Vom «grössten Minenfeld der Welt» sprach Denis Schmyhal, der ukrainische Ministerpräsident, im Januar in einem Interview. Das verminte Gebiet entspreche mehr als 40 Prozent der Landfläche der Ukraine. Das sind rund 240'000 Quadratkilometer. Andere Schätzungen sprechen von einer verminten Fläche von 160'000 Quadratkilometern. Einbezogen sind stets auch Gebiete, die mit explosiven Materialien, etwa Blindgängern, aus dem Krieg verseucht sind. Zur Illustration: Selbst diese zurückhaltendere Schätzung entspricht viermal der Fläche der Schweiz.
«Das macht es nicht nur schwer, für Menschen zu reisen, sondern es verursacht auch grössere Störungen in der Landwirtschaft, die eine unserer Hauptwirtschaftszweige ist», sagte Schmyhal in dem Interview. Er verwies damit auf die Bedeutung der Entminung, die weit über die Ukraine hinaus reicht: Das Land ist einer der wichtigsten Getreideproduzenten weltweit. Insbesondere ärmere Staaten etwa in Nordafrika sind von Importen aus der Ukraine existenziell abhängig.
Dem Vernehmen nach hat Schmyhal die Frage der Minenfelder auch schon im Gespräch mit Aussenminister Ignazio Cassis angesprochen. Er soll sich von der Schweiz ein Engagement in der Minenräumung gewünscht haben - und damit bei Cassis auf offene Ohren gestossen sein. Das bestätigen zwei unabhängige Quellen.
Gemäss diesen Informationen wird sich schon bald der Bundesrat mit dem Thema befassen: Beiträge an die Entminung befreiter Gebiete in der Ukraine sollen im nächsten Nothilfepaket des Bundes für die Ukraine enthalten sein. Cassis hatte das Paket kürzlich bereits am WEF in Davos angekündigt, jedoch ohne nähere Angaben über Umfang und Inhalt dazu zu machen. Nun zeigt sich: Es dürfte schon in den nächsten Wochen im Bundesrat beraten werden und laut unbestätigten Informationen Hilfeleistungen im Umfang von etwas mehr als 100 Millionen Franken umfassen.
Der Betrag entspricht in etwa jenem für die Winterhilfe, die der Bundesrat im November 2022 bewilligt hat. Nachdem die russischen Truppen gezielt zivile Infrastrukturen zerstört hatten, stand damals die Lieferung von Generatoren oder Heizungsanlagen im Zentrum. Wie die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit diese Woche schreibt, sind aufgrund des Krieges rund 18 Millionen Menschen in der Ukraine - etwa 40 Prozent der Bevölkerung - auf Hilfe angewiesen. Der Winter verschlimmere diese Situation weiter, es gebe vielerorts keinen Zugang zu Trinkwasser und die Stromversorgung sowie die Telekommunikation seien unterbrochen.
Das neue Paket, das erst nach dem Winter wirksam wird, sei nun breiter gefasst, heisst es - unter anderem mit der Hilfe zur Entminung. Konkret sollen Ukrainerinnen und Ukrainer als Minenräumer ausgebildet werden. Hier dürfte auch das Verteidigungsdepartement von Viola Amherd involviert sein. Allerdings sei das Know-how in der Ukraine gut vorhanden, befinde sich das Land doch schon seit 2014 im Krieg. Insofern wird voraussichtlich vor allem die finanzielle Unterstützung einzelner Minenräumteams sowie die Lieferung von Material im Zentrum stehen.
Eine zentrale Rolle bei den Schweizer Aktivitäten kommt dem Internationalen Zentrum für humanitäre Entminung in Genf (GICHD) zu. Es wird unter anderem vom Bund getragen und ist bereits in der Ukraine aktiv. So führt es «unter schwierigen Bedingungen» weiterhin Schulungen in der Ukraine durch, wie es auf Anfrage mitteilt.
Wichtig: Das Schweizer Engagement soll sich ausschliesslich auf humanitäre Minenräumung beschränken - es geht also nicht darum, den ukrainischen Truppen an der Front den Weg freizuräumen. Vielmehr sollen verminte oder mit explosivem Material verseuchte Aussenquartiere von Grossstädten sowie Agrarflächen, die vorübergehend unter der Kontrolle der Russen waren, für die Bevölkerung zugänglich gemacht werden. «Das ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass die Flüchtlinge dereinst wieder nach Hause können», sagt eine involvierte Person dazu.
Anders als militärische sei die humanitäre Minenräumung mit der Neutralität vereinbar: Dies haben die zuständigen Stellen in Bern bereits abgeklärt. Das neue Engagement könnte Teil einer Strategie sein, die sowohl aus der Politik wie von Völkerrechtlern vorgeschlagen wird: Die Schweiz kann aus neutralitätsrechtlichen Gründen zwar nicht Waffen und Munition liefern, sie kompensiert dies aber mit grosszügiger humanitärer Hilfe. Dafür dürften freilich 100 Millionen nicht reichen.
(aargauerzeitung.ch)