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Kickl wird nicht Kanzler: Koalitionsgespräche mit ÖVP scheitern

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FPÖ-Chef Kickl strebte nach dem Wahlsieg seiner Partei im Herbst ins Kanzleramt.Bild: keystone

Kein Kanzler Kickl: FPÖ-Chef scheitert kurz vor dem Ziel

12.02.2025, 15:0012.02.2025, 20:47
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FPÖ-Chef Herbert Kickl ist kurz vor dem Einzug ins Kanzleramt doch noch gescheitert. Kickl gab nach dem Platzen der Koalitionsgespräche mit der konservativen ÖVP den Auftrag zur Bildung einer Regierung zurück. «Ich setze diesen Schritt nicht ohne Bedauern», schrieb der FPÖ-Chef.

Die Entwicklung verhindert vorerst, dass erstmals ein Rechtspopulist österreichischer Regierungschef wird. In den vergangenen Tagen war immer deutlicher zutage getreten, dass dem angepeilten Bündnis das zwingend nötige Vertrauensverhältnis für eine Regierung fehlte.

Die potenzielle Koalition war in Teilen der Bevölkerung mit grosser Sorge beobachtet worden. Bei Demonstrationen gegen den Rechtsruck gingen bis zu 30'000 Menschen auf die Strasse. Viele Bürger fühlten sich angesichts des Kurswechsels der ÖVP vor den Kopf gestossen. Die Konservativen hatten ursprünglich ein Bündnis mit der FPÖ unter Kickl abgelehnt.

Wie geht es jetzt weiter?

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat für die nächsten Tage alle Parteichefs zu sich eingeladen, um Auswege aus der politischen Sackgasse zu sondieren.

Grundsätzlich ermahnte das Staatsoberhaupt die Politiker, endlich wieder aufeinander zuzugehen. «Der Kompromiss ist in Verruf geraten», sagte Van der Bellen. Aber ohne dieses «österreichische Erfolgsrezept» werde es nicht gehen. Er forderte die parlamentarischen Parteien auf, sich auf das Staatsganze zu konzentrieren.

Mehrere Varianten möglich

Als Lösungen aus der derzeitigen Situation zählte das Staatsoberhaupt mehrere mögliche Optionen auf: Neuwahlen in einigen Monaten, eine neue Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, oder eine Expertenregierung. Zudem schloss Van der Bellen nicht aus, dass sich Parteien in einem weiteren Anlauf doch noch auf eine tragfähige Koalition einigen könnten.

Wer auch immer Verantwortung übernimmt, als Hauptaufgabe gilt, ein Budget zu verabschieden. Es muss einen Sanierungspfad aufzeigt werden, denn dem tief in einer Wirtschaftskrise steckenden Österreich droht ansonsten ein EU-Defizitverfahren.

Zu Beginn ihrer Koalitionsgespräche hatten sich FPÖ und ÖVP innerhalb weniger Tage auf Spar-Massnahmen für 2025 geeinigt. Brüssel verzichtete daraufhin auf die Einleitung eines Defizitverfahrens - aber nur vorerst.

Teils tiefgreifende Unterschiede zwischen FPÖ und ÖVP

Doch die Bündnisgespräche wurden von Unterschieden in aussen- und sicherheitspolitischen Fragen überschattet. So waren die Rechtspopulisten gegen eine weitere Unterstützung für die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland, das vor annähernd drei Jahren den Angriffskrieg gegen das Nachbarland gestartet hatte. Obendrein ist die FPÖ extrem EU-kritisch, die ÖVP dagegen tief überzeugt von den Vorteilen der Europäischen Union.

Knackpunkt: Andere Weltsicht von ÖVP und FPÖ

Insgesamt war in den rund vierwöchigen Gesprächen aber vor allem klar geworden, dass die beiden Parteien verschiedene Weltsichten haben. Während die ÖVP auf die internationale Einbindung der kleinen Alpenrepublik setzt, hatte die FPÖ immer wieder ihren Slogan von der «Festung Österreich» propagiert.

Die FPÖ-ÖVP-Bündnisgespräche waren schon der dritte Anlauf, in Österreich eine Regierung zu bilden. Zunächst versuchten ÖVP, sozialdemokratische SPÖ und liberale Neos, sich auf eine Dreierkoalition zu verständigen. Der Versuch scheiterte nach rund 100 Tagen. Die folgenden ÖVP-SPÖ-Gespräche wurden Anfang Januar sehr schnell beendet.

Kickl gilt als notorischer Besserwisser

Schliesslich gab Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ehemaliger Chef der Grünen in Österreich, schweren Herzens Kickl den Regierungsbildungsauftrag. ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer trat zurück, da er für sich eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgeschlossen hatte. Als Parteichef folgte ihm der bisherige ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.

Kickl hat in den Koalitionsgesprächen möglicherweise nicht nur inhaltlich zu hoch gepokert, sondern ist auch an Charakterzügen gescheitert. Der Extremsportler – der 56-Jährige hat verschiedene Triathlons gemeistert – gilt als höchst misstrauischer Mensch, ohne die Gabe, vertrauensbildende Brücken zu bauen. Er tritt ohne einen Hauch von Selbstzweifel auf. Der FPÖ-Chef sei ein notorischer Besserwisser, sagt sein Biograf Gernot Bauer.

«Es ist ihm ganz, ganz wichtig, Recht zu behalten.»
Gernot Bauer

Parteien könnten Personal austauschen

Mit dem aktuellen Scheitern sind die Ambitionen Kickls sicher nicht begraben. Bei Neuwahlen könnte die FPÖ laut aktuellen Umfragen nun mit rund 34 Prozent rechnen. Bei der Parlamentswahl im Herbst 2024 waren es knapp 29 Prozent. Die SPÖ und die ÖVP kämen den Demoskopen zufolge auf jeweils etwa 20 Prozent. Die Neos liegen laut Umfragen bei etwa 10, die Grünen bei 9 Prozent.

Diese Umfragen könnten aber auf Sand gebaut sein. Denn viele Beobachter gehen davon aus, dass ÖVP und SPÖ ihr Spitzenpersonal in nächster Zeit auswechseln könnten.

Weder Stocker noch der oft kritisierte SPÖ-Chef Andreas Babler sitzen fest im Sattel. Für die ÖVP könnte auch ein Altbekannter wieder versuchen, den Konservativen neue Popularität einzuhauchen: Ex-Kanzler Sebastian Kurz, seit seinem Rückzug aus der Politik Unternehmer, könnte dem Vernehmen nach mittelfristig wieder die politische Bühne betreten. (rbu/sda/dpa)

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107 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Revan
12.02.2025 16:37registriert Mai 2019
Mit der ganzen Idiotie die gerade in den USA läuft raufen sich jetzt vielleicht die demokratischen Kräfte zusammen um ein ähnliches Debakel hier drüben zu verhindern....die Hoffnung stirbt zuletzt.
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Chris_A
12.02.2025 15:51registriert Mai 2021
Frage mich schon was sich die Leute davon versprechen wenn sie eine rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien wählen. Um Problemlösungen kann es definitiv nicht gehen. Gerade auch die Österreicher sollten da ein bisschen sensibler sein, kam doch der kleine Gefreite aus ihrem Land.
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Neruda
12.02.2025 17:05registriert September 2016
Da Kickl aus seiner Zeit als Innenminister unter Verdacht steht, mehrmals das Gesetz gebrochen zu haben und seine Position dazu missbraucht hatte, persönliche Gegner zu verfolgen, darf das Innenministerium keines Falls wieder in die Hand der FPÖ kommen! Zu hoch die Wahrscheinlichkeit, dass der Sicherheitsapparat für parteipolitische und persönliche Ziele missbraucht wird.
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