Der deutsche Kanzler Friedrich Merz sagte, die Israeli machen im Iran die «Drecksarbeit für uns alle». Was halten Sie von der Aussage?
Dominique Trinquand: Der Kanzler hat recht, wir dürfen Israel nicht allein lassen. Schauen Sie seine geografische Position an: Das Land war und ist von einem sogenannten «Feuerring» umgeben, gebildet aus Milizen in Gaza, Jemen, Irak und Syrien und im Libanon. Wenn man das Westjordanland und nun die schiitische «Zentrale» Iran dazurechnet, dann führt Israel derzeit an sieben Fronten Krieg!
Herrscht zwischen Israel und Iran unwiderruflich Krieg? Israel hat in der Vergangenheit schon mehrfach Luftschläge gegen Iran geführt, ohne dass es zur Eskalation kam.
Diesmal ist es anders. Die Israeli haben sich seit langem darauf vorbereitet, auch wenn sie keine Bodeninvasion vorhaben. Sie wollen die iranischen Nuklearanlagen zerstören und wenn möglich einen Regimewechsel herbeiführen.
Die Iraner schlagen ebenfalls mit Raketen zurück. Wer wird bei diesen Luftschlägen den längeren Atem haben?
Der israelische «Iron Dome» (Schutzschild) hält bisher mit bei der Abwehr von Raketen kürzerer Reichweite. Diese Geschosse scheinen den Iranern langsam auszugehen: Am ersten Tag feuerten sie 200 ab, am zweiten Tag einige Dutzend, am dritten noch deren zwei. Problematischer ist für Israel die Abwehr iranischer Hyperschallraketen langer Reichweite, die hoch aufsteigen und bei ihrem Fall Mach-10-Geschwindigkeit erhalten. Die israelischen Arrow-Abwehrraketen werden knapper, doch die Amerikaner scheinen auszuhelfen.
Haben die Israeli die Mittel, iranische Nuklearanlagen zu zerstören?
Sie können sie zumindest auf Jahre hinaus beschädigen. Die Urananreicherungsanlage Fordo liegt 60 Meter unter Boden, sie ist durch Stahlbeton gesichert. Sie auszuschalten vermöchte nur die amerikanische 13-Tonnen-Bombe GBU-57. Sie wird vom Stealthbomber B-2 oder den alten B-52-Bombern getragen. Offen ist, ob Donald Trump mitmachen wird.
Und wenn nicht?
Die Israeli verfügen selber über kleinere GBU-Bomben. Wenn sie damit nacheinander den gleichen Zielort treffen, wie sie schon im Libanon und anderswo vorgemacht haben, können sie auch Schäden verursachen, die das iranische Atomprogramm um Jahre zurückwerfen würden. Denn zugleich liquidieren sie iranische Atomforscher und zerstören die Archive. Die Israeli könnten sich auch darauf verlegen, die Belüftung dieser unterirdischen Anlagen zu zerstören. Ohne Luft funktionieren sie nicht. Der Mossad, der israelische Geheimdienst, kennt die Pläne der Lüftungsschächte so gut, wie er die Hamas-Tunnel kennt.
Der Mossad hat den Iran massiv infiltriert. Wie schafft er das? Wenn ein israelischer Spion erwischt wird, sei er ein toter Mann, heisst es.
Vergessen Sie nicht, dass viele Iraner ihr Regime hassen und seinen Gegnern gerne aushelfen. Bei einer gezielten Tötung in Teheran wusste der Mossad sogar, in welchem Schlafzimmer der Hamas-Führer übernachtete. Der Mossad hat seine Agenten überall, bis in die Entourage von Ajatollah Khamenei. In Teheran zirkuliert die Scherzfrage: Weisst du, wo Khamenei ist? Antwort: Frag den Mossad.
Könnten die Israeli den Revolutionsführer Ali Khamenei ausschalten?
Zweifellos. Die Frage ist eher, ob sie wollen. Sie wissen, dass es unmöglich ist, einen Regimewechsel allein mit Bomben zu erwirken. Es braucht den Druck von innen, durch die Bevölkerung. Und die islamischen Revolutionsgarden bleiben mächtig. Vorläufig gibt es keine Zeichen, dass sich die Bevölkerung gegen das Regime erheben würde. In den iranischen Städten geht niemand auf die Strasse.
Weil die Iraner nicht dem «grossen Satan», den USA und Israel, folgen wollen?
So will es die Propaganda des Regimes. Die Iraner sind weniger israelfeindlich, als die Mullahs glauben machen. Gebildete Schichten fühlen sich den Juden in der persischen Geschichte nahe. Aber ihr Nationalstolz ist stark, sie wollen nicht von aussen angeleitet werden. Zudem gibt es im Iran keine Opposition. Nach einem Regimesturz würde unweigerlich ein politisches Chaos ausbrechen.
Wie in Libyen nach dem Sturz Gaddafis?
Iran hat solidere Strukturen als Libyen. Ich denke eher an Beispiele wie Rumänien. Dort war bis 1989 auch keine nennenswerte Opposition gegen die Ceausescu-Diktatur sichtbar – und plötzlich ging alles sehr schnell.
Iran ist ein Geschäftspartner der Russen. Trifft der neue Krieg auch Wladimir Putin in Moskau?
Ja, denn der Iran unterstützt Putin im Krieg in der Ukraine zum Beispiel mit Schahed-Drohnen. Ein Regimesturz in Teheran – ein weiterer nach Syrien und Libyen – würde Putin zusätzlich schwächen. Es würde wieder einmal klar, wie rasch autoritäre Regimes enden können.
Wie läuft es denn für Putin im Krieg in der Ukraine?
Sagen wir es so: Putin braucht «seinen» Krieg, um politisch zu überleben. Er hat die russische Gesellschaft völlig militarisiert, will aber Kiew meines Erachtens gar nicht einnehmen. Ihm genügt es, den Krieg an der Front fortzusetzen. Er hat dort 600’000 Soldaten im Dienst, die er gut bezahlt, weswegen ihre Familien zufrieden sind. Wenn es Frieden gäbe, wäre das eine Katastrophe für ihn. Die Kriegswirtschaft bräche ein; und was täte er dann mit den 600’000 Soldaten, wenn die nach Hause wollen?
Bietet sich Putin deshalb als Vermittler zwischen Israel und Iran an?
Putin hat Angst, mit dem Iran nach Syrien einen weiteren Alliierten zu verlieren. Also bringt er sich als Vermittler ins Spiel. Er möchte den Rang der Sowjetunion wiedererlangen und direkt mit Trump verhandeln, zumal ihm dieser nicht wirklich gewachsen ist. Aber niemand will Putin als Vermittler.
Etwas genereller gefragt: Noch ist der Krieg in der Ukraine nicht vorbei, da beginnt bereits ein neuer Krieg im Nahen und Mittleren Osten. Gibt es da einen Zusammenhang?
Ja, denn in beiden Fällen spielt die Achse totalitärer Staaten. Und diese sehr konkret. China und Nordkorea liefern dem Iran derzeit Ersatzteile zur Herstellung; Russland hilft bei der Flugabwehr aus. Die Kooperation geht aber viel weiter. Ende Mai ging ein wichtiges geopolitisches Ereignis weitgehend unter: Die von Peking entwickelte neue «Seidenstrasse» eröffnete eine direkte Eisenbahn-, also Landverbindung von Iran nach China. Und damit theoretisch auch nach Russland. Die Öltanker dieser Länder müssen also nicht mehr über den Seeweg der Strasse von Hormus, die von den USA blockiert werden könnte.
Nähern wir uns einem neuen Weltkrieg?
China ist nicht bereit. Präsident Xi Jinping China baut zwar seine Armee aus, doch sie bleibt von korrupten Elementen durchsetzt. Xi muss sie zuerst einmal säubern. Zudem muss er sie zur Kontrolle lokaler Bastionen der Kommunistischen Partei einsetzen. Xi will deshalb momentan keinen Krieg, es sei denn gegen Taiwan. Ähnlich verhält es sich mit der russischen Armee. Sie ist zu schwach für einen weiteren Krieg. Auch in der Ukraine hat es Putin in drei Jahren nicht einmal geschafft, 20 Prozent des ukrainischen Territoriums zu erobern.
Plant er nicht eine neue Offensive?
Die russische Armee ist ständig in der Offensive! Aber sie ist zu schwach, das Kriegsmaterial stammt teils aus Sowjetzeiten. Sie verliert zu viele Panzer, und täglich 1200 russische Soldaten. 1200, jeden Tag!
Zögert nicht auch US-Präsident Trump vor einem Kriegseinsatz im Iran?
Er steckt im Dilemma. Einerseits will er Israel helfen, und er wäre dazu in der Lage, gebietet er doch über die grösste Armee der Welt, mit einem Budget von 900 Milliarden Dollar. Aber zugleich ist Trump wie ein Gutteil der Republikaner ein Isolationist, der nicht in den Krieg ziehen will. Und vergessen wir nicht, Trump will den Friedensnobelpreis gewinnen. Und dafür wird er an den Kriegen gemessen, die er vermieden hat – nicht an den geführten.
Wenn kein Weltkrieg winkt – wohin geht dann die Reise?
Alles zusammengenommen erleben wir gerade die Rückkehr der Imperien. Das gilt für China, Russland und auch die USA, die sich unter Trump zumindest vier Jahre lang sehr imperialistisch gebärden werden. Damit werden wir Europäer – die wir auch mal Imperialisten waren – leben müssen. Wir müssen lernen, uns selber zu verteidigen. Wobei wir natürlich mit den Amerikanern verbündet bleiben und die Nato bewahren wollen. Immerhin herrscht in Europa derzeit Erleichterung, dass der neue Bundeskanzler Merz ähnlich denkt wie die Franzosen. Oder auch wie die Briten, die sich langsam wieder der EU annähern. Europa wird langsam erwachsen.
Witzbold: Doch, sie flüchten aus der Hauptstadt. Fliehen und gleichzeitig demonstrieren geht schlecht.