Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, einen kritischen journalistischen Beitrag zu 5G zu schreiben. Aber irgendwie fehlte der ultimative Ansporn.
Dann kam Elektra.
Elektra Wagenrad. Was für ein Name. Aber darum gehts hier nicht. Sondern um die knallharte Analyse, die die deutsche Hackerin bei golem.de publizierte.
Darf man als Digital-Redaktor kritisch eingestellt sein gegenüber einer Technologie, die absolut revolutionär sein soll? Ich finde, man darf nicht nur, man muss!
Zwar habe ich mal Informatik im Nebenfach studiert. Doch zu meiner Verteidigung möchte ich anführen, dass der Mobilfunk damals noch in den Kinderschuhen steckte.
Wenn man rund 30 Jahre nach 2G die Berichterstattung zu 5G verfolgt, könnte man meinen, uns stehe mit dem neusten Mobilfunk-Standard eine Revolution ins Haus.
Umso mehr freute ich mich, als ich bei meinen Online-Recherchen letzten Dezember auf den Golem-Beitrag von Elektra stiess. Der Titel: Warum 5G nicht das bessere Wi-Fi ist.
Nachfolgend fasse ich die knackigsten Aussagen der unabhängigen Expertin zusammen und ergänze sie mit weiteren Kritikpunkten zu 5G, die aus meiner Sicht zentral sind.
Was wurde uns nicht schon alles versprochen zum neuen Mobilfunk-Standard. 5G wird als Heilsbringer vermarktet. Als Technologie, die uns in eine bessere Zukunft führt.
Dazu schreibt Elektra:
Wenn etwas dermassen gut klingt, sollten alle Warnglocken läuten. Letztlich sind wir es, die für neue Technik bezahlen, als Konsumenten, Kunden und Steuerpflichtige.
Dass zu hohe Erwartungen geweckt werden, räumen übrigens selbst Leute ein, die vom 5G-Business massiv profitieren.
Es gibt neben 5G weitere Schlagwörter, mit denen uns die Marketing-Cracks eine komplett vernetzte Always-Online-Welt schmackhaft machen wollen. Wie etwa Cloud-Computing und das Internet der Dinge, kurz IoT. Das Ziel ist aus marktwirtschaflicher Perspektive völlig klar: Wir sollen noch stärker von Konzernen und ihren Produkten abhängig sein.
Was ganz sicher stimmt: 5G ist ein Bombengeschäft für die Telekommunikationsbranche, von Huawei über Swisscom bis zu unzähligen kleineren Firmen. Für die Mobilfunk-Provider ist 5G nicht nur die Gelegenheit, teure neue Smartphones und Abos zu verkaufen, sie können so auch die Kabelnetzbetreiber austricksen und noch mehr User-Daten sammeln.
Schliesslich ist daran zu erinnern, dass 5G die bestehende Infrastruktur nicht so schnell ersetzt, sondern die bestehenden Mobilfunk- und WLAN-Architekturen ergänzen soll.
«Laut Huawei verbraucht 5G weniger Energie», titelte Golem im Juli. Ende 2019 hiess es beim gleichen deutschen Techportal: «5G lässt Energiebedarf stark ansteigen». Dies sei das Fazit einer Studie zu stromhungrigen Rechenzentren.
Sicher ist, es gibt beunruhigende Prognosen, was den Stromverbrauch der neuen Mobilfunk-Technologie betrifft. Und die Aussagen variieren, je nach Perspektive und Akteur.
Huaweis Vorstandsvorsitzender sagt zu 5G:
Dem hielt ein hochrangiger Vertreter von China Mobile, dem grössten Mobilfunk-Provider, entgegen:
Sicher ist: Wenn die neuen ultraschnellen «Datenautobahnen» da sind, werden sie auch befahren.
Die WOZ brachte es auf den Punkt:
Eine absehbare Konsequenz des neuen 5G-Netzes besteht darin, dass die Konsumenten mehr Geräte schneller als je zuvor nutzen können – dadurch wird der Stromverbrauch weltweit mit Sicherheit steigen. Dieser Energieverbrauch ist heute einer der Hauptfaktoren für den Klimawandel.
Selbstkritisch muss sich die Generation Netflix (also jung, mittelalterlich und alt) fragen, warum wir trotz drohender Klimakatastrophe die Konsumgewohnheiten nicht anpassen? Warum schränken wir uns beim – zugegeben sehr bequemen – Streaming nicht ein, sondern wollen immer mehr?
Werden die kabellosen Netze überhaupt das halten, was uns die Marketing- und Werbeleute versprechen?
Böse ausgedrückt ist 5G in gewissen Anwendungsbereichen eine Mogelpackung. Weil es noch kein flächendeckendes Netz mit 5G-Antennen gibt, werden die von den Smartphones gesendeten Daten über 4G-Verbindungen übertragen.
Wesentliche Leistungssteigerungen gegenüber bisherigen Mobilfunknetzen sind bei 5G erst bei der Nutzung von Frequenzen über 6 GigaHertz (GHz) zu erwarten.
Das wird irgendwann in der Zukunft sein.
Das heisst allerdings nicht, dass wir wegen 5G kein WLAN mehr brauchen werden. Im Gegenteil ...
Im digitalen Alltag müssen die kleinen, teuren 5G-Funkzellen mit der neusten WLAN-Generation konkurrieren, die Wi-Fi 6 genannt wird und langsam aber sicher Einzug hält.
Wi-Fi 6 ist bereits über Router verfügbar, die den neusten drahtlosen Datenübertragungs-Standard beherrschen. Und die Smartphone-Marktführer Samsung und Apple haben Wi-Fi 6 in ihre aktuellen Flaggschiff-Modelle integriert.
Bei näherer Betrachtung und insbesondere im Vergleich mit Wi-Fi 6 falle die angekündigte 5G-Technik-Revolution eher ernüchternd aus, konstatiert Elektra. Technisch seien die Unterschiede zwischen dem aktuellen Wi-Fi 6 und 5G viel kleiner, als man vermuten könnte.
Der Mobilfunk sei mit 5G im Begriff, das beim WLAN übliche Konzept der sehr kleinen, schnellen Funkzellen mit breiten Übertragungskanälen zu übernehmen – wenn auch mit sehr hohem technischen und finanziellen Aufwand.
5G ist schnell. Sauschnell. Im besten Fall.
Aber «schnellstmöglich» wird es im Alltag selten geben. Die theoretische Höchstgeschwindigkeit für die Datenübertragung wird in der Praxis nur unter ganz bestimmten, funktechnisch optimalen Umständen erreicht. Dies gilt für WLAN-Verbindungen wie auch für das 5G-Netz. Dazu Elektra:
Man muss also noch mehr Geld und Energie in die Infrastruktur stecken, um die Tempo-Versprechen zu halten.
Auf dem Gelände von Unternehmen oder Forschungsinstituten machen lokale 5G-Netze durchaus Sinn, um mit gezielten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen grosse Datenmengen ultraschnell und zuverlässig zu übertragen.
5G eignet sich auch für Grossveranstaltungen, weil die Organisatoren viel weniger Material herankarren müssen, um die TV-Übertragung und andere Streams zu gewährleisten.
Kann 5G die Welt der Sportveranstaltungen revolutionieren, wie die Swisscom vermutet? An den Olympischen Jugend-Winterspielen 2020 in Villars wurde die kabellose Zukunft schon mal getestet. Und das angeblich erfolgreich.
Fakt ist: Durch Betreiben eines Funknetzes kann auf ein aufwändiges kabelgebundendes System verzichtet werden und umweltbelastende Lastwagen-Transporte entfallen.
Wenn es weniger Material und Personal braucht, sind die Umweltauswirkungen kleiner, was nicht nur die Leute freut, die bezahlen müssen, sondern auch die Anwohner.
Jetzt wird es ziemlich technisch, lohnt sich aber, um bei Diskussionen mitreden zu können. 😉 Wie Elektra erklärt, ist das neue WLAN (Wi-Fi 6) eine sinnvolle Alternative.
Die Übertragungseigenschaften des exklusiv von 5G genutzten Frequenzbands liegen laut Elektra physikalisch zwischen den Frequenzbändern heutiger WLAN-Router, dem 2,4-GHz-WLAN-Band und dem 5-GHz-WLAN-Band.
5-GHz-WLAN weise ungünstigere physikalische Übertragungseigenschaften als 2,4-GHz-WLAN auf und reiche weniger weit, biete aber ein breiteres Frequenzband (für breitere Kanäle) und damit mehr Geschwindigkeit beim Surfen.
Abgesehen von diesen beiden populären WLAN-Frequenzbändern, die für drahtlose Netzwerke in Häusern und Wohnungen verwendet werden, gebe es auch noch das schnellere 60-GHz-WLAN. Allerdings sei dies nicht weit verbreitet, weil die entsprechenden Router viel mehr kosten.
Der zukünftige 5G-Millimeterbereich (das sind die Netze, die wirklich revolutionär sein sollen) liegt bei 28 GHz und hat eine Wellenlänge, die mit knapp über einem Zentimeter nur etwa doppelt so lang sei wie bei 60-GHz-WLAN.
Und jetzt kommt der grosse Haken, wie Elektra erklärt:
Millimeterwellen-5G (mmWave) ist also störungsanfällig, was die Kosten für die Netze in die Höhe treibt und eine Vielzahl von Antennen erfordert. Da ist es wenig tröstlich, wenn diese Mini-Anlagen fürs Auge kaum sichtbar sind. Denn schon heute zeichnet sich ein Bewilligungskrieg ab ...
Die konkurrierenden Provider, allen voran Marktführerin Swisscom, sowie Sunrise und Salt, liefern sich ein Wettrennen um das beste und schnellste 5G-Netz der Schweiz.
Meine Frage lautet:
Infosperber kommentierte dazu:
Damit sind wir bei einer potenziellen 5G-Anwendung, die zurzeit noch in den Science-Fiction-Bereich gehört.
Ketzerische Frage von Elektra:
Die 5G-Technik sei für Ad-hoc-Kommunikation zwischen Endgeräten kaum geeignet, betont die Hackerin.
Eine Warnung lässt sich aus der Argumentation der deutschen Hackerin auch an die Verantwortlichen ableiten, die in den Gemeinden und Kantonen über den Ausbau der Glasfaser-Netze entscheiden. Kernpunkt: Wer sich auf die Versprechen des Mobilfunks verlasse, spare am falschen Ende.
Wegen 5G gleich auf den weiteren Ausbau von Glasfaserleitungen in der letzten Meile zu verzichten, wäre extrem riskant. Nur die Glasfaser biete langfristig eine skalierbare Bandbreite, die mit dem Bedarf wachsen könne.
Das Funkspektrum hingegen existiere nur einmal. Bei einer lokalen Übernutzung der Mobilnetze würden sich die Anwendungen gegenseitig behindern, warnt Elektra.
Wir sollten alle Städte und möglichst viele Gemeinden mit Glasfaserleitungen erschliessen, erklärt Elektra:
Die Hackerin prognostiziert, dass auch mit dem 5G-Netzausbau Funklöcher bleiben werden und die versprochenen Datenraten und Reaktionszeiten (Latenzzeiten) trotz grosser Investitionen kaum einzuhalten seien. «Warum also nicht etwas mehr Eigeninitiative beim Netzausbau übernehmen?» Dafür biete sich WLAN an, egal in welcher Generation.
Schliesslich gilt es auch noch an ein Worst-Case-Szenario zu erinnern, das von vielen unterschätzt wird: ein flächendeckender Stromausfall, der ganze Landesteile lahmlegt.
Die Idee, wichtige Rundfunkwarnungen im Krisenfall nur noch über Mobilfunknetze zu verbreiten, hält die Hackerin angesichts der Mobilfunkversorgung in Deutschland für «abwegig». In der Schweiz ist die Netzabdeckung besser, aber die grundlegenden Gefahren und Risiken sind die gleichen.
Wie wir oben gesehen haben, sind 5G-Basisstationen stromhungrig: Bei einem Blackout falle das 5G-Netz nach wenigen Stunden aus, hält Elektra fest. Dann wäre es ohne analogen Rundfunk unmöglich, die Bevölkerung zu informieren.
Risiken und Nebenwirkungen? Dafür haben wir dann auch noch später Zeit. Aber haben wir das wirklich?
Fakt ist, dass wir die gesundheitlichen Risiken einer neuen Technologie, die wir derzeit nicht zum Überleben brauchen, nicht einfach ausblenden können. Fakt ist auch:
Zur Vertiefung empfohlene Lektüre:
Dass sich zudem 5G auf mm Welle jemals grossflächig durchsetzen wird, wage ich sowieso zu bezweifeln. Wie die Erfahrung mit 60GHz WLAN zeigt, ist das Zeug einfach höchst unpraktisch und störungsanfällig.
Das schwächste Glied der Kette bestimmt deren Stärke!