Der US-Journalist Marc Gurman schreibt für den Techblog 9to5Mac.com und sorgt immer wieder mit exklusiven Apple-News für Aufsehen. Nun hat er sich die vermutlich mächtigste und gleichzeitig verschwiegenste PR-Truppe der Welt vorgeknöpft. Gurmans in neun Kapitel gegliederte Hintergrund-Story trägt den vielsagenden Titel «Seeing Through the Illusion: Unterstanding Apple's Mastery of the Media».
Apple habe vermutlich die beste PR-Abteilung der Welt, schreibt Gurman einleitend. Wie keinem zweiten Tech-Unternehmen auf dem Planeten gelinge es den Kaliforniern, die öffentliche Diskussion über die eigenen Produkte zu lenken und zu kontrollieren. Schon bevor die Kunden überhaupt die Chance erhielten, ein neues Gerät zu sehen oder zu berühren, habe Apple alles sorgfältig orchestriert.
Nachfolgend präsentieren wir kaum bekannte Fakten und Anekdoten rund um die Apple-Keynotes und das PR-Team:
Apple ist ein gigantisch grosses Unternehmen, was die erzielten Umsätze und den Börsenwert betrifft. Erstaunlich: Am Hauptsitz in Cupertino sind nur etwas mehr als 30 Personen in der Marketing- und Kommunikations-Abteilung tätig. Hinzu kommen einige Dutzend Angestellte in Ländern rund um den Globus: Sie organisieren Events, übersetzen Pressemitteilungen und sind laut Gurman in allen Zeitzonen dafür da, die Fragen von Journalisten «abzuwedeln».
Weltweit beschäftigt Apple über 80'000 Angestellte.
Interessantes Detail zur Organisation im Mutterhaus. Eine Handvoll PR-Leute ist dafür besorgt, dass neue Apple-Produkte in der Populärkultur auftauchen, sei dies durch «Product Placement» in TV-Serien und Filmen oder andere Aktionen. Dieses «Momentum»-Team stattet auch berühmte Personen mit iPhones und Macs aus.
Informationen rund um Apple und seine Produkte sind Gold wert: ob für Journalisten oder Börsenspekulanten. Kein anderes Tech-Unternehmen verspricht auch nur ansatzweise gleich viel Aufmerksamkeit. Natürlich ist sich die PR-Abteilung von Apple ihrer Macht bewusst und setzt sie gezielt ein, um die Kommunikation in ihrem Sinn zu lenken. Dazu gehören laut Gurman auch gezielte «Leaks» und Off-the-Record-Gespräche, um auf negative Berichterstattung zu reagieren.
Auf der anderen Seite hält Apple eine Gruppe treuer Berichterstatter durch exklusive Vorab-Informationen bei der Stange. Zum Kreis der Auserwählten gehören grosse Zeitungshäuser und Nachrichtenagenturen wie Bloomberg News, «The New York Times», Reuters und das «Wall Street Journal», aber auch die vergleichsweise kleinen, aber einflussreichen Blogs Daring Fireball und The Loop.
Definitiv kein Zufall: Genau an dem Tag, als Apple die Einladungen für den iPhone-6-Event am 9. September verschickte, weilte der kanadische Blogger Jim Dalrymple in Cupertino und konnte umgehend erste Fotos von dem Austragungsort und den Vorbereitungsarbeiten publizieren. Bei diesen Bildern dürfte es sich um die «Hands-on Area» handeln.
Das detaillierte Keynote-Programm gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen. Hochrangige PR-Manager bereiten jeweils ein kleines weisses Regie-Buch vor und verteilen dieses im Vorfeld an alle Angestellten, die mit Aufgaben betraut sind. Darin sind auch alle inhaltlichen Punkte aufgeführt, die während und nach der Keynote besprochen werden dürfen, wie auch die wichtigen Gäste. Nach der Veranstaltung werden die vertraulichen Büchlein vom PR-Team eingesammelt und manchmal vor Ort geschreddert.
Die öffentlichen Auftritte werden vom Apple-Chef und den immer gleichen Mitgliedern aus dem Führungsteam bestritten. Tim Cook, Phil Schiller (Marketing) und Craig Federighi (Software Engineering) üben während zwei Wochen intensiv im Auditorium des Apple-Hauptquartiers. Am Wochenende vor dem Event (in aller Regel ein Dienstag) folgen Proben am eigentlichen Veranstaltungsort. Jeder Witz, der auf der Bühne spontan wirken soll, muss sitzen. Wie auch die Kleidung.
Während einer von Steve Jobs gehaltenen Keynote fiel im Publikum ein Mann in Ohnmacht. Apples PR-Leute reagierten blitzschnell und sorgten dafür, dass er von Sanitätern aus dem Saal gebracht wurde. Derweil ging die Präsentation auf der Bühne ohne Unterbruch weiter.
Apples minuziöse Planung der Special Events dreht sich um alle nur erdenklichen Störungen. Abgesehen von lebensbedrohlichen Notfällen sind die PR-Leute auch darauf trainiert, rüpelhafte Besucher unauffällig aus dem Verkehr zu ziehen.
Apples PR-Leute agieren unter anderem auch als unauffällige Bodyguards für die hochrangigen Manager wie den CEO Tim Cook oder Marketing-Chef Phil Schiller. Dabei geht es weniger um gesundheitsgefährdende Attacken, sondern mehr um lästige Fragen der Journalisten und Blogger. Im Anschluss an die offizielle Präsentation, wenn sich die Führungsriege im Show-Room zeigt, werden aufdringliche Gäste auch mal unter Körpereinsatz abgeblockt.
2013 war während der Keynote zur Entwicklerkonferenz WWDC ein kleines Drama zu beobachten. Das Start-up Anki hatte die einmalige Gelegenheit, seine mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten, nicht gerade billigen Spielzeugautos zu präsentieren.
Was folgte, war ein Albtraum für die Verantwortlichen.
Man will sich nicht in die Haut des Anki-Chefs und seiner schwitzenden Kollegen hineinversetzen. Einziger Trost dürfte gewesen sein, dass die Manöverkritik nicht vom jähzornigen Steve Jobs kam.
Dass Anki jemals wieder von Apple auf die Bühne eingeladen wird, muss bezweifelt werden. Aus dem offiziellen Keynote-Video wurde die Demo-Fail-Szene jedenfalls kommentarlos herausgeschnitten.
Gnadenlos erschien lange Zeit auch das Vorgehen gegen den US-Techblog Gizmodo. Das populäre Online-Medium hatte sich erdreistet, über einen verlorenen iPhone-Prototypen zu berichten. Das Gerät war von einem Apple-Mitarbeiter in einer Bar vergessen worden.
Für Gizmodo bedeutete der Exklusivbericht eine langjährige Apple-Eiszeit. Die Blogger wurden nicht mehr zu Special Events eingeladen und durften auch nicht mehr vorab neue Geräte testen.
Doch es geschehen noch Zeichen und Wunder. Oder besser: Auf den nachtragenden Steve Jobs folgte der besonnene Tim Cook. Erstmals seit 2009 ist Gizmodo nun wieder zu einem Apple-Event eingeladen worden und wird am 9. September live aus Cupertino berichten.
Mark Gurman stellt im letzten Teil der Serie die Frage nach einer freundlicheren und transparenteren Zukunft für Apple. Unter Tim Cook habe die Führungsriege bereits mehrere massive Veränderungen erfahren. Das Unternehmen gibt sich heute umweltfreundlicher und offener als unter der Regentschaft von Steve Jobs.
Nicht zuletzt geht mit der PR-Chefin Katie Cotton eine langjährige Vertraute Jobs' von Bord. Sie war für eine harte Linie bekannt und unternahm alles, um das Unternehmen ganz im Sinne des 2011 gestorbenen Gründers abzuschotten.
Cottons Nachfolge ist noch nicht geklärt, es gibt aussichtsreiche Kandidatinnen und Kandidaten. Intern und extern. Man werde sehen, ob das Unternehmen unter neuer Führung von seinen manipulativen PR-Methoden abrücke – oder diese auf noch mehr Medien ausdehne, hält Gurman abschliessend fest.