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Tesla aus Naturfasern – Schweizer Hightech-Firma Bcomp

Als weltweit erstes Medium kann watson den EGT Tesla «pur» zeigen – vor dem Anstrich.
Als weltweit erstes Medium kann watson den EGT Tesla «pur» zeigen – vor dem Anstrich.bild: bcomp

Schweizer Firma startet mit Natur-Hightech für Tesla und Co. durch

Wer sagt denn, dass Hightech aus Plastik und Metall sein muss? Das Start-Up Bcomp in Freiburg setzt auf Flachs – und schafft's damit sogar ins Weltall.
28.06.2018, 09:2728.06.2018, 14:38
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Flachs ist eine uralte Kulturpflanze – und seine Fasern sind das perfekte Material für Hightech-Produkte: Dies stellt die Westschweizer Firma Bcomp unter Beweis.

Sehr wahrscheinlich heben in Zukunft Raketen aus Naturfasern in den Weltraum ab. Das innovative Start-up kooperiert seit einiger Zeit mit der European Space Agency (ESA).

Noch wird geforscht, doch auf dem Heimatplaneten Erde ist die technologische Revolution durch den umweltfreundlichen «Verbundwerkstoff» bereits voll in Gang.

Jüngstes Beispiel: der EGT Tesla mit Karosserie aus Naturfaser, der ab Ende Jahr an einer neuen Rennserie teilnimmt:

So sieht der Renn-Tesla aus ... 

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Das ist das neue Tesla-Rennauto und es ist sehr sehr schnell
Das ist ein aufgemotztes Tesla Model S P100D. Speziell ist auch die Karosserie ...
quelle: electric gt
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Und letzte Woche war die Schweizer Innovation beim epischen Pike's Peak Rennen in den USA vertreten: Im Gillet Vertigo, gefahren von der Belgierin Vanina Ickx. Die Karosseriearbeit war die gleiche wie beim EGT Tesla –  «alles Naturfasern».

Das Video zeigt, wie die Karosserie aus Naturfasern gebaut wurde

Ebba Carlson, zuständig für Marketing und Business Development bei Bcomp, hat die brennendsten Fragen des watson-Redaktors rund um die Naturfasern beantwortet: 

Wie hat Bcomp das geschafft?

Das neuartige Material, das weltweit kein anderes Unternehmen in dieser Qualität herstellen kann, ist leichter, dämpft besser und hat eine höhere Biegfestigkeit als Kohlefaser (Karbon). Und vor allem ist es nachhaltig: Flachs wächst immer wieder nach.

«Wir sind die Ersten, die das neueste Wissen über Hightech-Verbundwerkstoffe auf Naturfasern anwenden. Dadurch verfügen wir über eine patentierte Verstärkungstechnologie, die es uns ermöglicht, die Eigenschaften von Naturfasern zu verbessern, so dass wir in vielen Anwendungen, wie z.B. im Motorsport, sogar Karbonfasern ersetzen können. Die gleiche Technologie kann zur Gewichtsreduzierung im Automobil-Innenraum, in der Luft- und Raumfahrt und vielen anderen Anwendungen eingesetzt werden.»
Ebba Carlson, Bcomp

Dazu muss man wissen, dass die Westschweizer Firma mit verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammenarbeitet. Seine Existenz verdankt das Start-up allerdings der grossen Neugier eines Skifahrers (siehe unten).

Werden die meisten Elektroautos in Zukunft aus Flachsfasern gebaut?

Unabhängig vom elektrischen Antrieb werde die Mobilität zunehmend durch Faktoren wie minimale Abgase, Kraftstoffverbrauch und Autonomie bestimmt, schreibt die Bcomp-Vertreterin. Alle diese Faktoren seien direkt von einem möglichst tiefen Fahrzeuggewicht abhängig. Und da punkte man mit Naturfasern:

«Mit unserer einzigartigen Technologie, die bis zu 40 Prozent weniger Gewicht ermöglicht, können wir für alle Fahrzeuge, unabhängig von ihrem Antrieb, eine perfekte Lösung bieten.»

Ein Anwendungsgebiet sei eben der Motorsport. Hier biete der Ersatz von Kohlefaser durch Flachsfaser in Karosserieteilen viele Vorteile: «Sie ist leichter bei gleichbleibender Leistung, sicherer ohne scharfe Schläge, kostengünstiger und nachhaltiger.»

Aber auch für die Automobilindustrie und ihre Grossserienfertigung sei dies interessant. «Wir haben derzeit Projekte mit vielen der weltweit führenden Automobilmarken.»

Wie zum Beispiel Volvo Cars.

Der schwedische Autohersteller hat kürzlich angekündigt, seine Fahrzeuge in Zukunft viel umweltfreundlicher zu bauen. Ab 2025 sollen mindestens 25 Prozent des in Neuwagen verbauten Kunststoffs aus rezycliertem Ozean-Plastik bestehen. Möglich machen dies die Naturfaserverstärkungen von Bcomp.

Volvo Cars aims for 25 per cent recycled plastics in every new car from 2025
Volvo Cars hat diesen Prototypen auf Basis des XC60 vorgestellt.bild: volvo

Die Bcomp-Managerin erklärt:

«Die Mittelkonsole aus recyceltem Ozean-Kunststoff wird durch die Naturfaserverstärkung von Bcomp ermöglicht und ist gleichzeitig bis zu 50 Prozent leichter als das Standardteil.»
Ebba Carlson

Haben Flachsfasern das Potenzial, die Autoindustrie zu revolutionieren?

Die Bcomp-Vertreterin antwortet bescheiden, aber bestimmt:

«Es gibt eine stetige Revolution hin zu einer saubereren (umweltfreundlichen) Mobilität, und wir wollen definitiv ein Teil davon sein!»

Welche anderen Branchen könnten durch Naturfasern revolutioniert werden?

Abgesehen von der Automobilindustrie und der Weltraumforschung zum Beispiel die zivile Luftfahrt: «Die Innenausstattung von Passagierflugzeugen ist eine weitere Anwendung, mit der wir uns beschäftigen», verrät die Bcomp-Vertreterin. Je leichter ein Flugzeug ist, desto tiefer der Treibstoffverbrauch und die Umweltbelastung.

Mit Skiern fing es an?

Es begann mit «unruhigen» Skiern: Der leidenschaftliche Freerider Cyrille Boinay nervte sich über hochwertige Bretter, die beim Fahren flatterten und vibrierten. Darum begann er mit den damaligen ETH-Doktoranden Christian Fischer und Julien Rion – den heutigen Firmenchefs – zu tüfteln. Ihr Ziel: Einen steiferen «Ski-Kern» zu entwickeln, der nicht viel wiegt.

Nach der Gründung 2011 liess sich Bcomp in Fribourg in der Blue Factory nieder. Das ist ein «Innovationsquartier» mitten im Zentrum, wo früher eine Brauerei stand.

2016 gewann Bcomp am Swiss Economic Forum den Jungunternehmerpreis in der Sparte Hightech/Biotech. Es folgten weitere internationale Auszeichnungen und Kooperationen.

«Mir gefällt der Spagat zwischen Agronomie und Super-Hightech.»
Christian Fischer, Co-Gründerquelle: srf.ch

Längst haben grosse multinationale Unternehmen das Potenzial von Bcomps patentierter Naturfaser-Technologie erkannt. Und wir sind gespannt, was noch alles aus Fribourg kommt.

Sind Bcomp-Naturfasern wirklich umweltfreundlich?

Ein watson-User meint kritisch:

Die Antwort von Ebba Carlson:

«Das ist ein fairer und relevanter Kommentar. Ein Verbundteil besteht aus Fasern und Harz, und unsere Produkte ersetzen die Kohlenstofffasern, nicht aber das Harz. Wir verfolgen die Entwicklungen bei Bioharzen sehr genau, und viele Kunden z.B. aus der Surfindustrie nutzen sie.»

Aus ökologischer Sicht sei die Verwendung von Naturfasern anstelle von Karbon- oder Glasfasern oder Aluminium aus verschiedenen Gründen zu empfehlen:

  • Mit den Bcomp-Verstärkungen werde weniger Material benötigt, d.h. es müsse weniger Material produziert werden und es entstehe weniger Abfall.
  • «Unsere Fasern sind erneuerbar, im Gegensatz zu den Materialien, die sie ersetzen. Sie benötigen weitaus weniger Ressourcen für die Produktion und haben minimale Auswirkungen auf die Umwelt.»
  • Am Ende des Lebenszyklus könnten Verbundteile mit Bcomp-Fasern innerhalb des Standard-Abfallsystems behandelt werden, betont Ebba Carlson: «Sie können sie sogar mit Hausmüll verbrennen und die Wärme zum Heizen Ihres Hauses nutzen, oder sie können abgeschliffen werden und ein neues Material bilden.» Dies im Gegensatz zu Verbundwerkstoffen mit Kohle- oder Glasfasern.
  • Die deutlich leichteren Materialien bedeuteten einen geringeren Kraftstoffverbrauch – dies sei von grosser Bedeutung für die Automobil- und Luftfahrtindustrie.

Die Antworten wurden aus dem Englischen übersetzt.

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9 Kommentare
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aglio e olio
28.06.2018 10:22registriert Juli 2017
Schön solche Innovationen.
Kann man daraus auch Velos bauen?
Aber, wie sieht es mit zusätzlichem Bedarf an Agrarflächen aus wenn diese Technologie sich durchsetzen würde?
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