«Dieser Prozess ist nicht nur der Prozess von Gisèle Pelicot, sondern der einer ganzen Familie. Einer zerstörten Familie», sagte David Pelicot, der Sohn von Gisèle Pelicot.
Gisèle Pelicot (71) wurde von ihrem Ehemann Dominique Pelicot (71) in einem Zeitraum von neun Jahren betäubt und in einem Internetforum anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten.
92 Mal, so geht es aus einer polizeilicher Untersuchungsbericht hervor, wurde Gisèle Pelicot im Beisein ihres Ehemanns vergewaltigt, um seine Fantasien zu befriedigen.
Mehr als 70 Männer im Alter von 22 bis 74 Jahren sollen daran beteiligt gewesen sein.
Dominique Pelicot filmte die Vergewaltigungen und speicherte sie auf seinem Computer in einer Datei mit dem Titel «Missbrauch». Bereits vor Prozessbeginn gestand er seine Taten. Während der Verhandlungen sagte er:
Neben ihm stehen 51 Männer wegen Missbrauchs und teils schwerer Vergewaltigung vor Gericht. Die anderen 20 bis 30 konnten nicht identifiziert werden, sind inzwischen gestorben oder flüchtig. Die Angeklagten stammen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Einige davon sind Handwerker, andere arbeiten im Spital oder Journalismus.
Mehrere der Männer haben sich schuldig bekannt, während andere bestreiten, gewusst zu haben, dass Gisèle Pelicot bewusstlos war, oder behaupten, angenommen zu haben, dass dies Teil der Fantasie des Paares war.
Die Beweisaufnahme neigt sich dem Ende zu, und bald werden die Plädoyers beginnen. Doch bevor der Mammutprozess in die nächste Phase übergeht, brachen die beiden Söhne, David (50) und Florian (38), ihr Schweigen. Die beiden schilderten ihre Perspektiven und Erlebnisse und berichteten über das immense Leid, das der Fall über ihre Familie gebracht hat.
Die Tochter, die unter dem Pseudonym Caroline Darian auftritt, ist schon in den Zeugenstand getreten. Sie warf ihrem Vater ebenfalls vor, sie bewusstlos gemacht zu haben. Bei Ermittlungen wurden auch Bilder von ihr gefunden, die sie schlafend im Bett in unbekannter Unterwäsche zeigten. Ihre Erlebnisse verarbeitete sie in einem Buch mit dem Titel «Ich habe aufgehört, dich Papa zu nennen».
Vor Gericht flehten sie ihren Vater an, die Wahrheit darüber zu sagen, ob er auch andere Familienmitglieder missbraucht habe. Auch David Pelicot wandte sich vor Gericht mit dieser Frage an seinen Vater:
Dominique Pelicot gab an, die Fotos aufgenommen zu haben, weil er erpresst wurde. Weiter wollte oder konnte er dazu nichts sagen. Zusätzlich steht er vor Gericht, weil er die Ehefrauen seiner Söhne heimlich nackt fotografiert hat – mit versteckter Kamera im Badezimmer oder anderen privaten Räumen.
David Pelicot sagt dazu: «Ich frage mich immer wieder: warum? Was war das Ziel? Diese Frage kann ich nicht beantworten. Aber was ich verstehe, ist, dass dieser Mann seine Fantasien mit einer Gewaltbereitschaft, die er schon immer in sich hatte, immer weiter ausdehnte.»
Der jüngste Sohn, Florian Pelicot, sagte im Zeugenstand, dass seine Ehe durch das Bekanntwerden der Taten seines Vaters in die Brüche gegangen sei. «Wenn man erfährt, dass der eigene Vater einer der grössten Verbrecher der letzten 20 Jahre ist – wie geht man damit um?»
Florian Pelicot erwähnt auch verdächtigen Anzeichen. Häufig habe der Vater das Telefon der Mutter beantwortet, was ihm damals schon seltsam vorkam. Einmal sei sein Vater besonders nervös und ins Schwitzen geraten, als er eine Malvorlage für seine Kinder am Computer ausdruckte. In einer anderen Situation erlebte David, wie seine Mutter nach einem Glas Rosé stark benommen wirkte und von ihrem Ehemann ins Bett gebracht wurde.
David Pelicot hat eine eigene Strategie entwickelt, um mit dem Schmerz umzugehen. Die Familie liess alles, was mit Dominique Pelicot zu tun hatte, verschwinden – Bilder, Kleidung, Erinnerungen. «Meine Kindheit ist wie ausgelöscht, wie ein weisser Fleck», sagt er. Er hofft, dass er eines Tages auch den Mann, der ihm und seiner Familie so viel Leid zugefügt hat, aus seinem Kopf löschen kann.
Ende Dezember soll das Urteil gesprochen werden.
Ich bewundere diese Frau und deren Kinder.
Was bleibt ist der Satz: "Die Scham muss die Seite wechseln"
Das ist ein Vermächtnis, das wir zu verinnerlichen haben. Wir müssen Scham von den Tätern fordern und die Opfer davon befreien.