Die erste Spitze gegen Selenskyj fiel bereits bei der Begrüssung. Donald Trump empfing den Ukrainer am Freitag vor dem Weissen Haus, ohne zu lächeln, ohne grossen Gesten. Nur eine bös gemeinte Bemerkung hatte er für seinen Gast übrig: «Richtig in Schale geworfen» habe sich Selenskyj, spottete Trump. Wie bei jedem öffentlichen Auftritt seit Kriegsbeginn trug der ukrainische Präsident ein Oberteil im Militärstil, aus Solidarität mit seinen Soldaten, die gegen Russland an der Front um das Überleben ihres Landes kämpfen. Der Ton war von der ersten Sekunde an gesetzt.
Im Oval Office lief Selenskyj dann in Trumps Falle. Der Ukrainer hatte wohl erwartet, zu einem Gespräch bei Verbündeten zu kommen. Er verzichtete etwa auf einen Übersetzer – Selenskyj spricht zwar gutes Englisch, aber hätte er gewusst, dass er gegen gleich zwei Muttersprachler, nämlich den US-Präsidenten und seinen Vize, in einer hitzigen Diskussion standhalten muss, hätte er sich das möglicherweise nochmals überlegt. Allein, um sich mehr Zeit vor den Antworten nehmen zu können und so die emotional aufgeladene Situation zu entschärfen.
Die Herabwürdigungen durch Trump und JD Vance wurden in einem abgekarteten Spiel sogar noch von rechten Einpeitschern flankiert: Ein TV-Journalist eines Trump-freundlichen Senders und Lebenspartner der MAGA-Anhängerin Marjorie Taylor Green, der vom Weissen Haus ins Oval Office eingeladen wurde, provozierte Selenskyj mit der Frage, warum er keinen Anzug trage. Der Ukrainer war an dieser Stelle bereits sichtlich angefressen.
Vance, dessen Beinhaare zwischen Socken und seiner zu kurzen und viel zu engen Hose durchblitzten, amüsierte sich köstlich über die Frage. Und Trump, der sich kurz zuvor überhaupt nicht daran störte, dass sein Berater Elon Musk in Jeans und T-Shirt während des ersten Kabinettsmeetings Witze riss, machte höchstens zaghafte Anstalten, Partei für Selenskyj zu ergreifen. Vance gab wenig später den Startschuss zur Attacke auf Selenskyj, indem er dem Ukrainer vorwarf, undankbar zu sein.
Das ganze Schauspiel hatte nur ein Ziel: Selenskyj in die Enge zu treiben, ihn zu provozieren. Rückblickend muss man sagen: Der Ukrainer hätte nicht nur einen Übersetzer mitnehmen sollen, sondern auch die beiden Klitschkos. Oder Olexandr Usyk, dessen WM-Gürtel während des Gesprächs neben Selenskyj auf dem Tisch lag. Die Sticheleien wären Trump und Vance ziemlich sicher nicht so einfach über die Lippen gegangen, wäre ein Boxweltmeister in Reichweite gesessen.
Inhaltlich hätte das Selenskyj allerdings auch nicht geholfen. Denn mit Trump sitzt kein Freund der Ukraine mehr im Weissen Haus. Sondern ein Makler, dem es um nichts anderes als die eigene Provision geht. Trump will einen schnellen Waffenstillstand, um jeden Preis. Putin wird er nicht bewegen können, das dürfte Trump inzwischen klar sein. Also muss sich eben der Ukrainer bewegen, damit der Makler seinen Erfolg verbuchen kann.
Trump will die Bodenschätze der Ukraine. Aber mehr noch will er eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland. Moskau bescheinigt ihm inzwischen täglich, dass er hier auf gutem Weg sei. Am Sonntag liess Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wissen: «Die neue Regierung [der USA] verändert rapide alle aussenpolitischen Strukturen. Das stimmt grösstenteils mit unserer Vision überein.»
Ferner will Trump, wenn in der Ukraine tatsächlich die Waffen ruhen, natürlich auch den Friedensnobelpreis. Sicherheitsgarantien für die Ukraine will er allerdings keine geben. Das ist jedoch der springende Punkt.
Selenskyjs Überlegung: Ein Friedensvertrag, der Putin einbinden soll, ist ohne diese US-Garantien das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wird. Die Ukrainer wissen, dass der Kreml-Diktator diesen brechen wird, sobald es ihm opportun erscheint. Und ein gestärkter Putin dann zur Gefahr für ganz Europa wird.
Trump glaubt das offenbar nicht. Er ist überzeugt, dass Putin sein Wort halte, wenn er es seinem Kumpel Donald gibt. Zwischen Trump und dem Frieden in der Ukraine steht in seiner Wahrnehmung daher nur noch dieser freche kleine Ukrainer im Sweatshirt. Eine absurde Verdrehung der Realität, die sämtliche Werte des Westens mit Füssen tritt. Aber an diese fühlt sich Trump ohnehin nicht gebunden.
Die Eskalation im Oval Office war daher wohl unvermeidbar. Freilich hätte Selenskyj still dasitzen können und den Spott von Trump und dessen Leuten einfach weglächeln können. Den tiefen Graben, den Trump in die Beziehungen zur Ukraine und dem Rest Europas gezogen hat, hätte das allerdings nicht gekittet. (aargauerzeitung.ch)
Ich denke Selensky hätte sich so oder so verhalten können, das Ergebnis des Meetings war schon im Vorneherein abgesprochen.
Und da russische TV war übrigens auch im Raum. Das war quasi eine Live-Sendung für Putin.
Sowas hinterhältiges findet man sonst nur in Russland.