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Ehemalige deutsche KZ-Sekretärin zu Bewährungsstrafe verurteilt

Mord in über 10'000 Fällen – ehemalige KZ-Sekretärin zu Bewährungsstrafe verurteilt

20.12.2022, 10:3020.12.2022, 12:29
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FILE - The at this time 96-year-old defendant Irmgard F. sits in the courtroom at the beginning of the trial day in Itzehoe, Germany, Tuesday, Nov. 9, 2021. The now 97-year-old woman charged with bein ...
Vor Gericht: Die Angeklagte.Bild: keystone

Eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof ist in Deutschland der Beihilfe zum Mord in über 10'000 Fällen schuldig gesprochen worden.

Das Landgericht Itzehoe (Schleswig-Holstein) verurteilte die 97-jährige Irmgard F. am Dienstag zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Nach Festellung der Strafkammer war die Angeklagte von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig (Gdansk, heute Polen) tätig.

This undated photo from 1941/1942 shows the Nazi concentration camp Stutthof in Sztutowo, Poland. A 97-year-old woman charged with being an accessory to murder for her role as secretary to the SS comm ...
Das KZ StutthofBild: keystone

Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet. Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt.

Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum grossen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen.

«Die im 98. Lebensjahr stehende Angeklagte hat ihre gerichtliche Schuldig-Sprechung wegen Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord erhalten. Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten», erklärte Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende als Nebenkläger vertrat.

Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.

epa10286075 A view of the former Nazi-German Concentration Camp KL Stutthof during the Judges from the Itzehoe District Court and historical experts visit in Sztutowo village, northern Poland, 04 Nove ...
Bild: keystone

Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim. Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Strasse in Hamburg auf. Das Gericht erliess einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft.

Erst ganz zum Schluss des Prozesses hatte sie ihr Schweigen gebrochen. «Es tut mir leid, was alles geschehen ist», sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: «Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.»

In Deutschland hatten sich in den vergangenen Jahren etliche frühere KZ-Bedienstete im weit fortgeschrittenen Alter noch vor Gericht verantworten müssen. Denn bei bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit hatte die deutsche Justiz über Jahrzehnte nur diejenigen verfolgt, die zur Leitung der Konzentrationslager gehört oder selbst gemordet hatten oder durch besondere Grausamkeit aufgefallen waren, sogenannte Exzesstäter.

Ein Wendepunkt war der Prozess gegen den früheren Wachmann John Demjanjuk, der 2011 wegen seiner Tätigkeit im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen verurteilt wurde. Heutzutage wird auch die allgemeine Dienstausübung in einem Lager, in dem erkennbar systematische Massenmorde stattfanden, juristisch geahndet. (sda/dpa)

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56 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pinex
20.12.2022 11:03registriert August 2014
Schade, hat man das nicht schon in den 50er oder 60er Jahren gestartet. Es hätte vielleicht mehr gebracht als diese symbolischen Strafen, wenn man bedenkt, dass dieses Gedankengut wieder vermehrt salonfähig wird...
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