Berühmt wurde Josh Hawley, als er vor dem Sturm auf das Kapitol die Chaoten mit erhobener Faust anfeuerte – um wenig später hasenfüssig vor ihnen die Flucht zu ergreifen. Jetzt will sich der republikanische Senator aus dem Bundesstaat Missouri erneut in Szene setzen. An der National Conservatism Conference in Washington erklärte er am vergangenen Montag:
Damit das glasklar ist: Hinter dem Begriff «christlicher Nationalismus» versteckt sich nicht weniger als ein faschistischer Gottesstaat im Sinne des dystopischen Romans «The Handmaid’s Tale» von Margaret Atwood. Zudem widerspricht ein solcher Gottesstaat dem Grundprinzip der amerikanischen Verfassung, der Trennung von Kirche und Staat.
Trotzdem findet die Vorstellung eines christlichen Nationalismus immer mehr Anhängerinnen und Anhänger in den USA, vor allem am ganz rechten Rand der Grand Old Party. Inzwischen sitzen Vertreter dieser Ideologie nicht nur wie Hawley im Senat. Mike Johnson, der Speaker des Abgeordnetenhauses, ist ebenfalls ein Vertreter dieser Ideologie, und er besetzt das dritthöchste Amt im Land.
Bereits gibt es auch eine Blaupause dafür, wie dieser Gottesstaat in die Realität umgesetzt werden soll: das Project 2025. Ausgearbeitet wurde dieser Plan von der Heritage Foundation, einer einst von den Koch-Brüdern geschaffene konservative Denkfabrik, die mittlerweile in die ganz rechte Ecke abgedriftet ist.
Kevin Roberts, der Präsident dieses Thinktanks, prahlte jüngst in der Sendung von Steve Bannon – bevor dieser in den Knast einrücken musste – euphorisch: «Wir werden gewinnen, wir werden uns das Land zurückholen.» Und weiter: «Wir sind im Prozess einer zweiten amerikanischen Revolution. Dabei wird kein Blut vergossen werden, wenn es die Linken zulassen.»
Das Zuckerhoch der gottesfürchtigen Rechtsextremen hat zwei Gründe: Einerseits die Schwierigkeiten, in denen sich die Demokraten nach dem katastrophalen Auftritt von Joe Biden in der Debatte befinden. Der zweite Grund liegt im skandalösen Urteil, welches der Supreme Court bezüglich der präsidialen Immunität gefällt hat. Es besagt, dass der Präsident nur für private Vergehen strafrechtlich verfolgt werden darf.
Damit würde Trump – sollte er denn wiedergewählt werden – beinahe absolute Macht erhalten. «Das sollte uns Mut machen», so Roberts. «Wir wissen, wie wichtig es ist, dass die Exekutive ihren Job machen kann. Und können Sie sich vorstellen, dass irgendein Präsident – Politik mal ausgeblendet – sich hinterfragen lassen wird, wenn er Entscheide fällt?»
Die Euphorie Roberts ist verständlich. Der Supreme Court hat die Türe für einen Gottesstaat tatsächlich weit geöffnet. In der «New York Times» zitiert Thomas Edsall den Verfassungsrechtler Noah Feldman wie folgt: «Der U.S. Supreme Court hat mit seinem weitreichenden Entscheid de facto eine imperiale Präsidentschaft legitimiert. (…) Unsere Gründungsväter wären entsetzt. Die Cäsars würden zustimmend mit dem Kopf nicken.»
Trumps Anhänger schwelgen bei Fox News und anderen konservativen Medien bereits in Rache-Phantasien. Der Ex-Präsident selbst kann seine Schadenfreude ebenfalls nicht verhehlen: «Die demokratische Partei ist gespalten und befindet sich in einem Chaos. Sie steht vor einem totalen Zusammenbruch», rief Trump gestern an einem Rally in Florida seinen Anhänger zu.
Der Ex-Präsident ist auch davon überzeugt, dass er im November erneut gegen Joe Biden antreten wird. In einem Interview mit Fox-News-Moderator Sean Hannity erklärte er: «Er (Biden) hat ein Ego und er will nicht ausscheiden. Ich glaube auch Jill (Bidens Frau) wünscht, dass er im Rennen bleibt. Sie geniesst den Rummel um ihren Mann.»
Wenn sich Trump da mal nicht irrt. Die Demokraten jammern nicht nur, sie sind auch intensiv damit beschäftigt, einen Ausweg aus dem Debatten-Schlamassel zu suchen. Wie dieser aussehen wird, ist noch unklar, doch der Druck auf Biden, zurückzutreten, wächst. So hat beispielsweise George Clooney in einem Gastkommentar in der «New York Times» den Präsidenten eindringlich aufgefordert, sich seinem Alters-Schicksal zu fügen.
Clooney glaubt nicht, dass eine Wahl am Parteitag im August zu einem Chaos führen würde. «Lasst uns darin einig sein, dass die Kandidaten einander nicht attackieren würden, sondern die kurze Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, dafür nutzen würden, herauszufinden, was dieses Land begeistert», so Clooney.
Nancy Pelosi hat sich ebenfalls zu Wort gemeldet. In der Frühstücks-Sendung «Morning Joe» – Biden soll sie regelmässig verfolgen – erklärte die Grand Old Lady der amerikanischen Politik: «Ich will, dass er das tut, was er selbst entscheidet, was er tun will.» Angesichts der Tatsache, dass Biden bereits eine gefühlte Zillion mal erklärt hat, er wolle nicht zurücktreten, ist dies eine kaum verhüllte Aufforderung, sich das Ganze nochmals sehr gut zu überlegen.
Das Verhalten Bidens öffnet auch Raum für folgende Spekulation: Das Majorz-System in den USA lässt nur zwei Parteien zu. Die Demokraten sind daher eine sogenannte «big tent»-Partei, eine Partei, in der verschiedene Richtungen Unterschlupf finden. Bei uns beispielsweise wären dies mindestens vier Parteien.
Um einen Richtungskampf zu vermeiden, will Biden daher zuwarten, bis eine Lösung gefunden ist, mit der alle leben können. Zudem gilt es noch, ein paar knifflige technische Probleme zu lösen. Was beispielsweise geschieht mit Bidens Spendengelder? Sind diese Fragen beantwortet, kann sich der Präsident in Würde zurückziehen.
In einem sind sich die Demokraten bereits einig: Project 2025 wird im Mittelpunkt ihrer Kampagne stehen. Dabei hat Trump bereits einen groben Stockfehler begangen. Auf seiner Plattform Truth Social veröffentlichte er einen Post, in dem er sich von diesem Projekt distanzieren will. Er hat damit genau das Gegenteil erreicht. Inzwischen googeln weit mehr Menschen den Begriff «project 2025» als Taylor Swift oder NFL.
Der Grossteil der Amerikaner beginnt erst jetzt, sich mit dem Wahlkampf auseinanderzusetzen. Erfahren die Frauen, dass ihnen selbst die Abtreibungspille Mifpristone verwehrt werden soll, und erfahren die Männer, dass auch YouPorn bald der Vergangenheit angehört, dann könnte das einen argen Dämpfer für die Trump-Begeisterung auslösen.
Faschismus wählen, weil der andere Kandidat älter und schwächer wirkt obwohl seine Administration Arbeit im Sinne des Volkes macht…
wie oberflächlich und ungebildet kann man sein. Das tut mir fast schon Leid für diese unaufgeklärten Menschen.
Diesen Spruch von Kevin Roberts muss man ernst nehmen: Diese durchgeknallten Rechtsaussen-Sektierer werden auf Widerstand mit Blutvergiessen reagieren, wenn sie erst einmal an der Macht sind. Möge dieser Kelch (und die erneute Wahl vom orangenen Knilch) an den Vereinigten Staaten vorbei gehen.
Aus gesellschaftspolitischer Sicht sollte das übrigens "Projekt 1925" heissen, denn die ganze Sache ist zutiefst illiberal und reaktionär.