Herr Nirumand, Sie leben abgesehen von Unterbrechungen seit rund siebzig Jahren in Deutschland; in Ihrem Heimatland waren Sie seit Jahrzehnten nicht mehr. Was geht Ihnen dieser Tage durch den Kopf?
Bahman Nirumand: Natürlich bin ich von den Ereignissen sehr stark betroffen, wütend und traurig. Es ist ein schrecklicher Krieg, der viele Opfer bringt. Wie er auch ausgehen wird, er wird für das iranische Volk nichts Gutes bringen, egal, ob das Regime fällt oder nicht.
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass das Regime gestürzt wird?
Nein, selbst wenn die Amerikaner sich aktiv an dem Krieg beteiligen würden. Ein Regime kann man nicht aus der Luft stürzen, und eine Bodenoffensive würden weder die Amerikaner noch Israel riskieren. Iran ist ein grosses Land, und das Regime hat Mittel, um sich zu wehren. Iran könnte amerikanische Stützpunkte in der Region angreifen oder die Strasse von Hormus schliessen, auf der 25 Prozent des weltweiten Ölverbrauchs transportiert wird. Zudem könnte die Fortführung des Krieges die gesamte Region in Mitleidenschaft ziehen und im schlimmsten Fall zu einem Weltkrieg führen. Wird das Regime nicht gestürzt, wird es das Volk noch mehr unter Druck setzen, Oppositionelle zu Landesverrätern oder Spionen erklären und mit Gefängnis oder gar dem Tod bestrafen.
Hat das Regime noch Rückhalt in der Bevölkerung?
Die Führung wird von der überwiegenden Mehrheit gehasst. Die Wut ist so stark, dass manche sogar sagen, egal wie das Regime gestürzt wird, Hauptsache, dieser Albtraum geht zu Ende. Aber der iranische Patriotismus ist aufgrund historischer Erfahrungen sehr stark. Daher lehnt wohl die überwiegende Mehrheit einen Regimewechsel durch eine fremde Macht ab. Auch die Erfahrungen im Irak und in Libyen zeigen, dass ein solcher Regimewechsel schlimme Folgen haben kann.
Gibt es Oppositionspolitiker im Land, in die Sie Hoffnungen setzen?
Es gibt derzeit keine ernst zu nehmende Alternative zum bestehenden Regime, keine Persönlichkeit, die genug Gewicht hätte, um die gesamte Opposition zu führen und die das Vertrauen der Bevölkerung geniessen würde. Zudem besteht die Gefahr eines Bürgerkriegs. Iran ist ein Vielvölkerstaat, und unter ethnischen Minderheiten gibt es separatistische Bestrebungen. Das Land könnte auseinanderbrechen. Innerhalb der Opposition gibt es zahlreiche Auseinandersetzungen, etwa darüber, ob Iran ein föderaler oder ein zentralistisch geführter Staat, eine Monarchie oder eine Republik sein sollte.
Sie wurden in den Sechzigerjahren bekannt, weil Sie von Deutschland aus gegen das Regime des Schahs kämpften. Nun meinen manche im Westen, der Sohn des Schahs, der im Exil in den USA lebt, könnte an einem politischen Neubeginn mitwirken. Ist das realistisch?
Viele in Iran sagen, unter dem Schah sei es besser gewesen. Sie haben recht: Das Leben war angenehmer als in der Islamischen Republik, der Druck auf die Bevölkerung weniger gross. Aber die Islamische Revolution war eine Folge der Diktatur des Schahs. Jetzt wieder zur Monarchie zurückzukehren, die das Volk 1979 gestürzt hat, ist unmöglich. Es gibt eine Minderheit, die das will, aber ich denke nicht, dass die Mehrheit dies akzeptieren würde. Zudem hat der Sohn des Schahs abgesehen von seiner Abstammung keinerlei Vorzüge, die ihn als Führer des Volkes auszeichnen würden. Er lebt seit seiner Kindheit im Exil, kennt das Land kaum und hat keinerlei Regierungserfahrung.
Wie viele iranische Linke haben Sie zunächst Hoffnungen in die Islamische Revolution gesetzt. 1979 kehrten Sie nach Teheran zurück, verliessen das Land aber nach wenigen Jahren wieder, weil Ihnen eine Verhaftung drohte. Machen Sie sich Vorwürfe wegen Ihres Irrtums?
Man muss hier zwei Dinge voneinander unterscheiden: Dass der Aufstand gegen die Diktatur des Schahs berechtigt war, sehe ich noch immer so. Dass die Opposition damals Ajatollah Chomeinis Führungsrolle akzeptierte, war aber naiv. Die Oppositionellen glaubten, er würde nur in der heiligen Stadt Qom herumsitzen und religiöse Anweisungen geben. In seinem Pariser Exil hatte er dem Volk den Himmel auf Erden versprochen. All das war nichts als Lüge.
Sie haben die Rolle des Westens in Iran immer wieder kritisiert. 1953 wurde der demokratisch gewählte Ministerpräsident Mohammed Mossadegh mit Unterstützung der Briten und Amerikaner gestürzt. War das die Urkatastrophe der jüngeren iranischen Geschichte?
Der Putsch gegen Mossadegh war ein Trauma für die iranische Bevölkerung. Auf ihn folgte die Diktatur des Schahs. Die Folge davon war die Herrschaft des politischen Islam. Mossadegh hatte eine demokratische Entwicklung eingeleitet, die von Briten und Amerikanern beendet wurde. Stattdessen unterstützten sie den Schah. Das führte unter den Iranern zu einem Hass auf den Westen, auf dem die Revolutionäre um Chomeini aufbauen konnten. Die Iraner sind nicht gegen die westliche Kultur und Zivilisation, aber sie sind gegen die Unterdrückung, die damals vom Westen ausging und die heute in anderer Form in der Region fortgesetzt wird.
Ihre Landsleute leben unter einer islamischen Regierung, doch von aussen betrachtet scheinen sie eher weniger religiös zu sein als ihre arabischen Nachbarn. Hat das Regime, ohne es zu wollen, die Säkularisierung befördert?
Das würde ich so sehen. Viele, die am Beginn der Islamischen Republik überzeugt waren, dass der Islam der einzig richtige Weg wäre, haben sich längst vom Glauben abgewandt. Vor allem junge Iraner haben mit dem, was die Mullahs erzählen, gar nichts am Hut. Sie führen ein völlig anderes Leben. Seit Beginn der Islamischen Revolution befindet sich das Land in einem Kulturkampf, den das Volk trotz aller Unterdrückung und Propaganda gewonnen hat.
Iran ist ein grosses, stolzes Land, und mit Israel, Indien und Pakistan befinden sich drei Atommächte in relativer Nähe. Geniesst das iranische Atomprogramm vor diesem Hintergrund auch unter Gegnern des Regimes Unterstützung?
Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Atomprogramm steht. Iran braucht weder Atomenergie noch Atomwaffen. Eher sollte das Land daran arbeiten, eine atomwaffenfreie Zone in der gesamten Region herzustellen, einschliesslich Israels. Alle Länder dort sollten auf Atomenergie verzichten. Iran hat genug Sonne, Wind und Öl. Die Milliarden, die für die Atomindustrie aufgewendet werden, könnten besser investiert werden. Der Schaden durch die Sanktionen und die Isolierung des Landes kommen noch hinzu. All diese Kosten hat das Volk zu tragen.
Sie kritisieren Israels Vorgehen gegen Iran. Aber muss man nicht Verständnis dafür haben, dass ein Land, dem die Vernichtung angedroht wird, einen Präventivschlag durchführt, wenn sein Feind nach dem Besitz nuklearer Waffen strebt?
Israel behauptet seit über zwanzig Jahren, Iran sei nahe daran, über die Bombe zu verfügen. Das ist völliger Unsinn. Die Internationale Atomenergiebehörde, aber auch die amerikanischen Geheimdienste haben erklärt, es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass Iran an der Bombe arbeite. Ziel des israelischen Angriffs ist in erster Linie nicht die Vernichtung der iranischen Atomindustrie. Israel will alle Kräfte in der Region schwächen, egal ob in Palästina, in Syrien, im Libanon, im Irak oder in Iran. All diese Länder sollen so schwach wie möglich sein, damit Israel seinen Einfluss in der Region behält. Schon seit Jahren liegen die Pläne zu einem Angriff gegen Iran vor. Aus Sicht der Israeli war der jetzige Zeitpunkt dafür sehr günstig.
Das iranische Regime unterstützt allerdings Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah, die Israel bekämpfen. Ist es nicht legitim, dass der jüdische Staat diesen Zustand beenden will?
Ich bin dagegen, dass Iran diese Gruppen unterstützt. Das Geld, das dafür ausgegeben wird, sollte besser dem iranischen Volk zugutekommen. Aber Israel hat Hamas und Hisbollah bereits erheblich geschwächt. Die Gefahr, dass diese Kräfte gemeinsam mit Iran Israel vernichten könnten, bestand überhaupt nicht. Genau in dem Moment, in dem Iran, Hamas und Hisbollah geschwächt waren, griff Israel Iran an. Das ist nicht logisch.
Allerdings hält die Hamas noch rund fünfzig Israeli als Geiseln. Ist es da nicht verständlich, dass Israel sie noch weiter schwächen will?
Ich glaube nicht, dass es der Regierung Benjamin Netanyahus in erster Linie um die Geiseln geht, sondern darum, die Palästinenser zu vertreiben und Israels Territorium um Gaza und das Westjordanland zu erweitern. Es geht um Grossisrael.
Herr Nirumand, Ihre Tochter, die Journalistin Mariam Lau, hat vor einigen Jahren geschrieben, Ihnen könnte nichts Schlimmeres passieren, als nach Iran zurückkehren zu dürfen. Sie würden das nicht aushalten. Denken Sie noch über eine Rückkehr nach?
Falls meine Tochter es so gemeint hat, dass ich eine Rückkehr in die Islamische Republik nicht aushalten würde, hat sie recht. Das Land hat sich in den letzten vierzig Jahren so stark verändert, dass ich es kaum wiedererkennen würde. Dennoch habe ich grosse Sehnsucht nach meiner Heimat. Aber ich habe kaum Hoffnung, sie noch einmal zu sehen. Angesichts meines Alters ist das unwahrscheinlich.
Das von der IAEA bestätigte, zu 60% angereicherte Uran brauchen sie für was? Kleine, effiziente Briefbeschwerer?
Für die Energieproduktion benötigt msn 3-5%. Der einzige Grund grössere Mengen mehr Anzureichern sind Bomben, wobei 85+% erforderlich sind.
Et voila, einmal mehr hat der Westen eine demokratisch gewählte Regierung gestürzt, um seinen Einfluss zu wahren. Und Jahre danach, bombt man dann die selber gezüchteten Extremisten ins Paradies. Extremisten, die man selber indirekt an die Macht gebracht hat.
Und nun, spielt man sich als Retter des iranischen Volkes auf.
Ganz ehrlich, das ist so widerlich.
Danke für dieses ausgesprochen gute Interview.