In der letzten grossen TV-Debatte vor dem historischen Brexit-Referendum haben sich Gegner- und Befürworter eines britischen EU-Austritts mit schweren Vorwürfen überzogen. In den Umfragen liegen beide Seiten gleichauf.
Londons Bürgermeister Sadiq Khan warf den Brexit-Fürsprechern eine Hasskampagne gegen Zuwanderer vor. Sein Amtsvorgänger Boris Johnson beschuldigte die Austritts-Gegner, bewusst Ängste vor den wirtschaftlichen Folgen eines EU-Austritts zu schüren. Kurz vor der Volksabstimmung am Donnerstag ergeben Umfragen noch immer kein klares Bild, wie das Ergebnis aussehen dürfte.
Die Debatte vor rund 6000 Zuschauern in der Londoner Wembley-Arena am Dienstagabend markierte das letzte grosse Wahlkampf-Ereignis vor dem Referendum über einen Austritt Grossbritanniens aus der EU. Bei dem live im Fernsehen übertragenen Schlagabtausch waren Khan und Johnson die prominentesten Köpfe der mit mehreren Vertretern teilnehmenden Lager.
«Was das Thema Zuwanderung angeht, war Ihr Wahlkampf nicht das »Projekt Angst«, sondern das »Projekt Hass"«, sagte Khan an die Adresse der Brexit-Befürworter gerichtet. Mehrfach warf er der Gegenseite vor, Wähler mit Lügen zu einem Votum für den EU-Austritt bewegen zu wollen: »Das ist Panikmache, Boris, und Du solltest Dich dafür schämen."
Dramatischer Appell
Johnson, einer der entschiedensten Brexit-Verfechter, betonte dagegen, die Einwanderung müsse unter Kontrolle gebracht werden - innerhalb der EU sei das nicht möglich. Er warf Khan vor, ein «Angstprojekt» zu betreiben und eine übertriebene Furcht vor einem wirtschaftlichen Kollaps des Königreichs im Falle eines EU-Austritts zu schüren. «Ihr sagt, es gehe nicht anders, als sich Brüssel zu beugen», rief Johnson. «Wir sagen, dass Ihr dieses Land auf schändliche Weise unterschätzt.»
Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen eines Brexit wies Johnson zurück. Jeder wisse, dass etwa ein Fünftel der deutschen Autoproduktion nach Grossbritannien gehe. «Glauben Sie wirklich, die wären so verrückt und würden Zölle zwischen Deutschland und Grossbritannien einführen?», fragte Johnson.
Premierminister David Cameron, der für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU wirbt, war bei der TV-Debatte am Abend nicht dabei. Der Regierungschef hatte sich zuvor bereits in einem dramatischen Appell vor seinem Amtssitz Downing Street 10 direkt an die Wähler gewandt. «Für Sie, für Ihre Familie und für die Zukunft unseres Landes, stimmen Sie fürs Drinbleiben», sagte er.
Unentschlossene Wähler im Visier
Cameron warnte zugleich: Sollten die Briten bei dem historischen Votum an diesem Donnerstag für einen Austritt aus der EU stimmen, gebe es kein Zurück mehr.
Jüngste Umfragen ergeben kein klares Bild über den zu erwartenden Ausgang der Abstimmung. Eine am Dienstag veröffentlichte Studie des ORB-Instituts für die Zeitung «Daily Telegraph» ergab 53 Prozent für das Pro-EU-Lager und 46 Prozent für die Brexit-Befürworter. Dagegen sah das Institut YouGov das Brexit-Lager knapp vorn: 44 Prozent von mehr als 1600 Befragten wollten demnach für einen EU-Austritt stimmen, 42 Prozent dagegen. Auch diese Umfrage zeigt, wie wichtig es für beide Lager sein wird, die nach monatelanger Debatte noch immer unentschlossenen Wähler von ihren Argumenten zu überzeugen.
Die Wahllokale öffnen am Donnerstag um 7 Uhr und schliessen um 22 Uhr Ortszeit (23.00 Uhr MESZ). Mit einem Ergebnis wird am Freitagmorgen gerechnet. (sda/dpa/afp)