«Und Frankreich?», fragte der grösste Pariser Radiosender France Inter, nachdem er über die angekündigte Lieferung deutscher Leopard-Panzer an die Ukraine berichtet hatte. Die Frage bleibt vorerst ohne klare Antwort, was Bände spricht über die Verlegenheit der französischen Diplomatie.
Noch am Sonntag hatte Macron im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, er wolle «nichts ausschliessen», sofern der Entscheid «kollektiv abgestimmt» sei; dem Verteidigungsministerium gab er den Auftrag, an einer möglichen Entsendung französischer Leclerc-Kampfpanzer «zu arbeiten».
Das klang so ausweichend wie Scholz' damalige Aussage, vorerst sei die Leopard-Frage nicht aktuell. Jetzt, da sich die deutsche Seite doch zu einer Lieferung von Kampfpanzern durchgerungen hat, gerät Macron plötzlich selber in Zugzwang. Anfang des Monats hatte er noch die Initiative ergriffen und im Alleingang die Lieferung leichter Aufklärungsradpanzer vom Typ AMX-10 bekanntgegeben. Gewollt oder nicht, setzte er damit auch Berlin unter Druck.
Nun ereilt ihn dasselbe Los. Während die USA, Deutschland, Grossbritannien und andere westliche Länder schwere Panzer in den Osten schicken, zögert der französische Präsident. Pariser Diplomaten monieren, die französische Führungsposition in der EU werde durch diese abwartende Haltung weiter geschwächt.
Schon bei der Militärhilfe liege Frankreich nicht nur hinter den USA, Grossbritannien, Polen oder Deutschland zurück, sondern auch hinter Kleinstaaten wie Tschechien oder Lettland oder entfernten Ländern wie Kanada. Und nachdem Macron unlängst vorgeprescht sei, bilde er in der Panzerfrage nun wieder das Schlusslicht, heisst es in Paris.
Macron «beglückwünschte» Deutschland am Mittwoch zu seinem Leopard-Entscheid. Die sehr kurze und trockene Stellungnahme verhehlte allerdings schlecht den Ärger darüber, dass sich Scholz am Sonntag an der deutsch-französischen Feier zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages in Paris noch bedeckt gehalten hatte. Es sei denn, dass er Macron über den bevorstehenden Leopard-Entscheid orientiert hatte.
Der Pariser Kommentator Renaud Pila zweifelt daran und wirft der deutschen Regierung vor, sie spreche sich im Ernstfall lieber mit dem amerikanischen als mit dem französischen Alliierten ab.
Das französische Zögern hat allerdings auch technische und logistische Gründe. Die französischen Leclerc-Panzer werden seit 2008 nicht mehr hergestellt, und viele der 226 Exemplare in Frankreich sind momentan nicht einsatzfähig. Die französische Armee hat nicht einmal genug Leclercs für eigene Übungszwecke.
Schuld daran sind auch strategische Rüstungsentscheide vom Beginn des neuen Jahrhunderts: Damals hielt der Generalstab in Paris leichte Späh- oder Schützenpanzer für besser geeignet für den Kampf gegen schlecht ausgerüstete Feinde wie Islamisten oder regionale Potentaten.
Den ursprünglichen Bestand an 800 schweren Kampfpanzern baute die Armeespitze in der Folge stark ab. Macron macht deshalb die Lieferung von Leclerc-Modellen an Kiew davon abhängig, dass «die Kapazität unserer Verteidigung nicht geschmälert» werde. (aargauerzeitung.ch)