International
Analyse

Herbert Kickls «Machtrausch»: So geht es in Österreich weiter

The leader of Austria's Freedom Party FPOe, Herbert Kickl, addresses a news conference in Vienna, Austria, Wednesday, Feb. 12, 2025. (AP Photo/Heinz-Peter Bader)
Herbert Kickl machte am Mittwoch die ÖVP für das Scheitern der Gespräche verantwortlich.Bild: keystone
Analyse

Kickls «Machtrausch»: Österreich ist noch einmal davongekommen

FPÖ-Chef Herbert Kickl sah sich schon als «Volkskanzler». Doch die Koalitionsgespräche mit der ÖVP sind gescheitert. Jetzt braucht unser Nachbarland Österreich einen Neustart.
13.02.2025, 14:2313.02.2025, 14:32
Mehr «International»

Als FPÖ und ÖVP Anfang Jahr Gespräche über eine gemeinsame Regierung aufnahmen, galt es als ausgemacht: Der nächste österreichische Bundeskanzler wird Herbert Kickl heissen. Oder «Volkskanzler», denn als solcher hatte sich der 56-jährige FPÖ-Chef im Wahlkampf empfohlen. Dass der Begriff von Adolf Hitler stammt, kümmerte ihn nicht.

Nachdem die beiden Parteien sich relativ rasch auf Sparmassnahmen im Budget 2025 geeinigt hatten, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden, schien die neue Regierung nur noch Formsache zu sein. Doch am Mittwoch scheiterten die Koalitionsverhandlungen mit Getöse und unter heftigen gegenseitigen Vorwürfen. Damit ist der Rechtsruck vertagt.

epa11821747 Interim OeVP chairman Christian Stocker (L) and Chairman of the Freedom Party of Austria (FPOe) Herbert Kickl (R) speak during the press conference on the coalition talks between the OeVP  ...
Am 13. Januar verkündeten Herbert Kickl und ÖVP-Chef Christian Stocker (l.) die Einigung beim Budget. Damals deutete alles auf eine gemeinsame Regierung hin.Bild: keystone

Kickl attackierte die ÖVP am Mittwochabend frontal. Sie habe Maximalforderungen etwa betreffend die Zahl der Ministerien gestellt und die Regierungsbildung sabotiert. Dabei war für die meisten Beobachter klar: Schuld am Fiasko war der rechtsradikale FPÖ-Chef. Die Volkspartei warf Kickl einen «Machtrausch» und «Kompromisslosigkeit» vor.

Viele rot markierte Punkte

«Ihm ging es um persönlichen Triumph, nicht um das Land», kommentierte der linksliberale «Standard». Und selbst die «Krone», der (Rechts-)Populismus wahrlich nicht fremd ist, attestierte Herbert Kickl, er habe die Türschnalle zum Kanzleramt «mit seiner Art der Verhandlungsführung selbst so hoch gesetzt, dass er sie letztlich nicht erreichen konnte».

Das zeigt sich anhand eines 223 Seiten umfassenden «geheimen» Protokolls, das am Wochenende vermutlich aus ÖVP-Kreisen an verschiedene Medien geleakt wurde. Eine grosse Zahl rot markierter Punkte liess darauf schliessen, dass beide Parteien weit von einer Einigung entfernt waren. Und dabei handelte es sich keineswegs um Lappalien.

Kein Bekenntnis zu Israel

Uneinig war man sich über ein klares Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und zur EU-Grundrechtecharta, obwohl die EMRK in der österreichischen Verfassung verankert ist. Auch die Verantwortung gegenüber Israel wurde infrage gestellt, obwohl die Österreicher nicht nur die ersten Opfer von Landsmann Hitler waren, sondern Mittäter.

Im Endeffekt handelte es sich um ein Dokument des angekündigten Debakels. Grösster Knackpunkt war der Streit um das Finanz- und das Innenministerium, das beide Parteien beanspruchten. Gerade letzteres ist ein heikles Ressort, denn Herbert Kickl hatte es von 2017 bis 2019 in der Regierung von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz selbst geführt.

Informationsfluss gestoppt

Damals sorgte der Rechtspopulist mit einer Polizeirazzia beim eigenen Verfassungsschutz für Aufsehen. Internationale Geheimdienste stellten den Informationsfluss nach Österreich in der Folge zeitweise ein. Wie wichtig er ist, zeigte sich letztes Jahr, als dank solcher Hinweise mutmasslich ein Terroranschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien vereitelt wurde.

Entsprechend alarmiert zeigte sich der österreichische Sicherheitsapparat in einem Dokument, über das der «Spiegel» Anfang Woche berichtete: «Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ, insbesondere die neuerliche Übernahme des Innenministeriums, hätte direkte und negative Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit und die Spionageabwehr der Republik.»

«Festung Österreich»

Die ÖVP war sich dessen bewusst und wollte das Ministerium für sich. Am Ende ist Herbert Kickl, ein misstrauischer wie rechthaberischer Mensch, an sich selbst gescheitert. Er wollte eine «Festung Österreich» errichten, die sich stärker an Russland als an den Westen anlehnt. Für die proeuropäische Volkspartei war dies eine tiefrote Linie.

epa11809172 Austrian Federal President Alexander Van der Bellen holds a press conference after a meeting with the chairman of the Freedom Party of Austria (FPOe), in Vienna, Austria, 06 January 2025.  ...
Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen heisst es: zurück auf Feld 1.Bild: keystone

«Was der Möchtegernkanzler an Radikalem durchzusetzen versuchte, war selbst für die beim Rechtsschwung biegsame ÖVP unannehmbar», kommentierte der «Standard». Nun steht die Alpenrepublik vor einem Scherbenhaufen. Sie hat mehr als vier Monate nach der Nationalratswahl im September noch keine neue Regierung, ein unrühmlicher Rekord.

Wie geht es weiter?

Richten muss es Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er könnte Neuwahlen ansetzen, die Herbert Kickl bereits gefordert hat. Seine FPÖ könnte gemäss Umfragen weiter zulegen, von knapp 29 auf 35 Prozent. Doch angesichts des Fiaskos könnte ihn selbst dies dem Kanzleramt nicht näher bringen, glauben Beobachter in Österreich.

Möglich wären auch eine ÖVP-Minderheitsregierung oder eine Expertenregierung. Der amtierende ÖVP-Chef Christian Stocker allerdings sprach sich am Mittwochabend im ORF für eine Regierung mit «parlamentarischer Mehrheit» aus, also ein Bündnis mehrerer Parteien, einfach ohne FPÖ. Ein erster Versuch war kurz nach Neujahr geplatzt.

Bereitschaft zum Neustart

Damals ging es um eine «Zuckerl-Koalition» von ÖVP, SPÖ und der liberalen Neos. In den letzten Tagen signalisierten Vertreter von Sozialdemokraten, Neos und Grünen, dem Juniorpartner in der Noch-Regierung mit der ÖVP, ihre Bereitschaft zum Neustart, womöglich ohne den umstrittenen SPÖ-Chef Andreas Babler, der als Linkspopulist gilt.

epa11679746 Social Democratic Party of Austria (SPO) leader Andreas Babler during the election of the new parliamentary president in Vienna, Austria, 24 October 2024. EPA/MAX SLOVENCIK
SPÖ-Chef Andreas Babler wird als Hypothek für eine neue Regierung betrachtet.Bild: keystone

Die Republik brauche «jetzt dringend neue Köpfe», forderte die «Krone». Eine interessante Personalie brachte der «Standard» ins Spiel: Die frühere ÖVP-Aussenministerin Ursula Plassnik, «eine echte patriotische Europäerin» und bis zu ihrer Pensionierung Botschafterin in Bern, solle als Kanzlerin «die besten Köpfe aus allen Parteien in die Regierung holen».

Zurück zum Kompromiss

In erster Linie aber müsste sich unser östlicher Nachbar auf den Kompromiss besinnen, den Bundespräsident Van der Bellen am Mittwoch als «österreichisches Erfolgsrezept» bezeichnete. Tatsächlich prägte er nach den traumatischen Erfahrungen mit dem Austrofaschismus und dem Nazi-Anschluss während langer Zeit die zweite Republik.

Eine breit abgestützte Regierung wäre nötig, denn Österreich kämpft wie Deutschland mit einer schwachen Wirtschaft und wie Frankreich mit Defiziten. Sonst wird der «Volkskanzler» Herbert Kickl irgendwann Realität. Am Mittwochabend zitierte er aus der 1970er-Zeichentrickserie «Der rosarote Panther»: «Heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Bundespräsidentenwahl in Österreich: Die Kandidaten im Überblick
1 / 8
Bundespräsidentenwahl in Österreich: Die Kandidaten im Überblick
Norbert Hofer, 45, ist der Präsidentschaftskandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), deren Vizechef er ist. Hofer ist der mit Abstand jüngste Bewerber und hatte deshalb zunächst gezögert zu kandidieren. Doch seine Partei überzeugte ihn davon, anzutreten. Hofer ist Ingenieur und hat für die österreichische Fluggesellschaft Lauda Air gearbeitet. Er ist Dritter Präsident des Nationalrats, der Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments. Hofer lobt die Regierung für ihre restriktive Flüchtlingspolitik. Den Präsidentschaftskandidaten Van der Bellen nannte er einen «faschistischen grünen Diktator», weil der eine Regierung unter FPÖ-Beteiligung nicht akzeptieren würde. Kritik bringt ihm seine Ehrenmitgliedschaft in einer Burschenschaft ein. ... Mehr lesen
quelle: ap/ap / ronald zak
Auf Facebook teilenAuf X teilen
An Veranstaltung von «Junger Tat»: Hier wird Rechtsextremist Martin Sellner abgeführt
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
116 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Magnum
13.02.2025 14:55registriert Februar 2015
VOLXKANZLER?
Echt jetzt, Kickl?
Völkischer Allmachtsspinner, kommt eher hin.
Und ja: Ist gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie.
10721
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gurgelhals
13.02.2025 14:43registriert Mai 2015
Und Alexander van der Bellen mittlerweile wahrscheinlich so: “Werde Bundespräsident haben’s gsagt. Da kannst du bis zur Pension noch eine ruhige Kugel schieben haben’s gsagt.” 🤣

Im Ernst: Der ist schon eine ziemlich coole Socke. Und so ziemlich die einzige Figur, die in diesem Theater so etwas wie Würde, Integrität und staatspolitische Verantwortung ausstrahlt. Nicht auszumalen, wie das gekommen wäre, wenn damals der FPÖ-Kandidat – Norbert “Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist” Hofer – gewählt worden wäre.
8210
Melden
Zum Kommentar
avatar
banda69
13.02.2025 15:49registriert Januar 2020
Ein Volkskanzler im Machtrausch.....

Rechtspopulisten und Macht...das kommt nicht gut. Das ist ganz übel.

Sind wir doch alle dankbar, dass unsere selbsternannte "Partei des Volchs" nie ihr erklärtes Ziel von über 50% Wähleranteil erreicht hat.

Und ja. Rechtspopulisten schaden. Immer.
3913
Melden
Zum Kommentar
116
    Fliegende Kühe aus Blatten gehen viral – die Reaktionen sind zum Muhen
    Im Wallis wurden einige Kühe via Helikopter evakuiert. Die Clips des Transports gingen viral – und sorgen nun für Muh-nterkeit.

    Wegen des Bergsturzes in Blatten im Wallis mussten Menschen und Tiere evakuiert werden. Seit Dienstag gehen nun Videos von den Kühen auf Social Media viral, die von ihrer Weide abtransportiert wurden. Der Grund: Die Verschiebung der Kühe fand via Helikopter statt. Die Reaktionen auf den ungewöhnlichen Transport sind köstlich.

    Zur Story