Die «Gesellschaft für kritisches Denken» – auch Wiener Skeptiker genannt – verleiht jedes Jahr den «Preis für das goldene Brett vor dem Kopf». Sieger wurde in diesem Jahr der Schweizer Sektenführer Ivo Sasek, Gründer der «Organischen Christus-Generation» (OCG).
Die Laudatio hielt ich am 2. Dezember in der Stadthalle Wien vor 400 Besucherinnen und Besuchern. Hier sind Auszüge aus der Rede:
Wir verleihen heute den Preis «Goldenes Brett vor dem Kopf». Das ist edelmütig. Doch beim diesjährigen Sieger, dem Schweizer Sektenführer Ivo Sasek, glänzt der Preis viel zu schön.
Und doch ist Sasek ein würdiger Preisträger: Sein unheiliges Gebaren ist derart auffällig, dass man ihn im Sinn der Aufklärung ins Rampenlicht zerren muss.
Um auch einen positiven Aspekt zu nennen – so verlangt es das Reglement für die Laudatio –, kann ich ihn mit einem Superlativ schmücken: Ivo Sasek ist für mich der einflussreichste Sektenführer der Schweiz. Im Namen des christlichen Gottes und der Bibel.
Kann man deshalb wenigstens Nächstenliebe erwarten? Fehlanzeige. Höchstens Eigenliebe. Barmherzigkeit? Weit gefehlt, hat er doch drei seiner Söhne, die es nicht mehr aushielten, aus der Familie gestossen.
Frei nach dem Motto: Wer nicht bedingungslos für mich ist, ist gegen mich. Denn wer sich wie Ivo Sasek dem Lebensziel verschrieben hat, das Werk von Jesus Christus zu vollenden, darf weder ein Pardon noch Gnade kennen. Die andere Wange hinhalten? Nicht doch. Eher: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Mit Bibelzitaten lässt sich jede Schandtat rechtfertigen.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, einen selbsternannten Propheten und Heiligen suchen, dann müssen Sie mit mir nach Walzenhausen kommen, wo Ivo Sasek residiert. Er wird ihnen nicht nur die Bibel wärmstens ans Herz legen, sondern vielleicht auch «Mein Kampf». Seinen treuen Anhängern hat er es jedenfalls getan.
So überrascht es nicht, dass er auch den Autor dieses unheiligen Buches in den Götterhimmel hebt. Wörtlich sagte er an einer Veranstaltung vor über 1000 Anhängern: «Es kommen reihenweise neue Bücher von hochgradigen Historikern auf den Markt, die ein komplett anderes Bild von Adolf Hitler zeigen. Versteht ihr das? Wenn das einer war, der gleich nach Jesus Christus kommt? Was machst du dann?»
Sein Ziel formulierte Ivo Sasek so: «Ich schicke mich an, das Volk zu verändern, es zu manipulieren für meinen Weg.»
Nach einem Erweckungserlebnis hatte Ivo Sasek ein Sendungsbewusstsein und stieg 1977 vom Automechaniker zum Laienprediger auf. Dabei träumte er gross.
Er stellte elf Kinder auf die Welt und gründete schliesslich die Freikirche Organische Christus-Generation. Mit den treusten Anhängern studierte er religiöse Theaterstücke mit biblischen Inhalten ein und tingelte durch Österreich, Deutschland und die Schweiz.
Es waren erfolgreiche Missionsaktionen. Seine OCG wuchs auf mehrere tausend Anhänger an, er gab Zeitungen und Bücher heraus, die er in der eigenen Druckerei herstellte. Er schrieb Musicals und produzierte mit den Gläubigen monumentale historische Kinofilme mit Hunderten Statisten. Dazu richtete er ein Studio und ein eigenes Kino ein. Ausserdem kaufte er Reisecars, um die vielen Statisten zum Set fahren zu können.
Der Erfolg an der Missionsfront und die vernichtenden Berichte von Aussteigern machten die Medien auf ihn aufmerksam. Dabei wurde bald klar, dass Ivo Sasek nicht der nette Pastor von nebenan ist, sondern durch und durch ein Sektenführer.
Die kritischen Berichte trafen den Prediger im Mark. Er konnte nicht verstehen, weshalb Behörden und Medien ihn auf seiner heiligen Mission nicht unterstützten.
Er glaubte an satanische Verschwörungen und Kampagnen der Medien und vieler Politiker und begann, die Eliten und das Establishment auf der politischen Schiene zu bekämpfen. Aus dem Pastor wurde auch ein politischer Krieger.
Schliesslich gründete Ivo Sasek die Antizensur-Koalition (AZK) und baute einen Internet-TV-Sender mit dem bezeichnenden Namen Klagemauer-TV, kurz kla-tv, auf, um die vermeintlichen verschwörerischen Kräfte zu entlarven.
Mit diesen beiden politischen Aktionen verbuchte der Prediger einen erstaunlichen Erfolg.
AZK organisiert grosse Konferenzen mit mehreren tausend Besuchern. Dort treten regelmässig rechtsradikale Politiker, Wissenschaftler und Verschwörungstheoretiker auf. Unter anderem Syliva Stolz, die von Ivo Sasek 2012 als Löwin begrüsst wurde.
Die deutsche Rechtsanwältin leugnete an der Konferenz den Holocaust. Sie ist die Lebenspartnerin des RAF-Mitgründers Horst Mahler, der später zum Neonazi mutierte. Sylvia Stolz wurde wegen ihren Aussagen an der AZK-Konferenz vom Landesgericht München wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten unbedingt verurteilt.
Erstaunlich ist auch die Expansion des Senders Kla-tv, der täglich Newssendungen ausstrahlt und das Weltgeschehen aus einer «alternativen», rechtsradikalen Warte darstellt und interpretiert. Inzwischen unterhält die digitale Plattform nach eigenen Angaben weltweit 165 Studios und verbreitet seine Fake News in 70 Sprachen.
Der Sender lief während der Covid-Pandemie zur Hochform auf. Für Ivo Sasek waren die verordneten Massnahmen und die Spaltung der Gesellschaft ein Geschenk des Himmels. Er wurde zum Sammelbecken der Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner, Schwurbler und Rechtsradikalen.
Während die Expansion beim religiösen Feldzug ins Stocken geraten war, feierte er grosse Erfolge auf der politischen Bühne.
Es gab allerdings einen Wermutstropfen: Der rechte Mob liess sich nicht für Gott begeistern. Viele Verschwörungstheoretiker glauben lieber an die Germanen, Druiden und Kelten. Lieber an Wothan und Gaia. Und nicht an den himmlischen Vater.
Welche Gesinnung Ivo Sasek offensichtlich pflegt, zeigt eine geheimdienstartige Aktion. Ivo Saseks Anhängerinnen und Anhänger legten heimlich 8000 Datensätze von Politikerinnen und Medienschaffenden aus der Schweiz, Österreich und Deutschland mit teils privaten Informationen an. Eine Feindesliste, die an Diktaturen erinnert.
Der Prediger zieht er immer wieder gegen seine «Feinde» ins Feld. Er scheut sich nicht einmal, seine Glaubensbrüder- und schwestern von den christlichen Grosskirchen zu brandmarken. Er nannte sie pauschal und mit überschlagender Stimme «Hosenscheisser, Nichtsnutze und Arschlöcher». Wegen dieser Christen lasse der Teufel «die Sau raus» und bringe alle da draussen um. Banker, Politiker und Medienleute sind für ihn satanische Banditen und Verbrecher.
Die Menschen seien «medienverblödet» und würden von den Kriegstreibern wie vernunftlose Tiere zur Schlachtbank geführt, behauptete Sasek. Die Machthaber und Kriegstreiber zielten darauf ab, «die Welt auf ein Minimum zu reduzieren». Die verschwörerischen Kräfte hätten das Ziel, 6,5 Milliarden Menschen zu eliminieren, erklärte er. «Glaubt ihr das?», schrie er ins Publikum, das die Frage mit einem lauten «Ja» quittierte.
Deshalb kann ich hier zum Schluss des Impulstextes nur Matthäus 24:5 anfügen: «Jesus antwortete: Gebt Acht, dass euch niemand irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin der Messias, uns sie werden viele verführen.»