International
Analyse

Die Erweiterung der Brics-Gruppe ist eine Ansage an den Westen

Analyse

Die Erweiterung der Brics-Gruppe ist eine Ansage an den Westen

Die Brics-Gruppe vergrössert sich. Ihr Gipfel zeigt, dass die Länder dem Takt der westlichen Welt nicht mehr länger folgen wollen. Weder wirtschaftlich noch ideologisch
25.08.2023, 10:1808.12.2023, 15:15
Rieke Havertz / Zeit Online
Mehr «International»
Ein Artikel von
Zeit Online

Am Ende kann Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa doch noch einen Erfolg verkünden. Aus fünf wird elf. Aus der Brics-Gruppe wird Brics+. Brasilien, Russland, China, Indien und Südafrika haben sich nach einigem Hin und Her in Johannesburg entschlossen, ihren Kreis zu erweitern. Argentinien, Ägypten, Äthiopien, der Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate werden ab 2024 Teil derer, die, so betonen sie es hier in Südafrika immer wieder, dem Globalen Süden eine starke Stimme geben wollen. Um die Weltordnung gerechter zu gestalten.

epa10815042 (L-R) President of Brazil Luiz Inacio Lula da Silva, President of China Xi Jinping, South African President Cyril Ramaphosa, Prime Minister of India Narendra Modi and Russia's Foreign ...
Haben Grund zum Feiern: Lula da Silva, Xi Jinping, Cyril Ramaphosa, Narendra Modi und Sergei Lawrow.Bild: keystone

Dass es nicht ganz so einfach ist mit der gemeinsamen Linie, wie die stets harmonischen Abschlusspressekonferenzen solcher Gipfel glauben machen wollen, lässt Ramaphosa durchscheinen. Sie seien eine diverse Gruppe von Ländern mit unterschiedlichen Ansichten, sagt er, doch mit einer gemeinsamen Vision. Es ist eine Vision, die den Industrienationen des Westens nicht unbedingt gefallen wird, mit der sie sich aber werden arrangieren müssen.

Schon jetzt übertrifft die Kaufkraft der Brics-Länder die der G7-Nationen. Mit der Erweiterung werden die Brics+ einen erheblichen Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt haben und die G7 auch in diesem Punkt übertreffen. Ihre Forderung, dass sie gehört werden, ist schon lange mehr als berechtigt.

Im vergangenen Jahr lud der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz als Gastgeber der G7 in Elmau Länder des Globalen Südens ein, am Rande mit dabei zu sein. Auch beim diesjährigen Treffen in Japan waren unter anderem Indien und Brasilien mit vertreten.

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reisen nicht nur Scholz, Aussenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck fast permanent um die Welt, auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten und demokratischen Verbündeten. US-Präsident Joe Biden ehrt Indiens Präsident Narendra Modi mit einem Staatsbankett in Washington, empfängt die Präsidenten Japans und Südkoreas und organisiert Demokratiegipfel. Das neue globale Wettrennen um Allianzen hat längst begonnen, der Westen ist womöglich zu spät.

Die Brics-Länder haben in Johannesburg deutlich gemacht, dass sie nicht einfach nur einen Platz am Tisch der Entscheider einfordern, sondern dass sie ihre Rolle selbst definieren werden. Es ist eine Ansage an den Westen – wirtschaftlich wie ideologisch. 

Neben ihrer Erweiterung haben die Fünf beschlossen, die von ihnen gegründete New Development Bank und alternative Zahlungsmethoden zum US-Dollar weiter zu prüfen. Es ist ein Vorhaben, das sie schon lange verfolgen.

Den internationalen Handel und seine Gepflogenheiten auszuhebeln und eine gemeinsame Währung einzuführen, ist ein komplexes Langzeitprojekt. Noch muss der US-Dollar als Leitwährung keine Konkurrenz fürchten. Aufgeben werden die Brics ihre Idee aber nicht, Dilma Rousseff, Chefin der Brics-Bank, ist in Johannesburg auf allen wichtigen wirtschaftlichen Foren vertreten.

Wohlfühltage für Putin

Politisch haben die Brics sich in der momentan grössten geopolitischen Frage in äusserster Zurückhaltung geübt: Der Krieg gegen die Ukraine findet drei Tage lang kaum Erwähnung. Putin wird, zugeschaltet aus Moskau, als guter Freund und Partner behandelt. Der russische Präsident kann unwidersprochen seine Erzählung des guten russischen Führers gegen den bösen Westen verbreiten.

Auf der Abschlusspressekonferenz am Tag nach dem Absturz des Privatjets der Wagner-Gruppe, bei dem mutmasslich ihr Anführer Jewgeni Prigoschin starb, sind keine Fragen zugelassen. Es sind Wohlfühltage für Putin.

Russian President Vladimir Putin addresses leaders from the BRICS group of emerging economies at the start of a three-day summit in Johannesburg, South Africa , Tuesday, Aug. 22, 2023. Putin appeared  ...
Nur zugeschaltet: Vladimir Putin.Bild: keystone

Zwar ging Südafrika im Vorfeld nicht so weit, den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Putin zu ignorieren, um ihn so in Johannesburg empfangen zu können. Aber auch via Leinwand wird deutlich, dass Putin international nicht so isoliert ist, wie es sich der Westen erhoffen würde. In der Abschlusserklärung wird nur allgemein die Besorgnis über Konflikte überall auf der Welt zum Ausdruck gebracht und auf die Einhaltung der Charta der Vereinten Nationen verwiesen. Dass Putin mit seinem Krieg gegen die Ukraine diese permanent verletzt, wird ignoriert.

Die Erweiterung von Brics nutzt ideologisch so vor allem Putin und Chinas Staatspräsident Xi Jinping. Sie waren es, die am stärksten dafür geworben haben. Dass eine für den zweiten Gipfeltag angesetzte Pressekonferenz auf den frühen Donnerstag verschoben wurde, zeigt, dass darüber nicht leicht Einigkeit zu erzielen war. Die Einzelinteressen wiegen schwer, die Ausführungen der fünf Staatschefs werden immer wieder zu Werbeblöcken für ihre Ziele. Indien und Brasilien haben enge wirtschaftliche Bindungen zum Westen, vor allen Dingen zu den USA, Südafrika als wirtschaftlich schwächstes Mitglied setzt auf die Fortführung einer wichtigen Handelsvereinbarung mit den USA, die bislang bis 2025 läuft.

Jetzt auf

Und auch ideologisch wollen sich diese drei nur ungern von China und Russland in eine Blockbildung drängen lassen. Dass nun gleich sechs neue Länder schon Anfang 2024 aufgenommen werden, zeigt, wer sich bei den nicht öffentlichen Diskussionen durchgesetzt hat.

Für Brasilien, Indien und Südafrika, die sich alle als Demokratien begreifen – Lula da Silva betont, er wolle die Brics nicht als Counterpart gegenüber den G7, den G20 oder den USA sehen – wird es ein zunehmender Balanceakt werden. Denn Xi prangert die Hegemonialmacht der USA zwar nicht direkt, aber doch offensichtlich genug an. Er wird Brics weiter in diese Richtung prägen wollen, mit der Erweiterung stimmen dem alle zumindest indirekt zu.

Was auch die Frage nach der Zukunft der G20 stellt, deren Präsidentschaft Brasilien 2024 übernimmt. Eine Gruppe, der alle Brics-Länder angehören, die also Lager vereint, zwischen denen die Welt gerade hin- und herpendelt.

Eine aktuelle Erhebung des Bennett Institute for Public Policy Cambridge belegt diese Pendelbewegung zwischen Demokratien und autokratischen Staaten. Nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukraine hat sich die ideologische Kluft auf der Welt verschärft. In Entwicklungsländern sind China und Russland beliebter als die Vereinigten Staaten. Es ist eine Spaltung, die der Brics-Gipfel nicht nur manifestiert, sondern weiter forciert.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Du willst dich wieder wie ein Kind fühlen? In Edinburgh gäbe es da etwas für dich …
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
91 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Mr. Watson
25.08.2023 10:36registriert Oktober 2020
IMHO sehe ich das nicht so problematisch wie einige Medien.
Das einzige was die verbindet, ist das Anstinken gegen den Westen. Das ist enorm wenig, um längerfristig zu halten.
"Schon jetzt übertrifft die Kaufkraft der Brics-Länder die der G7-Nationen."
In Summe oder auch pro Kopf? Den was diese Länder in riesigen Mengen haben, sind Menschen. Vor allem auch enorm viele arme Menschen. Und ein grosses Potential für interne grosse Konflikte.

Auf der anderen Seite gönne ich, zumindest den Menschen dieser Länder, mehr Gewicht auf der Weltbühne.
578
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lafayet johnson
25.08.2023 10:38registriert Juli 2020
Die Brics-Länder haben in Johannesburg deutlich gemacht, dass sie nicht einfach nur einen Platz am Tisch der Entscheider einfordern, sondern dass sie ihre Rolle selbst definieren werden. Es ist eine Ansage an den Westen – wirtschaftlich wie ideologisch.

Indien exportiert neuerdings auch Öl, obwohl es in Indien gar kein Öl gibt. Russland zieht wirklich jeden um sich mit runter in die Tiefe..

Schade, hätte die Chinesen für klüger gehalten ..
439
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bit90
25.08.2023 11:35registriert September 2021
"globaler Süden", ha ha.
Das einzige was Russland mit vielen Ländern des globalen Südens gemein hat, ist Autokratie, Korruption und Missachtung von Menschenrechten.
235
Melden
Zum Kommentar
91
Deutscher Zoll durchsucht Adidas-Zentrale in Deutschland
Adidas liegt schon seit Jahren mit dem Zoll im Streit über Vorschriften bei der Einfuhr von Produkten. Nun haben sich Fahnder unter anderem in der Konzernzentrale umgeschaut.

Der Sportartikelhersteller Adidas steht unter dem Verdacht, bei der Einfuhr von Waren Steuern hinterzogen zu haben. Es gehe um Zollgebühren und Einfuhrumsatzsteuer, teilte die Europäische Strafverfolgungsbehörde (EPPO) mit. «Es besteht der Verdacht, dass eine Unternehmensgruppe, die mit Sportartikeln handelt, in die Hinterziehung von Importabgaben zum Nachteil des EU-Haushaltes involviert ist», heisst es.

Zur Story