«Huawei gibt Europa auf.»
Mit diesem spektakulären Satz beginnt ein Artikel, den der europäische «Politico»-Ableger am Donnerstagabend auf seiner Website veröffentlicht hat. Der Grund dafür habe wenig mit dem wirtschaftlichen Potenzial des Unternehmens und viel mit Politik zu tun, heisst es. Und konkret:
watson fasst die wichtigste Punkte zusammen.
Die missliche Lage von Huawei sei im Juli dieses Jahres vom Firmengründer Ren Zhengfei in einer Rede vor Führungskräften in der Unternehmenszentrale in Shenzhen zusammengefasst worden, heisst es im «Politico»-Bericht, der die zunehmend schwierige Lage des Unternehmens beleuchtet.
Update: In der Nacht auf Samstag wurde publik, dass die USA den Import und Verkauf von Huawei-Smartphones und weiterer chinesischer Hardware verbieten. Diese Geräte stellten ein inakzeptables Risiko für die nationale Sicherheit dar.
«Politico» führt drei Ursachen für Huaweis Krise an:
Im vergangenen Jahr habe der chinesische Techkonzern seine westlichen Lobbyisten aus dem Unternehmen gedrängt, seine Aktivitäten in Europa zurückgefahren und sein Ziel einer globalen Führungsrolle auf Eis gelegt, so «Politico».
Mutmasslicher Grund für den Wandel:
Auslöser war demnach der Fall von angeblicher Wirtschaftsspionage, der die 50-jährige Tochter des Huawei-Gründers betraf. Als mutmassliche Erbin der Unternehmensführung hatte Meng laut «Politico» eine Schlüsselrolle im Rechts- und PR-Kampf zwischen Huawei und Washington gespielt.
Gewichtigen Einfluss hatte aber auch ein Virus. Vor der Pandemie habe Huawei regelmässig europäische Politiker, Journalisten und Wirtschaftsführer in seinem Hauptsitz in Shenzhen empfangen, ruft «Politico» in Erinnerung. Chinas Zero-Covid-Politik habe dies aber unmöglich gemacht.
Für viele in Europa habe sich das Risiko-Nutzen-Kalkül in Bezug auf Huawei über Nacht geändert, als der russische Despot Putin mit seinen Truppen die Ukraine überfiel.
Der strategische Rückzug von Huawei sei bemerkenswert, konstatieren die «Politico»-Reporter in ihrem Bericht. Jahrelang habe das Unternehmen Millionen von Euro in Lobbyisten gesteckt, um in Europa Fuss zu fassen.
Das Unternehmen sei bekannt für seine grosszügigen Geschenktüten, die oft ein Huawei-Telefon enthielten, und verschwenderische Partys an glamourösen Veranstaltungsorten mit ausgefallenen Buffets und Tanzdarbietungen.
Doch damit scheint Schluss zu sein.
Nun bündele der Konzern seine europäischen Aktivitäten in nur einem Geschäftsbereich (statt bisher zwei) mit Hauptsitz in Düsseldorf und bringe seine Lobbying-Aktivitäten in Berlin, Paris, Brüssel und London «unter Kontrolle».
Diese Pläne waren laut «Politico» noch unangekündigt. Die Umstrukturierung werde Huawei helfen, mehr Synergien innerhalb der gesamten europäischen Geschäftstätigkeit zu erzielen, wird ein Europa-Sprecher zitiert. Der Personalbestand des Unternehmens, derzeit rund 12'000 Angestellte, werde im Grossen und Ganzen «stabil» bleiben.
Anfang 2021 seien die Brüsseler Lobbyisten von Huawei noch optimistisch gewesen, «dass der Hunger Europas nach einer billigen und schnellen 5G-Installation über Sicherheitsbedenken siegen würde», hält «Politico» fest.
Heute seien die Chinesen bei der 5G-Ausrüstung für europäische Mobilfunknetzbetreiber auf den dritten Platz zurückgefallen, deutlich hinter Ericsson und Nokia. Und die langfristige Zukunft sehe düster aus, mahnen die Reporter.
Laut Branchenanalysten hat das Unternehmen aber immer noch einen soliden Anteil an einigen grossen nationalen Märkten, darunter Deutschland und Spanien.
Auf den ersten Blick scheine die Abhängigkeit der Schweizer Telekombranche von Huawei nicht besorgniserregend zu sein, konstatierte die NZZ im vergangenen September. Swisscom verwende im Mobilfunk hauptsächlich Ericsson-Technologie und Huawei-Produkte würden in diesem Bereich nur vereinzelt zum Einsatz kommen, etwa bei Antennen.
Beim leitungsgebundenen Festnetz sehe es anders aus; hier spiele Huawei-Hardware «eine wichtige Rolle», aber nicht bei den wichtigsten Netzbestandteilen. Beim eigentlichen «Rückgrat» dieser Infrastruktur sei Swisscom von Huawei auf den finnischen Hersteller Nokia umgeschwenkt.
Hingegen setzten die Swisscom-Konkurrenten Salt und vor allem Sunrise beim 5G-Mobilfunk auf die Chinesen. Wie sich «ein plötzlicher Liefer- und Wartungsstopp bei Huawei-Komponenten» auf die Kommunikationsnetze auswirken würde, sei laut Experten schwierig zu prognostizieren.
Zur Erinnerung: Die Sozialdemokratische Partei (SP) Schweiz will mit einem im Frühjahr lancierten Vorstoss eine «Lex Huawei» schaffen: «Der Bundesrat soll eine gesetzliche Grundlage schaffen, um die kritische Kommunikationsinfrastruktur vor einer Einflussnahme anderer Staaten zu schützen.»
Auslöser für den NZZ-Bericht war übrigens ein «äusserst Huawei-freundliches Buch», respektive ein Sammelband, in dem mehrere Autoren ihre Meinung kundtun. Herausgeber: der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom) und heutige Salt-Verwaltungsratspräsident.
Wie es mit dem Huawei-Lobbying in der Schweiz weitergehen soll, nachdem die Europa-Zentrale entsprechende Bemühungen in der EU zurückfährt, ist nicht öffentlich bekannt.
watson hat Huawei um eine Stellungnahme zum «Politico»-Bericht ersucht und gefragt, wie es mit Huawei Schweiz weitergeht. Die Antwort der Medienstelle: