Wichtige Richtungswahl für Europa: Die Französinnen und Franzosen entscheiden darüber, ob ihr Land künftig vom linksliberalen Emmanuel Macron oder von der Rechtspopulistin Marine Le Pen regiert wird. Erste Anzeichen wiesen auf einen Sieg des Favoriten Macron hin.
Die belgische Zeitung «Le Soir» meldete am Nachmittag, dass Macron über 60 Prozent der Stimmen erhält. Es handle sich um Umfragen vom Wahltag, aber nicht um Hochrechnungen, hiess es.
Wie und von welchem Institut die Umfragen durchgeführt wurden und wie viele Menschen befragt wurden, schrieb das Blatt nicht. Der Radiosender RTBF zitierte eine Prognose, wonach Macron auf 62 bis 64 Prozent kommen könnte.
Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl hatten von belgischen Medien verbreitete Umfragen die Trends relativ gut vorhergesagt. Die Zahlen sind aber dennoch noch nicht wirklich belastbar.
Einen ähnlichen Trend hatte «Le Soir» bereits aufgrund von inoffiziellen Nachwahlbefragungen in den französischen Überseegebieten ausgemacht: So komme Macron in Französisch-Guyana, Guadeloupe und Martinique in Südamerika auf mindestens 65 Prozent; bei Auslandfranzosen in Nordamerika zeichnete sich laut «Le Soir» eine überwältigende Zustimmung für Macron von mehr als 90 Prozent ab.
Die Veröffentlichung von Umfragewerten und Teilergebnissen ist in Frankreich untersagt, solange noch gewählt wird. In den grossen Städten können die Franzosen in der Regel bis 20.00 Uhr ihre Stimme abgeben. Zur Schliessung der Wahllokale werden dann die ersten Hochrechnungen verkündet.
Richtungsentscheid
Die Stichwahl gilt als Schicksalswahl für ganz Europa, denn die Kandidaten könnten unterschiedlicher nicht sein: Le Pen vom Front National (FN) will Frankreich aus der EU führen und strebt ein Referendum über einen Euro-Austritt an.
Der 39-jährige Ex-Wirtschaftsminister Macron mit seiner Bewegung «En Marche!» (Vorwärts) will dagegen die europäische Integration vertiefen und die deutsch-französische Achse stärken. Dass es kein Kandidat der grossen Volksparteien in die Endrunde schaffte, zeigt, wie unzufrieden die Wähler mit deren Arbeit sind.
Die gemässigten Kräfte stellten sich nach der ersten Wahlrunde hinter Macron, um eine Präsidentschaft Le Pens zu verhindern. Allerdings lehnen viele linke Wähler Macrons wirtschaftsfreundliche Linie ab.
Dies dürfte die eher niedrige Wahlbeteiligung an der Stichwahl erklären: Das Innenministerium gab die Wahlbeteiligung um 17.00 Uhr mit 65.3 Prozent an. Das waren etwa 4 Prozentpunkte weniger als bei der ersten Wahlrunde zu diesem Zeitpunkt. Die Wahlbeteiligung lag auch niedriger als bei den Präsidentschaftsstichwahlen der Jahre 2002, 2007 und 2012 um diese Uhrzeit.
Strenge Sicherheitsvorkehrungen
Zur Wahl aufgerufen waren mehr als 47.5 Millionen Französinnen und Franzosen. Wegen der Anschlagsgefahr findet die Wahl unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Im Einsatz sind mehr als 50'000 Polizisten und tausende Soldaten.
Am Sonntag wurde der Platz vor dem Louvre-Museum, wo Macron am Abend vor seine Anhänger treten will, wegen eines verdächtigen Gepäckstücks geräumt. Es wurde aber schnell Entwarnung gegeben.
Die beiden Kandidaten für die Nachfolge des scheidenden Staatschefs François Hollande gaben am Vormittag ihre Stimme ab. Macron wählte im nordfranzösischen Badeort Le Touquet, Le Pen in der Stadt Hénin-Beaumont, einer FN-Hochburg.
Nächste Hürde: Parlamentswahl
Der noch amtierende Präsident François Hollande wird seinem Nachfolger spätestens am kommenden Sonntag das Amt übergeben. Sollte der 39-jährige Macron die Wahl gewinnen, wäre er der jüngste Staatschef in der französischen Geschichte.
Dieser müsste sich auf eine harte Amtszeit einstellen. Viele der Bürgerinnen und Bürger, die für ihn stimmen wollen, tun dies nicht aus Zustimmung für das Programm des früheren Investmentbankers, sondern weil sie Le Pen verhindern wollen.
Das Ringen zwischen den etablierten Parteien und radikaleren Strömungen in Frankreich wird sich bis in die Parlamentswahlen im Juni hineinziehen. Dabei wird das neue Staatsoberhaupt versuchen, eine eigene Mehrheit zu erlangen. Eine Umfrage in dieser Woche deutete an, dass Macron dies gelingen könnte.
Kurz vor der Wahl war Macrons Wahlkampfteam Opfer eines massiven Hackerangriffs geworden. Die Pariser Staatsanwaltschaft eröffnete am Sonntag eine offizielle Untersuchung. Die französische Regierung hatte wiederholt vor einer russischen Einmischung in den Präsidentschaftswahlkampf gewarnt. Sie verdächtigte Moskau, die Wahl zugunsten der russlandfreundlichen Le Pen beeinflussen zu wollen. (sda/dpa/afp/reu)