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Russland

Ein ukrainischer Kriegsgefangener erzählt von drei Jahren Tortur

In this satellite photo provided by Maxar Technologies, a view of the Olenivka detention center, in Eastern Donetsk province, after an attack on the prison reportedly killed Ukrainian soldiers capture ...
Satellitenbilder des Gefängnisses in Oleniwka.Bild: keystone

«Vergiss, dass du einmal ein Bürger warst» – ukrainischer Kriegsgefangener erzählt

Im April 2022 wurde Dmytro Chorny in russische Kriegsgefangenschaft genommen. Jetzt ist er wieder frei – und erzählt von seinen schwierigsten Momenten.
21.06.2025, 11:0321.06.2025, 11:50
Nina Bürge
Nina Bürge
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Am 12. April 2022 ändert sich das Leben von Dmytro Chorny für immer. Von Schüssen und Bombenalarmen an der Front zu kompletter Stille in russischer Kriegsgefangenschaft.

Vor dem Ausbruch des Kriegs lebte er zusammen mit seiner Freundin in der Ukraine. Ende 2021 trat er der ukrainischen Marine bei. Nach der militärischen Grundausbildung wurde er nach Mariupol versetzt. Die Stadt, die mittlerweile Synonym für den russischen Terror ist. Gegenüber The Guardian sagt er: «Der Krieg dort kam schnell und hart.»

Wie Chorny schildert, gerieten die Ukrainer am 24. Februar 2022 unter Beschuss durch russische Raketenwerfer. Seine Kollegen und er erhielten den Befehl, zu einem Militärstützpunkt zu fahren. Kurz darauf folgt die Aufforderung, sich der Infanterie im Stadtzentrum anzuschliessen. Die Stadt war zerstört – in diesem Moment begann der damals 20-Jährige, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass er sterben wird, wie er berichtet. Er schrieb seiner Freundin eine vermeintlich letzte Nachricht:

«Bei mir ist alles in Ordnung. Ich liebe dich so sehr und vermisse dich. Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung. Ich hoffe, du schickst mir eine Nachricht x. »
Die Nachricht ist eine Lüge, aber er will seiner Familie nicht noch mehr Sorgen bereiten.

Kurz darauf wurde sein Handy bei einem Angriff der Russen zerstört. Es wird zwei Jahre lang das letzte Mal gewesen sein, als seine Familie von ihm hörte. Zu diesem Zeitpunkt kamen seine Vorgesetzten zu dem Schluss, sich ergeben zu müssen.

Am 12. April 2022 legten sie ihre Waffen nieder, hoben ihre Hände und ergaben sich den russischen Truppen. Sie wurden in das von Russland besetzte Gefängnis in Oleniwka in der ukrainischen Region Donezk gebracht.

Der Anfang langer drei Jahre

Wie Chorny schildert, war es der Beginn einer mehrjährigen Qual. Bei seiner Ankunft wurde er geschlagen, wenn er sich bewegte, wurde er geschlagen, wenn er sprach, wurde er geschlagen. Von Hand oder mit Baseballschlägern. Zudem habe es Einzelverhöre gegeben. Auch hier galt: Wenn er nicht antwortete, was die Russen hören wollten, wurde er geschlagen.

Die Kriegsgefangenen wurden in Baracken gebracht, 70 Mann teilten sich eine. Chorny schildert gegenüber «The Guardian», dass sie den ganzen Tag stehen mussten. Sie hätten die russische Nationalhymne auswendig lernen und singen müssen. Dabei seien sie gefilmt worden. Wer den Text nicht beherrschte, wurde von den Hunden der Gefängniswärter gebissen.

The first rule is to forget your past life: Ukrainian marine tells of his three years of torment in Russian captivity

[image or embed]

— The Guardian (@theguardian.com) 20. Juni 2025 um 06:29

Nach ein paar Wochen wurde Dmytro in eine Strafzelle verlegt. In dieser blieb er – drei Jahre lang. Wie er heute erzählt, wurde er an einem Tag von den russischen Wärtern verhört. Ihm sei ein Elektroschocker zwischen die Beine gelegt worden, sagt Chorny. Einer, der eigentlich benutzt wird, um Kühe zu töten. Schlussendlich habe er den Russen gesagt, was sie hören wollten. Was er in diesem Moment gestand, sagt er im Interview mit «The Guardian» nicht. Als er zurück in seine Zelle gebracht wurde, sei er nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu bewegen, schildert er. Seine Mitgefangenen hätten ihn mit einem Löffel füttern müssen.

Chorny wurde nach der Gefangenschaft in Oleniwka in zwei weitere Gefängnisse verlegt. In diesen durften sich die ukrainischen Gefangenen wenigstens setzen, schildert er. Sprechen sei weiterhin verboten gewesen. Sie sassen tagein, tagaus, mit dem Gesicht gegen den Boden gerichtet. Wenn sie hochschauten oder sich drehten, drohten ihnen Massenbestrafungen.

In der Haft gibt es keine Jahreszeiten

Jeder Mann habe eigene Wege gehabt, um mit der Haft umzugehen, sagt Chorny. Er etwa habe Knochen von Hühnerfleisch behalten, das sie zu essen erhielten. Diese habe er getrocknet und dann als Nadeln benutzt, um seine Kleidung enger zu machen, da er immer mehr Gewicht verlor.

«Die allererste Regel lautete: Vergiss, dass du einmal ein Bürger warst.»
Sagt Chorny über seine Zeit in Kriegsgefangenschaft.

Chorny sagt zum Leben in Gefangenschaft weiter, dass man die Stimmen und Gesichter seiner Liebsten vergessen müsse. Seiner Eltern, seiner Freundin. Man müsse sich von seiner Vergangenheit trennen. Er habe sie selbst alle für Monate vergessen. Ihre Stimmen, ihre Gesichter.

Die Rückkehr in die Freiheit

Am 19. April 2025 wurde Chorny in ein Flugzeug nach Belarus gesetzt. Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs kam er frei. Er verbrachte einen Monat in einem Rehabilitationszentrum. Seine körperlichen Narben seien verheilt, sagt er. Nun hofft er, dass die psychischen Narben mit der Zeit ebenfalls heilen würden.

Vergangenen Samstag hat Chorny seine Freundin Diana geheiratet. Sie hatte auf ihn gewartet, während er in Gefangenschaft war, und hatte ihm unzählige Liebesbriefe geschrieben, von denen keiner jemals angekommen ist.

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Die beliebtesten Kommentare
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Raki
21.06.2025 11:14registriert Januar 2024
Wer sich den Russen ergibt, der weiss, dass er geschlagen, gefoltert, ausgehungert, vergewaltigt und allenfalls einfach getötet wird. Das zieht sich wie eine Rote Linie durch die Geschichte der russ./soviet. Armee. Ich kann verstehen, dass man hofft, dass es bei einem persönlich anders ausgehen wird, aber die Geschichte wiederholt sich einfach zu oft. Selbst mit den eigenen Soldaten geht Russland kaum besser um. Daher ist eine Kapitulation keine Option, denn auch die Zivilbevölkerung würde dann das gleiche Leid unter den Russen erfahren. Beispiele gab es ja bereits genügend.
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P.Rediger
21.06.2025 11:14registriert März 2018
Wenn man das liest kann man nur ko...en. Es ist unglaublich was wir Menschen fähig sind einander anzutun. So verschwindend klein die Chance auch ist, aber ich hoffe doch, dass die Verantwortlichen für diesen Krieg und diese Befehle mal dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Ja ich weiss, die Wahrscheinlichkeit dass ich einen 6er im Lotto mache, ist grösser, aber ....
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So oder so
21.06.2025 11:34registriert Januar 2020
Die Fotografin und Freiwillige Nadine Geisler (richtiger Name: Nadezhda Rossinskaya) wurde zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Fall ist offensichtlich erfunden: offiziell wegen „Verrats“, „Finanzierung des Terrorismus“ und „Aufrufen gegen die Sicherheit der Russischen Föderation“, in Wirklichkeit jedoch wegen der Bereitstellung humanitärer Hilfe für die Ukraine.

Geisler evakuierte Tiere und Flüchtlinge, half bei der Suche nach Vermissten und lieferte Medikamente in Kriegsgebiete.


Terror gegen aussen wie gegen innen.
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