Jungs und Mädchen sind zum Schulstart in Mathematik ähnlich gut – doch schon bald danach unterscheiden sich ihre Leistungen. Bereits nach vier Monaten schneiden die Buben gemäss einer aktuellen Studie, die Mitte Juni in der Fachzeitschrift «Nature» publiziert wurde, in Mathe deutlich besser ab als die Mädchen. Ein Jahr nach dem Schulstart hat sich dieser Unterschied sogar vervierfacht, wie ein Team um Pauline Martinot von der Université Paris Cité ermittelt hat.
Ihr Team analysierte Daten von rund 2,7 Millionen Kindern in Frankreich, die von 2018 bis 2021 mit der Schule starteten und zwischen 5 und 7 Jahre alt waren. Die Gründe, warum sich in einer solch kurzen Zeit ein derart ausgeprägter «Gender-Gap» entwickelt, sind bisher nicht vollständig klar. Die Forschenden vermuten, dass die Ursachen im Schulsystem liegen.
Stereotype Erwartungen von Lehrpersonen und Eltern, eine Lernkultur, in der Tempo und Leistung im Vordergrund stehen – und Mathe-Angst, die laut Untersuchungen tatsächlich häufiger bei Mädchen auftritt. «Gerade in den ersten Monaten, wenn alles neu und stressig ist, können diese Faktoren wie unter einem Brennglas wirken», sagt Neurowissenschaftlerin Martinot.
Dass Jungen aus biologischen Gründen besser in Mathe sind als Mädchen, schliessen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus. «Wir haben keine Hinweise gefunden, dass familiäre oder soziale Hintergründe dahinterstecken», so Martinot. Die Studie zeige vielmehr, dass Jungen im förmlichen Umfeld der schulischen Mathe-Bildung durch Lehrerinnen und Lehrer bevorzugt werden – möglicherweise aufgrund der stereotypen Vorurteile, die noch immer in den Köpfen der Lehrkräfte existieren.
Doch wie kann die Entstehung des Gender-Gaps künftig verhindert werden? «Die Verbesserung der Lehrerausbildung dürfte zweifellos einer der wirksamsten Hebel sein», schreiben die Forschenden. Dabei sollen den Lehrkräften ihre Vorurteile abtrainiert und eine genderneutrale Mathebildung beigebracht werden.
Beispielsweise sollten Lehrerinnen und Lehrer vermehrt darauf achten, Mädchen und Jungen gleichermassen und wertfrei zur Teilnahme am Mathematik-Unterricht zu ermutigen und ihnen mehr Zeit zur Problemlösung lassen, schlagen sie vor. Ausserdem fordern Martinot und ihr Team, dass pädagogische Massnahmen schon viel früher ansetzen müssten – bereits im Kindergarten, bevor sich bei den Mädchen die ersten Stereotype und Ängste verfestigen. (pre)