Nach ZDF-Bericht aus Mariupol: Russische Propaganda-Maschinerie läuft

ZDF Doku aus Mariupol sorgt rote Köpfen.
Bild: zdf screenshot

Nach ZDF-Bericht aus Mariupol: Russische Propaganda-Maschinerie läuft auf Hochtouren

01.02.2024, 14:33
Rebecca Sawicki / watson.de

Kaum eine Stadt in der Ukraine steht so sehr für die Brutalität Russlands wie Mariupol. Die Stadt am Asowschen Meer wurde zu einem Sinnbild des völkerrechtswidrigen Angriffs. Mit Beginn der Invasion hatten russische Streitkräfte die Stadt angegriffen; Zivilistinnen und Zivilisten hatten deshalb Schutz in einem Theater gesucht. Doch die russischen Truppen bombardierten das Theater. Die Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» spricht von einem Kriegsverbrechen.

Construction workers clean up the remaining part of the Mariupol's theater to use it in the construction of a new theater in Mariupol, in Russian-controlled Donetsk region of eastern Ukraine, Tue ...
Das komplett zerstörte Theater in Mariupol.Bild: keystone

Im Frühjahr 2022, wenige Wochen nach diesem Überfall, verkündete der Kreml die Einnahme der Hafenstadt. Bis heute hält Russland Mariupol annektiert. Laut russischen Angaben wurden 90 Prozent Mariupols zerstört und mindestens 20'000 Menschen getötet. Diese Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Wenig verwunderlich also, dass ein unkritischer Bericht des ZDF aus Mariupol Ende Januar 2024 einen Shitstorm auslöste. Und nicht nur in Deutschland findet der Beitrag Beachtung – offensichtlich wird er auch in Russland für die eigene Propaganda genutzt.

Ukrainischer Botschafter kritisiert ZDF-Bericht scharf

Für die Sendung «Seltener Blick in russische Besatzung» teilt ZDF-Korrespondent Armin Coerper seine Eindrücke aus der russisch-besetzten Stadt. Er spricht mit Menschen, die sich allesamt pro-russisch äussern. Deren geäusserte Meinung ist wenig verwunderlich, wie Kritiker:innen des Beitrages feststellen. Schliesslich ist Mariupol eine von Russland besetzte Stadt, offen kritische Menschen könnten hier wohl kaum lange frei auf der Strasse herumlaufen.

Coerper spricht auch mit Schauspieler:innen des Theaters, die berichten, sie könnten nun wieder russisch spielen – das sei ihnen in den vergangenen Jahren verboten gewesen. Und der Korrespondent beschreibt den Wiederaufbau der zerbombten Stadt. Seine Formulierung: «Die Stadt funktioniert.» Alles in allem zeichnet er, so die Kritik, ein zu positives Bild. Der kritische Blick fehle.

Zu den Kritiker:innen des Beitrags gehört auch der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev. Er schreibt auf X, früher Twitter:

«Ich respektiere den ZDF-Einsatz in der Ukraine. Aber die rechtswidrige Mariupol-Schalte war eine Legitimierung der Besatzung und eine Relativierung von Kriegsverbrechen. Auf unsere Nachfrage erkannte ZDF den Verfahrensfehler an. Die inhaltliche Verantwortung muss hinzukommen.»

Mit rechtswidrig meint er wohl, dass die Einreise in das Staatsgebiet der Ukraine über russisches Gebiet nach ukrainischem Recht eine Straftat ist. Um aber nach Mariupol zu gelangen, braucht es eine russische Genehmigung – und Zugang ist nur von russischer Seite möglich. Auch hierfür wird das ZDF-Team, das eine russische Genehmigung hatte, kritisiert.

Russland nutzt ZDF-Bericht für Propaganda

In Russland währenddessen wird der ZDF-Beitrag sehr positiv aufgenommen. Zahlreiche Medien nutzen die Aussagen Coerpers, um die russische Erzählung der Befreiung in der Ukraine lebender Russ:innen zu stützen. Der Kreml und Russlands Machthaber Wladimir Putin sprechen nämlich noch immer nicht von einem Krieg, sondern von einer Spezialoperation. Das Ziel: Die ukrainische Zivilbevölkerung und ethnische Russ:innen von einer angeblichen «Naziherrschaft» befreien.

So beschreibt etwa das Medium «Lenta», wie überrascht Coerper davon gewesen sei, dass die Stadt funktioniere. Und es zitiert ihn mit den Worten: «Es gibt Menschen, die auf den Strassen unterwegs sind. Sie leben ihr Leben, und sie sind offen [für Kommunikation].» Hervorgehoben wird auch Coerpers Eindruck, dass die Bevölkerung in Mariupol pro-russisch eingestellt sei.

Ein Punkt, auf den auch «Ria Novosti» eingeht. Das Medium stellt ausserdem den von Coerper beschriebenen Wiederaufbau Mariupols in den Mittelpunkt. Die russische Nachrichtenagentur Tass währenddessen geht auf die Kritik innerhalb Deutschlands ein, während die Vorgehensweise Coerpers als normal und von Russland unabhängig verdeutlicht wird. So wird suggeriert, es handele sich bei der Kritik um pro-westliche und anti-russische Propaganda.

Der Journalist Artur Weigandt postete auf X ein Video, auf dem zu sehen ist, wie viele russische Medien letztlich die ZDF-Recherche aufgegriffen haben. Dazu schreibt er: «Einen wunderschönen guten Morgen, nachdem Armin Coerper seinen Beitrag zu Mariupol geschildert hat, freut sich die russische Medienlandschaft ganz besonders über die Aufmerksamkeit aus Deutschland.» Deutschland habe von russischem Journalismus keine Ahnung, gibt er zu bedenken.

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rivka
01.02.2024 15:42registriert April 2021
Solange die (absichtliche) Naivität der Europäer und ihre Dienste für den muskowitischen Imperialismus weitergehen, geht für den Kreml-Gnom auch 'alles nach Plan'. 🤦🏻‍♀️
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Rafinha
01.02.2024 18:26registriert April 2015
Habt ihr den Beitrag überhaupt gesehen? Herr Coerper versuchte zu differenzieren und betonte beispielsweise wiederholt, dass dies nur seine Sicht und seine Erfahrungen sind. Den Hinweis, dass vermutlich nur Menschen die pro-russisch eingestellt sind Auskunft geben, weil sich kritische Stimmen unter der Besatzung nicht trauen frei zu sprechen, gab er übrigens selber. Ausserdem wurden in dieser Sendung beide Seiten gezeigt und eine Korrespondentin in der Ukraine schilderte auch ihre persönlichen Eindrücke.
Nach solchen Artikeln frage ich mich ob nicht auch wir von Propaganda beeinflusst werden.
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