigen CO2-Gesetz nichts wissen wollte. Bei vielen Menschen, nicht nur bei uns, ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen.
Allerdings wird dies nichts bringen, wenn man sich die Nachwählerbefragungen vom Sonntag anschaut.
Meist genannte Antwort warum man das C02-Gesetz abgelehnt hat:
Fliegen und Benzin tanken würde etwas teurer.... (!)
Leider gerade auch von jungen Menschen.
Ähm ja... habt ihr gedacht, der Planet rettet sich von selbst, gratis und jegliche zusätzliche Anstrengung oder Änderung der Gewohnheiten?
Ich habs aufgegeben.
Wer nicht bereit ist für einen Langstreckenflug 120.- mehr zu bezahlen, der hats einfach nicht anders verdient.