Als FPÖ und ÖVP Anfang Jahr Gespräche über eine gemeinsame Regierung aufnahmen, galt es als ausgemacht: Der nächste österreichische Bundeskanzler wird Herbert Kickl heissen. Oder «Volkskanzler», denn als solcher hatte sich der 56-jährige FPÖ-Chef im Wahlkampf empfohlen. Dass der Begriff von Adolf Hitler stammt, kümmerte ihn nicht.
Nachdem die beiden Parteien sich relativ rasch auf Sparmassnahmen im Budget 2025 geeinigt hatten, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden, schien die neue Regierung nur noch Formsache zu sein. Doch am Mittwoch scheiterten die Koalitionsverhandlungen mit Getöse und unter heftigen gegenseitigen Vorwürfen. Damit ist der Rechtsruck vertagt.
Kickl attackierte die ÖVP am Mittwochabend frontal. Sie habe Maximalforderungen etwa betreffend die Zahl der Ministerien gestellt und die Regierungsbildung sabotiert. Dabei war für die meisten Beobachter klar: Schuld am Fiasko war der rechtsradikale FPÖ-Chef. Die Volkspartei warf Kickl einen «Machtrausch» und «Kompromisslosigkeit» vor.
«Ihm ging es um persönlichen Triumph, nicht um das Land», kommentierte der linksliberale «Standard». Und selbst die «Krone», der (Rechts-)Populismus wahrlich nicht fremd ist, attestierte Herbert Kickl, er habe die Türschnalle zum Kanzleramt «mit seiner Art der Verhandlungsführung selbst so hoch gesetzt, dass er sie letztlich nicht erreichen konnte».
Das zeigt sich anhand eines 223 Seiten umfassenden «geheimen» Protokolls, das am Wochenende vermutlich aus ÖVP-Kreisen an verschiedene Medien geleakt wurde. Eine grosse Zahl rot markierter Punkte liess darauf schliessen, dass beide Parteien weit von einer Einigung entfernt waren. Und dabei handelte es sich keineswegs um Lappalien.
Uneinig war man sich über ein klares Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und zur EU-Grundrechtecharta, obwohl die EMRK in der österreichischen Verfassung verankert ist. Auch die Verantwortung gegenüber Israel wurde infrage gestellt, obwohl die Österreicher nicht nur die ersten Opfer von Landsmann Hitler waren, sondern Mittäter.
Im Endeffekt handelte es sich um ein Dokument des angekündigten Debakels. Grösster Knackpunkt war der Streit um das Finanz- und das Innenministerium, das beide Parteien beanspruchten. Gerade letzteres ist ein heikles Ressort, denn Herbert Kickl hatte es von 2017 bis 2019 in der Regierung von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz selbst geführt.
Damals sorgte der Rechtspopulist mit einer Polizeirazzia beim eigenen Verfassungsschutz für Aufsehen. Internationale Geheimdienste stellten den Informationsfluss nach Österreich in der Folge zeitweise ein. Wie wichtig er ist, zeigte sich letztes Jahr, als dank solcher Hinweise mutmasslich ein Terroranschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien vereitelt wurde.
Entsprechend alarmiert zeigte sich der österreichische Sicherheitsapparat in einem Dokument, über das der «Spiegel» Anfang Woche berichtete: «Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ, insbesondere die neuerliche Übernahme des Innenministeriums, hätte direkte und negative Auswirkungen auf die Ermittlungsarbeit und die Spionageabwehr der Republik.»
Die ÖVP war sich dessen bewusst und wollte das Ministerium für sich. Am Ende ist Herbert Kickl, ein misstrauischer wie rechthaberischer Mensch, an sich selbst gescheitert. Er wollte eine «Festung Österreich» errichten, die sich stärker an Russland als an den Westen anlehnt. Für die proeuropäische Volkspartei war dies eine tiefrote Linie.
«Was der Möchtegernkanzler an Radikalem durchzusetzen versuchte, war selbst für die beim Rechtsschwung biegsame ÖVP unannehmbar», kommentierte der «Standard». Nun steht die Alpenrepublik vor einem Scherbenhaufen. Sie hat mehr als vier Monate nach der Nationalratswahl im September noch keine neue Regierung, ein unrühmlicher Rekord.
Richten muss es Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er könnte Neuwahlen ansetzen, die Herbert Kickl bereits gefordert hat. Seine FPÖ könnte gemäss Umfragen weiter zulegen, von knapp 29 auf 35 Prozent. Doch angesichts des Fiaskos könnte ihn selbst dies dem Kanzleramt nicht näher bringen, glauben Beobachter in Österreich.
Möglich wären auch eine ÖVP-Minderheitsregierung oder eine Expertenregierung. Der amtierende ÖVP-Chef Christian Stocker allerdings sprach sich am Mittwochabend im ORF für eine Regierung mit «parlamentarischer Mehrheit» aus, also ein Bündnis mehrerer Parteien, einfach ohne FPÖ. Ein erster Versuch war kurz nach Neujahr geplatzt.
Damals ging es um eine «Zuckerl-Koalition» von ÖVP, SPÖ und der liberalen Neos. In den letzten Tagen signalisierten Vertreter von Sozialdemokraten, Neos und Grünen, dem Juniorpartner in der Noch-Regierung mit der ÖVP, ihre Bereitschaft zum Neustart, womöglich ohne den umstrittenen SPÖ-Chef Andreas Babler, der als Linkspopulist gilt.
Die Republik brauche «jetzt dringend neue Köpfe», forderte die «Krone». Eine interessante Personalie brachte der «Standard» ins Spiel: Die frühere ÖVP-Aussenministerin Ursula Plassnik, «eine echte patriotische Europäerin» und bis zu ihrer Pensionierung Botschafterin in Bern, solle als Kanzlerin «die besten Köpfe aus allen Parteien in die Regierung holen».
In erster Linie aber müsste sich unser östlicher Nachbar auf den Kompromiss besinnen, den Bundespräsident Van der Bellen am Mittwoch als «österreichisches Erfolgsrezept» bezeichnete. Tatsächlich prägte er nach den traumatischen Erfahrungen mit dem Austrofaschismus und dem Nazi-Anschluss während langer Zeit die zweite Republik.
Eine breit abgestützte Regierung wäre nötig, denn Österreich kämpft wie Deutschland mit einer schwachen Wirtschaft und wie Frankreich mit Defiziten. Sonst wird der «Volkskanzler» Herbert Kickl irgendwann Realität. Am Mittwochabend zitierte er aus der 1970er-Zeichentrickserie «Der rosarote Panther»: «Heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage.»
Echt jetzt, Kickl?
Völkischer Allmachtsspinner, kommt eher hin.
Und ja: Ist gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie.
Im Ernst: Der ist schon eine ziemlich coole Socke. Und so ziemlich die einzige Figur, die in diesem Theater so etwas wie Würde, Integrität und staatspolitische Verantwortung ausstrahlt. Nicht auszumalen, wie das gekommen wäre, wenn damals der FPÖ-Kandidat – Norbert “Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist” Hofer – gewählt worden wäre.
Rechtspopulisten und Macht...das kommt nicht gut. Das ist ganz übel.
Sind wir doch alle dankbar, dass unsere selbsternannte "Partei des Volchs" nie ihr erklärtes Ziel von über 50% Wähleranteil erreicht hat.
Und ja. Rechtspopulisten schaden. Immer.