Seit Dopingkontrollen bei den Olympischen Spielen 1968 eingeführt worden sind, hat es meistens jemanden erwischt. Es brauchte das erste (und bis heute einzige) Todesopfer, um die olympischen Funktionäre aufzuschrecken. 1960 bei den Sommerspielen in Rom starb der dänische Radrennfahrer Knud Enemark Jensen an einer Überdosis Amphetamin.
Der erste olympische Held, der seine Medaille wieder abgeben musste, war 1968 in Mexico der schwedische Fünfkämpfer Hans-Gunnar Liljenwall. Der Bronze-Gewinner im modernen Fünfkampf hatte zu viele Promille im Blut (Alkohol). Der bis heute spektakulärste Fall sahen die Spiele 1988: Ben Johnson, der kanadische Olympiasieger über 100 Meter, wurde erwischt und disqualifiziert.
Bei den Winterspielen war lange Ruhe an der Dopingfront: 1992 in Albertville und 1994 in Lillehammer wurde niemand erwischt. 1998 wurde dem kanadischen Snowboard-Olympiasieger Ross Rebagliati (Riesenslalom) zwar der Konsum von Marihuana nachgewiesen und er hätte disqualifiziert werden können. Die positive Dopingprobe blieb aber aufgrund eines Entscheides des Internationalen Sportgerichtes (CAS) ohne Folgen.
Dr. Beat Villiger, seit 1992 in den verschiedensten Funktionen dabei und ein international anerkannter Dopingexperte, sagt, Winterspiele seien ohnehin etwas weniger dopinggefährdet. «Die Sommerspiele sind viel grösser. Es beteiligen sich mehr Länder und es gibt mehr Sportarten.»
Aber in den 1990er-Jahren waren die Kontrollen noch längst nicht auf dem heutigen Stand. Die Jäger tappten oft im Dunkeln. In Turin 2006 mussten sechs Medaillen wegen Dopings zurückgegeben werden und 2002 waren es immerhin zwei. Vancouver 2010 galten bisher als die saubersten Spiele aller Zeiten.
Erwischt wurden nur je eine russische Eishockeyspielerin und ein slowakischer Eishockeyspieler wegen geringfügiger Vergehen: Sie hatten im Grunde nicht gedopt, sondern die falschen Medikamente erwischt. Beat Villiger sagt: «Ich bin seit 1992 dabei und es hat eigentlich bei allen Spielen irgend einen Vorfall gegeben. Nur in Sotschi bisher nicht.»
Die Dopingjäger haben inzwischen massiv aufgerüstet. In Vancouver wurden rund 2000 Proben genommen. In Sotschi sind es bereits jetzt über 2500. Und vor allem gibt es so viele Kontrollen ausserhalb der Wettkämpfe wie noch nie. Bisher rund 500. Die Athletinnen und Athleten können in Sotschi überall und jederzeit kontrolliert werden.
Einzelne sind gleich bei der Ankunft am Flughafen getestet worden. «Die Kontrollen sind auf einem Stand wie noch nie. Die Abschreckung ist eindeutig höher», sagt Beat Villiger. «Wer in einer Kontrolle hängen bleibt, verliert ja nicht nur eine Medaille. Ein Dopingvergehen hat heute auch finanzielle Folgen. In der Regel werden Sponsorenverträge durch Dopingvergehen nichtig.»
Die olympischen Heldinnen und Helden können 24 Stunden nach dem Wettkampf vorerst aufatmen. Dann gelten sie als sauber und dürfen feiern. Aber neu werden alle Proben nicht mehr acht sondern zehn Jahre lang aufbewahrt. Wer jetzt mit einer verbotenen Substanz ungeschoren davon kommt, riskiert nachträglich disqualifiziert zu werden.
Oder werden am Ende Kontrollen auf Anweisung von ganz oben ins Klo geschüttet? Beat Villiger sagt: «Das schliesse ich absolut aus. Das ist bei der Aufsicht auf verschiedenen Ebenen über das ganze Kontrollprozedere gar nicht machbar.» Und einer der hochrangigsten russischen Dopingjäger, dessen Name mir gerade entfallen ist, sagt: «Ich bin sehr glücklich, dass bisher alles so gut gelaufen ist. Aber wir sind Jäger. Nein, wir sind Vampire und wenn wir kein Blut kriegen, dann sind wir nicht ganz glücklich …» Die Doping-Jäger sind also motiviert.
Also die saubersten Spiele aller Zeiten? Ja, theoretisch, zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen. Aber sauber heisst erst einmal: Keiner hat sich mit unerlaubten Mitteln erwischen lassen. Es gibt die Möglichkeit, den Körper durch sogenanntes Gendoping oder verpflanzte Muskeln buchstäblich umzubauen. Im Grunde eine Horrorvision aus einem düsteren Zukunftsfilm.
Der Athlet, der im Labor entworfen wird. Im Idealfall etwa mit Flughäuten an den Armen damit die Skispringer wie Flughörnchen segeln. Eher wahrscheinlich ist die Kombination von verschiedenen verbotenen Substanzen. Dann wird es möglich, durch entsprechende Kombination ein Cocktail zu mixen und darin die Mengen der einzelnen Stoffe (beispielsweise Anabolika, Wachstumshormone und Insulin) so gering zu halten, dass sie in der Kontrolle nicht mehr erfasst werden können.
So sind die Spiele in Sotschi bisher zumindest theoretisch, nach dem heutigen Stand der Wissenschaft, die saubersten aller Zeiten. Ob es auch in der Praxis so ist, weiss heute noch niemand.