Apple ohne Steve Jobs war eigentlich unvorstellbar. Doch vor zehn Jahren geschah das Unausweichliche: Am 5. Oktober 2011 verlor der charismatische Apple-Boss seinen langen Kampf gegen den Krebs. Als Jobs mit nur 56 Jahren starb, sahen selbst viele Apple-Fans für die Zukunft des iPhone-Konzerns schwarz. Doch es kam alles ganz anders.
Sechs Wochen zuvor, am 24. August 2011, hatte der Apple-Chef noch seinen Vertrauten Tim Cook als neuen Konzernlenker bestimmt. Diese Entscheidung verwunderte viele Beobachter. Cook hatte sich als Logistik- und Produktionsexperte einen Namen gemacht. Er liess aber nicht im Ansatz das Charisma erkennen, mit dem Jobs regelmässig die Massen in seinen Bann gezogen hatte.
Zu den Skeptikern gehörte damals Larry Ellison, der mit dem Apple-Mitbegründer jahrelang eng befreundet war. Der Chef des Softwareriesen Oracle glaubte, dass Apple ohne Steve Jobs dem Untergang geweiht sei.
In einem TV-Interview zog er eine Parallele zum Jahr 1985, als der Apple-Aufsichtsrat Steve Jobs aus der Firma gedrängt hatte. In den folgenden zwölf Jahren wurde Apple so runtergewirtschaftet, dass das Unternehmen 1997 kurz vor der Pleite stand und Jobs als Retter zurückgeholt wurde. «Wir haben Apple ohne Steve Jobs gesehen. Wir haben Apple mit Steve Jobs gesehen. Jetzt werden wir Apple ohne Steve Jobs sehen», sagte Ellison. «Steve Jobs ist unersetzlich.»
Doch es kam nach dem Tod von Jobs ganz anders, als Ellison es befürchtet hatte. Apple verkauft so viele Geräte und Dienstleistungen wie noch nie. Im August 2018 ging der iPhone-Hersteller als erster US-Konzern in die Finanzgeschichte ein, der eine Billionen-Dollar-Bewertung an der Börse schaffte. Nur zwei Jahre später waren es zwei Billionen.
Neben dem Börsenboom hat nach Experten-Einschätzung vor allem die hohe Kundenloyalität zum Aufstieg beigetragen. «Wenn ein neuer Nutzer anfängt, ein Apple-Smartphone zu benutzen, bleibt er in der Regel bei einem Apple-Smartphone», erläutert Jeriel Ong, ein Aktienanalyst der Deutschen Bank.
Und die Rally ist noch nicht zu Ende. Seit Oktober 2011 hat sich der Aktienkurs von rund 13 Dollar auf ein Allzeithoch von knapp 150 Dollar gesteigert. Ausserdem verwöhnt Cook die Aktionäre regelmässig mit Dividenden, die Jobs stets abgelehnt hat.
Cook gelang es, mit dem iPhone ständig neue Käufergruppen zu erobern. Ausserdem baute er das Angebot von Zusatzgeräten wie der Computer-Uhr Apple Watch oder den AirPods-Ohrhörern aus und platzierte Abo-Dienste wie iCloud und Apple TV+ am Markt. Ausserdem gelang es ihm, höhere Preise für seine Produkte zu verlangen, so dass inzwischen ein Grossteil der Gewinne der gesamten Branche bei Apple landen.
Ein grosser Präsentator auf der Bühne ist Tim Cook aber auch bis heute nicht. Trotzdem hat er inzwischen eigene Akzente gesetzt, die ihn von seinem Vorgänger deutlich absetzen. Ein Beispiel dafür ist das Thema Umwelt.
Steve Jobs lieferte sich 2008 mit Vertretern von Greenpeace noch hitzige Wortgefechte, als die Umweltschützer ihn aufforderten, in den Apple-Produkten auf bromierte Flammenschutzmittel zu verzichten. Diese sind unter Umständen giftig, in der Umwelt schwer abbaubar und reichern sich in Lebewesen an.
Unter der Regie von Cook verzichtete Apple nicht nur auf die umstrittenen Flammenschutzmittel, sondern auch auf alle anderen Umweltgifte in der Produktion. Ausserdem stellte er den Konzern komplett auf erneuerbare Energie um. Dieses ambitionierte Projekt soll nun auch auf die komplette Lieferkette ausgedehnt werden.
Diese Veränderung wurde auch von Greenpeace registriert. «Seit Tim Cook die Leitung von Apple übernommen hat, hat er den Umweltschutz zu einem wichtigen Bestandteil der Identität des Unternehmens gemacht», erklärte die Organisation 2017 bei der Veröffentlichung eines Reports zu Umweltstandards bei Elektronikherstellern.
Apple musste sich im Ranking «Greener Electronics» nur dem Smartphone-Anbieter Fairphone geschlagen geben, weil die Geräte der Niederländer leichter zu reparieren sind.
Neben dem Umwelt-Thema versucht sich Apple unter Cook auch stärker im Bereich Datenschutz von der Konkurrenz abzusetzen. So hat Apple im vergangenen April seine iPhone-Software so verändert, dass Anbieter wie Facebook nun die Nutzer um Erlaubnis bitten müssen, wenn sie ihre Aktivitäten quer über verschiedene Apps und Websites verfolgen wollen. Jobs hatte dieses Datenschutz-Prinzip schon 2010 auf der Konferenz «D8» angekündigt, überliess die Umsetzung aber seinem Nachfolger.
Beim Schutz der Privatsphäre konnte sich Cook bereits 2016 vor einer grossen Öffentlichkeit profilieren. Damals verlangte das FBI von Apple, das iPhone-Betriebssystem iOS so zu manipulieren, dass die Strafverfolger nach einem Terroranschlag in San Bernardino das gesperrte iPhone des Attentäters durchsuchen können. Cook lehnte diese Forderung ab, weil man die Sicherheitsfunktionen der Produkte nicht untergraben werde.
Cook musste bei diesem Thema aber auch Rückschläge hinnehmen. So legte Apple Pläne für die Einführung einer Scan-Funktion auf dem iPhone auf Eis, mit der das Hochladen von Bildern von Kindesmisshandlungen in die Cloud verhindert werden sollte. Zuvor hatte es einen Aufschrei der Entrüstung gegeben, dass Apple im berechtigten Kampf gegen Kinderpornografie den falschen Weg eingeschlagen habe.
Das grösste Manko der Cook-Ära ist allerdings, dass der Jobs-Nachfolger bislang noch nicht mit einem revolutionären neuen Produkt aufwarten konnte. Sein Vorgänger zauberte fast schon regelmässig ein «One More Thing» aus dem Hut, das ganze Branchen umkrempelte: 1999 den iMac, 2001 den iPod und den Musikdienst iTunes, 2007 das revolutionäre iPhone und 2010 das iPad.
Unter Cook ranken sich zwar Gerüchte zu umwälzenden Neuprodukten wie einem Apple-Auto oder einer Brille für Augmented-Reality-Anwendungen, doch bislang warten die Apple-Fans vergeblich darauf.
Cook-Kritiker verweisen in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Steve Jobs, das in der alten Apple-Firmenzentrale in grossen Buchstaben an der Wand geschrieben steht:
Damit sind wir bei der Apple Watch angelangt. Es ist das erfolgreichste Produkt der Ära nach Steve Jobs. Es sollen inzwischen über 100 Millionen Exemplare in Umlauf sein. Eine Wahnsinnszahl, die jeden anderen Wirtschaftsführer vor Stolz platzen liesse, doch bei Apple gibts noch das iPhone. Davon wurden bereits über 2 Milliarden Stück verkauft.
Der Bloomberg-Journalist Mark Gurman, ein ausgewiesener Apple-Kenner mit besten Kontakten in Cupertino, will vom bevorstehenden Abgang Cooks gehört haben. Der Apple-Chef wolle dem Unternehmen noch bis zur Einführung einer weiteren grossen Produktkategorie treu bleiben.
Ob dem wirklich so ist, werden wir sehen. Gut möglich, dass sich Cook, der es wie Jobs dank Apple zum Dollar-Milliardär gebracht hat, auch an einen früheren Rat seines Förderers und langjährigen Freundes erinnert:
(dsc/sda/awp/dpa)