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Interview

Piratenpartei Zürich lanciert Volksinitiative für digitale Integrität

Hauptbahnhof Zürich, Februar 2019.
Die Piratenpartei will dem Datenhunger privater Firmen und staatlicher Stellen ein neues Grundrecht entgegensetzen. Ziehen die Menschen in Zürich mit?Bild: Shutterstock
Interview

«Die Zeit ist reif für ein Grundrecht auf digitale Integrität»

Die Zürcher Piratenpartei will per Volksinitiative den Überwachungs-Kapitalismus eindämmen und die Datensicherheit erhöhen. Im bevölkerungsreichsten Kanton beginnt nun die Unterschriftensammlung.
11.03.2024, 13:01
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Am Montag startet die Zürcher Piratenpartei die Unterschriftensammlung für eine kantonale Volksinitiative. Im Interview erklärt Geschäftsführerin Monica Amgwerd, wie die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der fortschreitenden Digitalisierung gestärkt werden sollen und sich der Staat von mächtigen Techkonzernen emanzipieren muss.

Das Interview

Frau Amgwerd, warum will die Piratenpartei eine kantonale Volksinitiative für ein Grundrecht auf digitale Integrität gerade jetzt lancieren?
Monica Amgwerd: Wir befinden uns in einer technologischen Zeitenwende: Die Digitalisierung betrifft fast alle Lebensbereiche. Viele unserer alltäglichen Handlungen finden inzwischen online statt und hinterlassen eine Datenspur, auch wenn uns dies oft nicht bewusst ist. Mit steigender Rechenleistung und den Fortschritten in KI sind wir an einem Punkt, an dem diese Daten vollautomatisiert ausgewertet werden können.

Wir müssen als Gesellschaft jetzt vorausschauend handeln, damit wir die vielen Vorteile der Digitalisierung nutzen können und dabei die Risiken so klein wie möglich halten. Unser Ziel ist, dass die Digitalisierung den Menschen dient und nicht gegen die Interessen der breiten Bevölkerung eingesetzt wird. Deshalb ist die Zeit reif für ein Grundrecht auf digitale Integrität.

«Fakt ist: Wir als Partei kommen kaum mehr nach, all die Überwachungsgesetze zu bearbeiten, dasselbe mit den unzähligen Datenlecks des Bundes und Privater.»

Digitale Unversehrtheit klingt gut. Aber welchen praktischen Nutzen erhofft sich die Piratenpartei, wenn dies in die Verfassung geschrieben wird?
Das Grundrecht auf digitale Integrität und die davon abgeleiteten Rechte geben den Menschen ein Mittel, um sich gegen Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen. Der Gesetzgeber muss diese neuen Rechte respektieren und verwirklichen. Dieses neue Grundrecht ist eine humanistische Antwort auf den Paradigmenwechsel des Digitalzeitalters.

Monica Amgwerd, Piratenpartei Zürich.
Die gebürtige Zugerin Monica Amgwerd (38) ist Generalsekretärin der Piratenpartei Zürich.Bild: Elena Brotschi

Florent Thouvenin, Professor für Informations- und Kommunikationsrecht an der Universität Zürich, sprach von einem «diffusen Unbehagen gegenüber den neuen Möglichkeiten und der Macht von Big Tech sowie des Staates». Wie sehen Sie das?
Die Besorgnis über die Macht von Big Tech und des Staates wird durch Ereignisse wie den Cambridge-Analytica-Skandal und Datenlecks bei staatlichen Stellen in der Schweiz bestätigt. Diese zeigen die Gefahrenpotenziale des Überwachungskapitalismus und staatlicher Datensammlung für die Demokratie auf. Für die Piratenpartei ist klar, dass es eine Pflicht geben muss, solche Gefahrenpotenziale zu minimieren. Das Grundrecht auf digitale Integrität sorgt dafür, dass sämtliche Akteure ihre Tätigkeiten oder Dienstleistungen verantwortungsvoll gestalten müssen, um die digitale Integrität der Menschen zu gewährleisten.

Allerdings hat das Schweizer Parlament im Dezember 2023 entschieden, dass die Bundesverfassung nicht um das Recht auf digitale Unversehrtheit erweitert werden soll. Ein Vorstoss des SP-Politikers Samuel Bendahan (Waadt) wurde im Nationalrat klar abgelehnt.
Wir bedauern diesen Entscheid des Parlaments sehr. Dieser zeigt, dass der Druck mittels Volksinitiativen notwendig ist, um die digitale Unversehrtheit der Bürger zu schützen.

Kritische Rechtsexperten argumentieren, der bestehende Grundrechtskatalog der Bundesverfassung genüge. Was antworten Sie darauf?
Es existiert weder ein Recht auf Vergessenwerden noch ein Recht auf ein Offline-Leben. Es existiert auch kein Recht auf Informationssicherheit oder ein Recht darauf, nicht von einer Maschine beurteilt zu werden. Schweizerinnen und Schweizer haben bislang kein Recht darauf, nicht überwacht, vermessen und analysiert zu werden. Das Recht auf Schutz vor Verwendung von Daten ohne Zustimmung, die das digitale Leben betreffen, ist zudem weitreichender. Der bisherige Grundrechtskatalog deckt dies alles nicht ab.

Im Einleitungstext der Initiative wird ein ziemlich düsteres Bild des Überwachungskapitalismus und eines datenhungrigen Staates gezeichnet. Welche konkreten Probleme sind aus Sicht der Piratenpartei am dringlichsten anzugehen?
Eine wirkliche Priorisierung ist schwierig vorzunehmen, auch weil die Probleme teilweise zusammenhängen, etwa dass Staaten auch mit Big Tech zusammenarbeiten. Fakt ist: Wir als Partei kommen kaum mehr nach, all die Überwachungsgesetze zu bearbeiten, dasselbe mit den unzähligen Datenlecks des Bundes und Privater. Was vorliegt, ist eine mangelnde Kultur der Sorgfalt im Umgang mit Daten von Menschen. Das Dringendste ist damit das Installieren von rechtlichen Standards, um diese Sorgfalt sicherzustellen und damit das Fundament für eine bessere Zukunft zu legen.

Unterschriftenbogen der kantonalen Volksinitiative der Zürcher Piratenpartei «Für ein Grundrecht auf digitale Integrität».
Der Unterschriftenbogen der Zürcher Volksinitiative.Bild: Screenshot: watson

Im Initiativtext heisst es, dass aus dem Grundrecht unter anderem das Recht darauf abgeleitet werden soll, «nicht von einer Maschine beurteilt zu werden». Wie wichtig ist dieser KI-Aspekt aus Sicht der Piratenpartei?
Algorithmen entscheiden bereits heute in vielen Bereichen unseres Lebens. Bewerbungen werden etwa automatisch verarbeitet und bewertet, Vorlieben anhand unseres Verhaltens erraten und Wahrscheinlichkeit zur Kriminalität berechnet. Das Problem dabei ist, dass diese Algorithmen intransparent sind und Entscheidungen meistens nicht mal vom Anbieter verstanden werden. Ein Mensch muss immer die letzte Instanz bleiben. Unser Vorschlag für ein Recht darauf, nicht von einer Maschine beurteilt zu werden, gibt den Menschen die Möglichkeit, gegen automatisierte Entscheidungsfindung Einspruch zu erheben.

«Der Einsatz von Open-Source-Software ist der Schlüssel für eine sichere und souveräne digitale Schweiz.»

Ihre Initiative will auch die Problematik adressieren, dass immer mehr Organisationen gehackt und persönliche Daten geleakt werden. Wie soll das Recht auf Datensicherheit erreicht, bzw. umgesetzt werden?
Wir fordern ein Recht auf Informationssicherheit. Informationssicherheit bedeutet, dass die Vertraulichkeit, die Verfügbarkeit und die Integrität der Daten sichergestellt ist. Die Bürgerinnen und Bürger hätten nach der Annahme der Initiative das Recht, gegen Organisationen vorzugehen, die gegen diese Prinzipien fahrlässig verstossen. Wie beispielsweise die Zürcher Justizdirektion, die hochsensible Daten wie psychiatrische Gutachten verlor, oder die Firma Xplain. Ein positiver Nebeneffekt dürfte sein, dass sorgfältiger digitalisiert wird. Nämlich nur dann, wenn die Sicherheit gewährleistet ist.

Stichwort Ende-zu-Ende-Verschlüsselung: In der EU gibt es seit Längerem Bestrebungen, die abhörsichere digitale Kommunikation aufzuweichen. Droht diese Gefahr auch hierzulande?
Ja, diese Gefahr droht auch in der Schweiz. Das Nachrichtendienstgesetz (NDG) und kantonale Polizeigesetze sehen den Einsatz von Staatstrojanern vor und der Bund hatte letztes Jahr versucht, über den Verordnungsweg das digitale Briefgeheimnis zu zerstören. Dank des grossen Aufschreis durch Threema, Proton, des eidgenössischen Datenschützers (EDÖB) und nicht zuletzt von uns Piraten konnten wir diesen Angriff auf sichere Verschlüsselung vorerst abwehren.

«6000 Stimmen in 6 Monaten sind für unser Team ein Kraftakt, den es zu stemmen gilt.»

Laut Experten könnte ein solches Grundrecht den Bürgerinnen und Bürgern die Illusion eines Schutzes vermitteln, obwohl die echte Bedrohung für ihre Freiheiten von schwer kontrollierbaren externen Faktoren abhängen, etwa von multinationalen Techkonzernen. Wie sehen Sie das?
Bei der Entwicklung, Planung oder Nutzung von Technologien sollen sich die Verantwortlichen bereits Gedanken zu einer menschenwürdigen Umsetzung machen. Die Vor- und Nachteile müssen abgewogen und verglichen werden und ethische Aspekte dürfen dabei nicht fehlen.

Die Initiative zielt darauf ab, dass sich der Staat von den Techkonzernen emanzipieren muss. Kürzlich musste der Bund eingestehen, dass er sich in eine Abhängigkeit hineinmanövriert hatte, aus der er nur noch schwer entkommen kann, Zitat: «Faktisch ist die Bundesverwaltung heute abhängig von Office-Produkten des Herstellers Microsoft.»

Der Einsatz von Open-Source-Software ist der Schlüssel für eine sichere und souveräne digitale Schweiz. Unsere Forderungen nach einem Recht auf Informationssicherheit und darauf nicht überwacht, vermessen und analysiert zu werden wird diesen Emanzipationsprozess beschleunigen.

Damit die Zürcher Volksinitiative zustande kommt und die Stimmberechtigten darüber abstimmen können, braucht es nur ein paar tausend Unterschriften, das dürfte ein Kinderspiel sein, oder?
Der Kanton Zürich hat machbare Bedingungen für Initiativen, das kommt auch uns entgegen. Aber 6000 Stimmen in 6 Monaten sind für unser Team trotzdem ein Kraftakt, den es zu stemmen gilt und wir sind um jede Unterstützung froh, Interessierte bitte melden!

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass die Initiative vom Stimmvolk tatsächlich angenommen wird?
Man weiss so etwas natürlich nie, aber wir haben Gründe zur Annahme, dass die Chancen nicht schlecht stehen. Ich sage das, weil in Genf über eine sehr ähnliche Initiative bereits abgestimmt und diese vom Stimmvolk mit einem überwältigenden Ergebnis von 94 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde.

Chronologie

  • März 2024: Im Wallis lehnt das Stimmvolk eine neue Kantonsverfassung ab, die unter anderem ein «Recht auf digitale Integrität und Identität» verankern wollte.
  • Dezember 2024: Der Nationalrat lehnt eine parlamentarische Initiative des Waadtländer SP-Politikers Samuel Bendahan ab, die das Recht auf digitale Unversehrtheit in der Bundesverfassung festschreiben will.
  • Juni 2023: In Genf wird als erstem Schweizer Kanton das Recht auf digitale Unversehrtheit in der Kantonsverfassung verankert. Das Stimmvolk nimmt eine entsprechende Vorlage mit über 90 Prozent an.
  • In weiteren Kantonen laufen politische Bestrebungen, digitale Unversehrtheit als neues Grundrecht in die jeweiligen Kantonsverfassungen zu schreiben.

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46 Kommentare
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May the fourth (be with you)
11.03.2024 14:27registriert Mai 2021
Aus meiner Sicht als ehemaliger Lehrer, müssten die Schulen aufhören, im Unterricht MS Programme zu verwenden und zu lehren. Die Grundprinzipien kann man auch mit libreoffice lernen. Vor allem entstünde so bei den Lernenden nicht der Eindruck, dass gar keine Alternativen zu Microsoft gebe.
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The Destiny // Team Telegram
11.03.2024 13:18registriert Mai 2014
Die Piraten brauchen unbedingt mehr Stimmen, damit es in Bern "richtig" (im Sinne der Bürger) mit der Digitalisierung vorangeht.
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