Vor den US-Präsidentschaftswahlen im November treffen Präsident Joe Biden (81), Kandidat der Demokraten, und Ex-Präsident Donald Trump (78), Kandidat der Republikaner und verurteilter Straftäter, zweimal für ein TV-Duell aufeinander.
Heute Nacht (3 Uhr Schweizer Zeit) fand das erste Duell in Atlanta, Georgia, statt. Moderiert wurde es von Jake Tapper und Dana Bash, ausgestrahlt wurde es auf CNN. Und so ging es aus:
Frei nach Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer der Lügen.
Nein, Joe Biden fror nicht ein. Zum absoluten Desaster kam es somit nicht. Aber einen frischen Eindruck hinterliess der Präsident nicht. Im Gegenteil.
Definitiv.
Bidens Stimme wirkte schwach und matt, etwas heiser gar. Mehrere Male hatte er Mühe, seine Sätze stringent zu formulieren. Und er nuschelte – deutlich mehr als noch vor vier Jahren.
Wenn es das Ziel von Joe Biden war, sich als energetischen Präsidenten darzustellen, als starken Leader, dann ist ihm das in dieser Debatte gänzlich misslungen. Er wirkte von Beginn weg unsicher und vom Tempo überfordert.
Als neutraler Zuschauer nimmt man ihm ab, dass er in einem geschützten Rahmen zu einer durchdachten Entscheidung finden kann. Aber darum ging es heute Abend nicht.
Ja. Donald Trump war das Alter deutlich weniger anzumerken. Er wirkte frischer und energetischer.
Nein. Aber er zeigte sich von seiner trumpigsten Seite.
Er ging kaum auf Fragen ein, betonte immer wieder, wie beliebt er sei – und wie unbeliebt und schlecht sein Gegenüber. Ausserdem sorgten seine Aussagen immer wieder für Stirnrunzeln: Ein CNN-Analyst erklärte später, Trump habe heute Abend die Maschine zur Faktenüberprüfung explodieren lassen. Tatsächlich waren seine kruden Übertreibungen und Erfindungen kaum auszuhalten. Aber man kennt diese ja – sie scheinen ihm politisch nicht zu schaden.
Oh ja!
Trump hielt sich mit persönlichen Beleidigungen mehr oder weniger zurück – sie zielten in der Regel auf Bidens Qualität als Präsident oder dessen kognitive Leistungen.
Biden wiederum teilte so kräftig aus, wie es ihm nur möglich war. Er nannte Trump eine Heulsuse («Whiner») und mehrere Male einen Trottel («Sucker»). Wiederholt bezichtigte er Trump der Lüge, und dass dieser nur dummes Geschwafel produziere.
Aber auch Trump bezeichnete Biden als jemanden, der ohne mit der Wimper zu zucken lüge.
Natürlich die Wirtschaft, Abtreibung, der Ukraine-Krieg, Israel, die Einwanderungsproblematik, der Sturm aufs Kapitol und noch einige mehr.
Tatsächlich wich Donald Trump den meisten Fragen geschickt aus. Stattdessen besprach er lieber, wie hervorragend seine Leistung als Präsident gewesen war – und wie miserabel Joe Biden agiert.
Joe Biden versuchte wenigstens, sich den Fragen einigermassen zu stellen. Im Verlaufe der Debatte fand allerdings eine gewisse Anpassung an die Taktik seines Gegners statt.
Man muss konstatieren, dass Joe Biden wenige gute Momente hatte. Der beste Spruch war, als er Trump anbot, mit ihm golfen zu gehen: «Aber nur, wenn du deine eigene Tasche trägst. Kannst du das?»
Der Spruch funktioniert im Englischen weitaus besser, denn «carry your own bag» ist doppeldeutig. Es bedeutet auch, mit der eigenen Vergangenheit leben zu müssen.
Dass es überhaupt zu dieser Aussage kam, steht exemplarisch für den Surrealismus, der diese Debatte prägte: Donald Trump hatte erklärt, er habe soeben zwei Golfturniere gewonnen. Biden prahlte danach mit seinem 6er-Handycap. Grotesk, angesichts der Weltlage.
Fast schon für Erleichterung sorgte Biden jeweils, wenn er Trump vorwarf, nur dummes Zeug zu schwafeln: «Ich habe in meinem gesamten Leben noch nie so viel Müll gehört», sagte er einmal. Und man ist geneigt, ihm zu glauben.
Ebenfalls gesessen hatte Bidens Spruch – auf sein Alter angesprochen: «Ich bin nur wenig älter als er, aber dafür viel kompetenter.»
Donald Trump nutzte Bidens Schwächen bei der Formulierung von Sätzen gnadenlos und süffisant aus: «Ich weiss nicht, was er sagen wollte – er selbst vermutlich auch nicht», schnatterte er mit seiner so typischen Art, als sich sein Gegenüber wieder einmal im Dickicht der Sprache verhedderte.
Tatsächlich aber hat Trump hier einen Punkt. Biden wirkte unsicher und musste sich selbst auch bei Zahlen mehrere Male korrigieren. Joe Biden ist kein Mann der lauten Töne, das ist bekannt, aber vertrauenerweckend wirkte sein Auftritt nicht. Dieser Mann ist nicht fit genug für weitere vier Jahre.
Biden hatte zwar keinen groben, dafür aber mehrere kleinere Aussetzer. Als neutraler Zuschauer empfand man beinahe etwas Mitleid mit dem alten Herrn, der vom Tempo sichtlich überfordert nach Worten ringt. Mitleid ist kein Gefühl, das man für einen amerikanischen Präsidenten empfinden sollte. Und mit Mitleid gewinnt man auch keine Wahlen.
Als Joe Biden Trumps Sündenregister aufzählte. Da sah der Ex-Präsident für einen kurzen Moment sogar noch älter aus als sein Gegner. Natürlich ging er danach sogleich zum Angriff über und behauptete ernsthaft: «Ich hatte nie Sex mit einem Pornostar.» Die sture Leugnungstaktik hat er wohl Bill Clinton abgeschaut.
Mit klarem Vorsprung Donald Trump.
Trotz einem deutlichen Mangel an Energie: definitiv Joe Biden. Die Frage ist, wie sehr die Kompetenz eine Rolle spielt.
Donald Trump. Seine Wortwahl ist einfach, seine Botschaft klar. Dass beides bloss Geschwätz ist, das mit der Realität wenig gemein hat, ist eine andere Baustelle.
Ebenfalls Donald Trump. Er wirkte süffisant und überheblich, Joe Biden dazu im Gegensatz eher schwächlich.
Donald Trump.
Ihm gelang es, seine Botschaften immer und immer wieder anzubringen. Schwierigen Fragen wich er dreist und mit bewundernswerter Geschicklichkeit aus. Stattdessen gelang es ihm immer wieder, sich als Heilsbringer der USA darzustellen: «Ich beende den Ukraine-Krieg, noch bevor ich im Amt bin», war so eine krude und mehrmals wiederholte Behauptung. Bidens Aussagen wurden von Trumps lautem Gebell niedergeschrien – was auch ein Vorwurf an die Veranstaltung sein muss.
Sie war in keinster Weise moderiert. Die Kandidaten erhielten auf jede Frage zwei Minuten ungehinderte Redezeit. So konnte Trump ohne Widerspruch fern jeglicher Realität Luftschlösser bauen. Das Format, auf das sich übrigens beide Parteien zuvor einigten, war für Marktschreier zugeschnitten und nicht für Realpolitiker. Und deshalb hatte Joe Biden keine Chance.
Es ist zu befürchten, dass die den Clown mit der Matte nochmals wählen…